16.09.2025 Ausgabe: 6/2025

Mieterstrom

BGH entscheidet über Kundenanlagen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 13. Mai 2025 eine lang erwartete Entscheidung ge­troffen, bei der es um die Voraussetzungen für die Ausnahmen von den umfangreichen Regulierungsanforderungen an Betreiber von (Elektrizitäts-) Verteilernetzen geht. Zuvor hatte der BGH dem Europäi­schen Gerichtshof (EuGH) die Fragen zur Entscheidung vorgelegt, ob die deutschen Regelungen mit Europäischem Recht vereinbar seien. Mit der neuen Entscheidung setzt der BGH die Vorgaben des EuGH um. Viele dezentrale Versorgungskonzepte (Quartierslösungen) sind von dem Urteil betroffen. Lieferung und Abrechnung von Strom unterfallen nunmehr den allgemeinen Regeln, sodass auch Netzentgelte und Umlagen auf den Strom anfallen. Wie weit auch Mieterstrom- und Gebäudestrommodelle betroffen sind, kann noch nicht sicher beurteilt werden und hängt von den Regulierungsbehörden und dem Tätigwerden des Gesetzgebers ab.

Worüber hat der BGH entschieden?

Ein privates Energieversorgungsunternehmen plante die Errichtung von zwei Blockheizkraftwerken, an die in zwei Wohngebieten zehn Wohnblocks mit insgesamt ca. 1.400 Wohneinheiten angeschlossen werden sollten. Der dort erzeugte Strom sollte an die Mieter verkauft werden. Das Unternehmen beantragte den Anschluss an das örtliche Verteilernetz als Kundenanlage und die Einrichtung von erforderlichen Zählpunkten. Der örtliche Netzbetreiber lehnte den Antrag ab, da es sich nicht um eine Kundenanlage handele. Die Regulierungsbehörde und das Oberlandesgericht (OLG) Dresden lehnten den Antrag des Unternehmens auf Verpflichtung des Netzbetreibers ab. Der BGH legte mit Beschluss vom 13. Dezember 2022 die Fragen, ob die deutschen Regelungen, nach denen Kundenanlagen nicht Bestandteil des Energieversorgungs­netzes und ihre Betreiber keine Verteilernetzbetreiber sind und damit nicht der Regulierung unterliegen, mit EU-Recht vereinbar sind, dem EuGH zur Entscheidung vor. Der EuGH entschied mit Urteil vom 28. November 2024, Az. C-293/23, dass die deutschen Ausnahmen für Kundenanlagen den Regelungen der Richtlinien über den Elektrizitätsbinnenmarkt (EltRL) in weiten Bereichen widersprechen. Gemäß den Vorgaben des EuGH hat der BGH nunmehr letztinstanzlich die Rechtsbeschwerde des Unternehmens zurückgewiesen und entschieden, dass nur eine Energieanlage, die kein Verteilernetz ist, bei richtlinienkonformer Auslegung eine Kundenanlage sein kann.

Was ist der Hintergrund der Entscheidung?

Seit 1999 verfolgt die Europäische Union (EU) mit mehreren Richtlinien das Ziel, einen EU-weiten Elektrizi-täts-Binnenmarkt zu schaffen. Die neueste Richtlinie stammt von 2019 (EltrRL 2019). Das Ziel sind erschwingliche und transparente Energiepreise für die Verbraucher und auch die Versorgungssicherheit. Bei der Umsetzung der EltRL 2009 wollte der Gesetzgeber mit der Definition der Kundenanlage in § 3 Nr. 24a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) Klarheit schaffen, welche Betreiber sich den (umfangreichen) Regulierungsanforderungen zu stellen haben. Kundenanlagen sind regulierungsfreie Energieanlagen, die günstig Strom anbieten können, da Netzentgelte und Umlagen nicht anfallen. Der Gesetzgeber hat damit auch den Ausbau der Versorgung mit erneuerbarer Energie, insbesondere durch sog. Quartiers-lösungen, gefördert.

Die umfangreichen energiewirtschaftlichen Pflichten knüpfen an den Begriff des Betreibers von Elektrizi-tätsverteilernetzen in § 3 Nr. 3 EnWG an. Nach § 3 Nr. 16 EnWG gehören Kundenanlagen, die die Voraussetzungen des § 3 Nr. 24a und 24b EnWG erfüllen, nicht zu den Energieversorgungsnetzen. Das Problem ist, dass die EltRL 2019 wie auch die Vorgänger-Richtlinie die Ausnahme der Kundenanlage nicht kennt. Die EltRL 2019 definiert in Art. 2 Nr. 28 und Nr. 29 die Begriffe Verteilung und Verteilernetzbetreiber. Nach dem Urteil des EuGH dürfen von dem so definierten Anwendungsbereich nur die in der EltRL selbst vorgesehenen Ausnahmen gemacht werden. Die Kundenanlage nach deutschem Recht fällt nicht unter diese Ausnahmen. EU-Richtlinien gelten nicht unmittelbar, sondern müssen erst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Es gilt aber ein Anwendungsvorrang für das EU-Recht. Soweit möglich müssen Gerichte das nationale Recht richtlinienkonform auslegen. Das war die Aufgabe des BGH in dem Beschluss vom 13. Mai. In Umsetzung des Urteils des EuGH hat der BGH entschieden, dass eine Leitungsanlage, die europarechtlich ein Verteilernetz darstellt, keine Kundenanlage ist.

Was sind die Folgen der Entscheidung?

Die Folgen sind schwer abzuschätzen, weil die europarechtlichen Begriffe des Verteilernetzes und des Verteilernetzbetreibers unklar geblieben sind. Jedenfalls fallen wohl dezentrale Versorgungskonzepte, bei denen Strom über ein Leitungsnetz an die Bewohner auf mehreren Grundstücken geliefert wird, nicht mehr unter die Regulierungsausnahmen, die an die Kundenanlagen anknüpfen. Für sie gelten nunmehr die allgemeinen Regeln für Energieversorgungsunternehmen.

Der EuGH hatte sich nicht zu Mieterstrom- oder Ge-bäudestrommodellen zu äußern. Der BGH sieht noch einen Anwendungsbereich der Kundenanlage, wenn die Leitungsanlage der Weiterleitung von Elektrizität dient, die nicht zum Verkauf bestimmt ist (Rn. 29 des Beschlusses). Als Beispiel nennt der BGH Energieanlagen, die der Eigenversorgung der Betreiber dienen, „also beispielsweise mit Erzeugungsanlagen verbundene Leitungssysteme, die von Eigentümern einer Wohnungseigentumsanlage [...] gemeinsam betrieben und genutzt werden.“ Es erscheint fraglich, ob dem BGH dabei das Modell des Gebäudestroms vor Augen stand. Sowohl beim Mieterstrom als auch beim Gebäudestrom wird der Strom an Letztverbraucher verkauft. Bei beiden Modellen ist außerdem Voraussetzung, dass der Strom nicht durch ein Netz durchgeleitet wird. Es besteht eine gewisse Gefahr, dass sogar das Leitungsnetz in einem Gebäude als Verteilernetz angesehen wird und der Betreiber der Photovoltaik-Anlage als Verteilernetzbetreiber. Das liegt nach meiner Ansicht aber nicht nahe. Art. 2 Nr. 29 EltRL 2019 spricht von der Verantwortlichkeit für das Verteilernetz „in einem bestimmten Gebiet“. Beim Mieterstrom bleibt alles beim Alten, wenn ein Grundstück auch europarechtlich kein Gebiet ist!