21.04.2017 Ausgabe: 3/2017

Mietminderungen bei Umweltmängeln

(BGH, Urteil vom 29.4.2015 – VIII ZR 197/14, nachfolgend: LG München I, Urteil vom 14.1.2016 –
31 S 20691/14; LG München I, Urteil vom 27.10.2016 – 31 S 58/16; LG Kempten, Urteil vom 11.5.2016 – 52 S 2022/15)

DAS THEMA

Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Mietminderungen bei Umweltmängeln ist seit der „Bolzplatz-Entscheidung“ des BGH (vom 29.4.2015) im Umbruch. Häufig sind Mieter und Vermieter gleichermaßen dem Lärm von Nachbargrundstücken ausgesetzt, gegen den der Vermieter sich gegenüber dem Nachbarn nicht im Rahmen des Nachbarrechts widersetzen kann. Vor der Bolzplatz-Entscheidung lief der Vermieter Gefahr, dass ein Mieter aus solchen Belastungen vonseiten des Nachbargrundstücks erhebliche Mietminderungen ableiten konnte, der Vermieter sich hierfür im Rahmen der Rechtsprechung zum „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“ jedoch keinen adäquaten Ersatz von Nachbarn holen konnte. Mit der „Bolzplatz-Entscheidung“ hat der BGH, verkürzt gesagt, dieses Risiko jedenfalls bei hinzunehmenden dauernden Lärmbelastungen (von einem baurechtlich zulässigen Bolzplatz) auf die Mieter abgewälzt. Mehrere Landgerichte haben diese Entscheidung auf (vorübergehenden) Baulärm von benachbarten Baustellen ausgedehnt, mit teilweise unterschiedlicher Beweislastverteilung. Besonders weitgehend erscheint hier die erst kürzlich veröffentlichte Entscheidung des LG Kempten von Mai 2016, nach der Mietminderungen nur noch in Betracht kommen, wenn die Mieter nachweisen, dass der Vermieter vom Nachbarn eine Entschädigung nach den nachbarrechtlichen Vorgaben hätte erlangen können.

