08.03.2023 Ausgabe: 2/23

Es geht auch anders

Das Genossenschaftsrecht erlaubt auch alternative Formen der Generalversammlung

In der genossenschaftlichen Praxis haben sich wegen der pandemiebedingten Beschränkungen auch alternative Formen der Generalversammlung etabliert, beispielsweise die rein virtuelle Versammlung oder die Versammlung im sogenannten schrirtlichen Verfahren. Dennoch gab es diverse Diskussionen in Rechtsprechung und Literatur darüber, ob und wenn ja, welche konkreten alternativen Formen der Generalversammlung von der Covid-19-Sonderregelung zum einen und zum anderen von der allgemeinen Regelung im Genossenschaftsgesetz (GenG) überhaupt gedeckt sind. Um diese Unsicherheiten zu beseitigen, hat der Gesetzgeber in § 43b GenG eine gesetzliche Grundlage für das Abhalten von Generalversammlungen unter gänzlicher oder teilweiser Nutzung schriftlicher oder elektronischer Kommunikationsmittel geschaffen.

Die neue zentrale Regelung im Genossenschaftsgesetz

§ 43b Abs. 1 GenG definiert die künftig zulässigen Formen einer Generalversammlung. Diese muss in einer der folgenden Formen abgehalten werden: als Präsenzversammlung, als virtuelle Versammlung, als hybride Versammlung oder als Versammlung im gestreckten Verfahren. Bei einer virtuellen Versammlung, um die es hier gehen soll, muss sichergestellt sein, dass der gesamte Versammlungsverlauf allen Teilnehmern schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation mitgeteilt wird und sie alle ihre Rede-, Antrags-, Auskunfts- und Stimmrechte schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.

Anwendung in der Praxis

Wohnungsgenossenschaften haben, so sie denn pandemiebedingt auf alternative Formen der Generalversammlung zurückgegriffen haben, bisher zumeist Versammlungen im gestreckten Verfahren durchgeführt, rein virtuelle Versammlungen nur vereinzelt. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Die technische Komponente spielt in Verbindung mit der demografischen Mitgliederstruktur bei Wohnungsgenossenschaften wohl eine große Rolle. Viele Unternehmen fürchten, einen nicht unbeachtlichen Teil der Mitglieder nicht adäquat in den virtuellen Versammlungsverlauf einbinden zu können, jedenfalls bei Genossenschaften ohne Vertreterversammlung, die die Mitgliederversammlung als Ganzes einbinden müssen.

Dort, wo bisher virtuelle Versammlungen stattfanden, gab es in der Regel auch eine Vertreterversammlung, deren Mitglieder meist sehr engagiert und für neue Wege offen waren. Ein wichtiger Aspekt, denn wenn die neuen Verfahren innerhalb der Genossenschaft nicht akzeptiert werden, werden sie auf Dauer scheitern und eher kontraproduktiv wirken. Insofern haben Vorstand und Aufsichtsrat rechtlich zwar die Kompetenz, vorbehaltlich entsprechender Satzungsregelungen, die Form der Versammlung festzulegen, sie sollten dies aber nicht gegen einen klar erkennbaren Widerstand innerhalb der Genossenschaft tun. Es ist eine gewisse Gratwanderung und man muss es vielleicht auch einfach einmal versuchen. Allerdings darf man dann das Vertrauen der Vertreter bzw. Mitglieder auch nicht enttäuschen. Maßgeblich ist daher, durch die jeweilige technische Umsetzung zu gewährleisten, dass Vertreter bzw. Mitglieder ihre mitgliedschaftlichen Rechte wie in einer Präsenzversammlung wahrnehmen können. Zur Sicherstellung reibungsloser Abläufe in virtuellen Versammlungen empfiehlt es sich daher, sich einen erfahrenen technischen Partner an die Seite zu holen. Abgesehen davon, dass sowohl rechtlich als auch technisch alles einwandfrei laufen muss, ist die Akzeptanz des Verfahrens enorm wichtig. Vertreter bzw. Mitglieder müssen, so gut es geht, „mitgenommen“ werden.

Transparenz und Verständlichkeit sind dafür zentral. Der Versammlungsleitung kommt eine sehr wichtige Funktion zu. Noch vor dem Einstieg in die Tagesordnung ist einiges zu
erläutern: der technische Ablauf der Versammlung, insbesondere hinsichtlich der Durchführung von Abstimmungen, und die Möglichkeiten zur Interaktion zwischen Teilnehmern, Versammlungsleitung, Vorstand und Aufsichtsrat. Kommunikationsregeln sind für virtuelle Versammlungen genau wie für Präsenzversammlungen unverzichtbar und eher noch wichtiger.

Es ist des Weiteren sicherzustellen, dass sämtliche Vertreter bzw. Mitglieder die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen und Auskunft zu erhalten. Vertreter bzw. Mitglieder müssen die
Möglichkeit haben, sich wie auf einer „normalen“ Versammlung einbringen zu können.

Fazit

Die neue gesetzliche Regelung ist sehr zu begrüßen. In der Praxis werden sich aber im Detail weitere Umsetzungsfragen stellen. Wie virtuelle Versammlungsformate künftig genutzt werden, hängt vor allem von der Akzeptanz innerhalb der Genossenschaft ab. Um das Vertrauen der Vertreter bzw. Mitglieder zu gewinnen und zu erhalten, kommt es darauf an,
ihnen zu vermitteln, dass virtuelle Versammlungen rechtlich und technisch reibungslos funktionieren, und Berührungsängste mit digitalen Formaten zu zerstreuen.

Wenngleich der Gesetzgeber auf einen Satzungsvorbehalt verzichtet hat, scheint es doch empfehlenswert, Satzungsregelungen sowohl in Bezug auf die überhaupt zulässigen Formen der Versammlung als auch in Bezug auf die jeweilige Durchführung zu treffen. Vorstand und Aufsichtsrat haben dann einen vorgegebenen verbindlichen Rahmen, an den sie sich halten müssen, aber auch halten dürfen. Relevant ist dies auch für die genossenschaftliche Prüfung: Die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an die jeweiligen Versammlungsformen gehört zu den Pflichten des Vorstands, was regelmäßig als Teil der Geschäftsführungsprüfung kontrolliert wird.

Zabel, Dr. Matthias

GdW-Referatsleiter
Genossenschaftsrecht und Genossenschaftswesen