DER FALL

Im „Bolzplatz-Urteil“ des BGH hatten Mieter, die schon seit vielen Jahren in der Erdgeschosswohnung wohnten und die dazugehörige Terrasse nutzten, Mietminderungen geltend gemacht, weil der Sportplatz der unmittelbar benachbarten Schule – baurechtlich zulässig – in einen Bolzplatz umgestaltet worden war und damit nicht nur entsprechend der vorgegebenen Betriebszeiten durch jüngere Kinder, sondern auch später zu den Abendstunden von Jugendlichen als Treffpunkt genutzt wurde. Der BGH gibt folgende Prüfungsreihenfolge vor: Zunächst ist aus dem Mietvertrag zu entnehmen, ob hier konkrete Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache, insbesondere Lage und Lärmbelastung des Mietobjekts, getroffen worden sind. Hier weist der BGH ausdrücklich darauf hin, dass solche Abreden auch stillschweigend getroffen werden können, dies jedoch ebenfalls eine Willensäußerung des Vermieters voraussetzt. Beispielsweise genügt es nicht, wenn der Mieter zum Ausdruck bringt, dass er erheblichen Wert auf eine ruhige Lage lege, darüber hinaus muss der Vermieter deutlich machen, dass er für diese Anforderung zu Beginn des Mietverhältnisses und für die gesamte Dauer des Mietverhältnisses Verantwortung und Risiko übernehmen und sich damit diesen Wunsch des Mieters zu eigen machen will. Da eine konkludente Vereinbarung in dieser Form in der Regel nicht nachweisbar ist, ergeben sich die Parteiabreden aus ergänzender Vertragsauslegung, insbesondere unter Beachtung der Verkehrsanschauung und des Grundsatzes von Treu und Glauben. Hätten die Parteien bei Abschluss des Mietvertrags die zukünftige Entwicklung bedacht, so hätten sie nach Auffassung des BGH keine unbedingte Einstandspflicht des Vermieters für jegliche Umweltmängel vereinbart. Eine solche Einstandspflicht hätte der Vermieter wohl nur dann übernommen, wenn er selbst eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten hat. Den Vermieter trifft zwar die Pflicht, von Dritten ausgehende Störungen von den Mietern fernzuhalten und gegen den Störer im Rahmen des rechtlich und tatsächlich möglichen vorzugehen, jedoch nur im Rahmen der nachbarrechtlichen Duldungspflichten und der dort gegebenen Abwehr- und Ausgleichsmöglichkeiten und nicht darüber hinaus. Vielmehr nimmt der Mieter an der Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks sowie den Umwelteinwirkungen und -veränderungen in dem Umfang teil, in dem der Vermieter diese im Rahmen des Nachbarrechts nicht beeinflussen kann.
Obwohl sich das „Bolzplatz-Urteil“ nur auf eine Dauerlärmbelästigung bezog, die im Rahmen des Immissionsschutzrechts zu beurteilen war, hat das LG München I in seinem Urteil vom 14.1.2016 diese – soweit veröffentlicht – erstmals auf eine vorübergehende Lärmbelastung durch eine in der Nachbarschaft befindliche Großbaustelle übertragen. Das BGH-Urteil gilt nach Auffassung des LG München I für alle aus der Nachbarschaft stammenden Einwirkungen und Veränderungsrisiken. Nach dieser Entscheidung und nach dem weiteren Urteil des LG München I ist jedoch der Vermieter dafür beweisbelastet, dass ihm keinerlei rechtliche Abwehrmöglichkeiten gegen den Nachbarn/Bauherrn zugestanden hätten, dass sich also der Baulärm bzw. die sonstigen Einwirkungen vom Nachbargrundstück im Rahmen des Angemessenen und Ortsüblichen halten. Der Vermieter muss daher beweisen, dass die Baustelle alle Auflagen und sonstigen Vorgaben aus dem öffentlichen Baurecht einhält und keine oder nur ganz vereinzelte darüber hinausgehende Lärmspitzen produziert, die weder zu einem Abwehrrecht des Vermieters gegenüber dem Nachbarn noch zu einer entsprechenden Entschädigung hätten führen können. Dieser Darlegungs- und Beweislast wird der Vermieter in der Regel nur in Zusammenarbeit mit dem Nachbarn/Bauherren nachkommen können.
Anders entscheidet jedoch das LG Kempten und legt die Beweislast den Mietern auf. Die Mieter möchten aus der ergänzenden Vertragsauslegung des Mietvertrags zu ihren Gunsten eine Mietminderung ableiten und sind daher nach allgemeinen Grundsätzen beweisbelastet, für die Frage, ob der Vermieter einen Abwehr- oder Entschädigungsanspruch gegen den Nachbarn/Bauherren gehabt hätte. Dieser Beweislast können die Mieter in der Regel nur durch den Nachweis erheblicher Lärmbelastung nachkommen. In dem vom LG Kempten entschiedenen Fall stand zum Beispiel auch die Baustelleneinrichtung in der Debatte (Aufstellung einer Schneidmaschine unmittelbar vor dem Balkon der Mieter). Diese „Auswüchse“, gegen die dem Vermieter wohl ein Abwehr- bzw. Entschädigungsanspruch und damit dem Mieter auch ein Minderungsanspruch zugestanden hätten, waren jedoch im entschiedenen Fall durch eine vom Vermieter bereits außergerichtlich gewährte Mietminderung schon abgedeckt.

Verwalter­strategie

Rechtlich betrachtet ist der Vermieter nun deutlich besser gestellt, da er nicht mehr das Risiko trägt, zwischen den Stühlen zu sitzen, nämlich dem des Mietminderungsrechts und dem des recht großzügigen und – zumindest was die Höhe von ausgeurteilten Entschädigungen betrifft – wenig greifbaren Nachbarrechts. Folgt man jedoch der Beweislastverteilung des LG München I zu Lasten des Vermieters, so wird der Vermieter tatsächlich im Prozess ähnlich detailliert wie bisher vorzutragen haben und nachweisen müssen, dass sich die Baustelle im Rahmen des Ortsüblichen und der bestehenden Vorschriften und Auflagen hält. Dies wird dem Vermieter in der Regel nur in Zusammenarbeit mit dem Nachbarn/Bauherrn gelingen, die entweder durch eine vorgerichtliche Vereinbarung oder durch eine Streitverkündung erreicht werden kann. Grundsätzlich sind jedoch die Entscheidungen durchaus geeignet, dem Vermieter eine deutlich verbesserte Rechtsposition gegenüber Minderungsansprüchen seines Mieters wegen Umweltmängeln zu verschaffen. Der Mieter wird dadurch mit sämtlichen Lärmrisiken belastet, die aus der gegebenen Grundstücksituation zukünftig entstehen.

Fotos: © Dusty Cline, stockfotoart / Shutterstock.com


Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.