01.06.2016 Ausgabe: 4/2016

Nur willentlich durch den Bauträger eingeräumter Besitz führt zur Entstehung der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft

(BGH, Urteil vom 11.12.2015, Az.: V ZR 80/15)

DAS THEMA

Zur „werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft“ sind in jüngster Zeit mehrere Entscheidungen ergangen
(siehe auch Heft 7/15 zu BGH, Urteil vom 24.7.2015, Az.: V ZR 275/14). In allen Entscheidungen hebt der BGH zunächst den Zweck hervor, zu dem die Rechtsfigur der „werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft“ geschaffen wurde. Die Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Gesetz entsteht erst, wenn das Eigentum vom Bauträger auf den ersten Wohnungseigentümer umgeschrieben ist. Bis zu dieser  Eigentumsumschreibung im Grundbuch kann einige Zeit vergehen. In dieser Zeit sind in der Regel die Wohnungen bereits übergeben und
bewohnt, es entstehen Verbrauchskosten und Versicherungsthemen. Insbesondere sind Abnahme und Gewährleistung zu regeln. Für all diese Themen wäre sachlich-rechtlich bis zur Umschreibung auf den ersten Eigentümer eigentlich noch der Bauträger zuständig. Da es aber weder im Sinne der Erwerber und späteren Wohnungseigentümer ist, dem Bauträger entsprechende Entscheidungen zu überlassen, noch es im Sinne des Bauträgers sein kann, mit den Kosten und Ausgaben zunächst belastet zu werden, hat die Rechtsprechung die „werdende  Wohnungseigentümergemeinschaft“ entwickelt. Voraussetzung für die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft ist gerade nicht die Eigentums­umschreibung, es genügt vielmehr ein durch Auflassungsvormerkung gesicherter Übereignungsanspruch. Hinzukommen muss natürlich ein Erwerbsvertrag, und der Erwerber muss außerdem Besitz an der Wohnung erlangt haben. Diese letzte Voraussetzung der Besitzerlangung war bis jetzt in der Rechtsprechung nicht detailliert diskutiert worden; der vorliegend entschiedene Fall gab hierzu Anlass.

DER FALL

Im vorliegenden Fall verkaufte der beklagte Bauträger die Wohnungen Nr. 1 und 2 an die Erwerberin A), die Wohnung Nr. 3 an die Erwerberin B) und die Wohnungen Nr. 4 und 5 an die Erwerberin C). Für alle Wohnungen wurden Auflassungsvormerkungen eingetragen, womit die ersten beiden Voraussetzungen für die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft erfüllt waren. An jede Erwerberin wurde eine Wohnung offiziell übergeben. Die Wohnung Nr. 1 für die Erwerberin A) und die Wohnung Nr. 4 für die Erwerberin C) wurde jedoch nicht rechtzeitig fertiggestellt und auch nicht übergeben. Allerdings nahmen beide Erwerberinnen die noch unverschlossenen Wohnungen in Besitz, indem sie dort bereits Möbel einlagerten. Zudem wurden die Schlüssel des gesamten Objekts ausgewechselt, sodass der beklagte Bauträger keinen Zutritt mehr zum Objekt hatte. Die werdende WEG als Klägerin verlangt vom beklagten Bauträger die Hausgeldzahlungen für die noch nicht übergebenen Wohnungen Nr. 1 und Nr. 4. Dieser verweigert die Zahlung mit dem Hinweis, dass er selbst keinen Besitz an den Wohnungen mehr habe, sondern die Erwerberinnen A) und C) jeweils unstreitig Besitz an der Wohnung haben, obwohl keine offizielle Besitzübergabe stattgefunden hat. Der Bauträger war der Auffassung, dass er deshalb nicht mehr Mitglied der werdenden WEG sei, sondern diese ausschließlich aus den drei Erwerberinnen bestehe und diese die Hausgelder zu tragen hätten. Für die Entscheidung dieser Frage kam es deshalb darauf an, ob die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft nur entsteht, wenn die Erwerber den Besitz an der jeweiligen Wohnung tatsächlich durch willentliche Übergabe vom Bauträger an den Erwerber erhalten haben, oder ob eine Inbesitznahme durch die Erwerber mit gleichzeitigem Besitzausschluss des Bauträgers genügt.

Der BGH stellt zunächst dar, dass bislang nicht entschieden wurde, ob Voraussetzung für die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft ist, dass der Bauträger dem Erwerber den Besitz verschaffen muss (Übergabe), da in allen bisherigen Entscheidungen zur werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft seit 2008 eine willentliche Übergabe und Besitzeinräumung vom Bauträger an den Erwerber vorlag. Der BGH weist weiter darauf hin, dass die Stellung als „werdender Wohnungseigentümer“ nur insgesamt vom Bauträger auf den Erwerber übergehen kann. Mit der Übertragung des Stimmrechts ist also auch die Übernahme von Kosten und Lasten des Wohnungseigentums verbunden.
Umgekehrt ist der Verlust des Stimmrechts gekoppelt mit der Befreiung von den Kosten und Lasten des Wohnungseigentums. Diese Mieter-Stellung kann der Bauträger als Mitglied der werdenden Eigentümergemeinschaft nicht ohne oder gegen seinen freien Willen verlieren und aus der Gemeinschaft gedrängt werden. Es muss daher ein Willensakt des Bauträgers stattfinden, in dem sich der Verzicht auf die Mitgliedschaftsrechte in der werdenden Eigentümergemeinschaft unter gleichzeitiger Befreiung von der Pflicht zur Kosten- und Lastentragung manifestiert. Dieser Akt ist die Übergabe. Der BGH kommt daher zum Ergebnis, dass als werdender Wohnungseigentümer nur angesehen werden kann, wer den Besitz an der Wohnung durch Übergabe vom Bauträger erlangt hat.

Dem steht nach BGH auch nicht die Notwendigkeit entgegen, dass die Mitglieder der werdenden WEG eindeutig ermittelt werden müssen, insbesondere, wenn der Verwalter zu Versammlungen der werdenden WEG einzuladen hat und diese am Anfang häufig weitreichende (Abnahme und Gewährleistung!) Beschlüsse zu treffen hat. Die werdende WEG und der Verwalter können grundsätzlich davon ausgehen, dass eine willentliche Übergabe stattgefunden hat, wenn die Wohnung bezogen ist. Anderes gilt nur dann, wenn der Bauträger – wie hier geschehen – plausible Gründe mitteilt, dass der Einzug ohne vorherige Übergabe erfolgt ist. In diesem Fall gilt der noch im Grundbuch als Eigentümer eingetragene Bauträger weiterhin als Eigentümer. Ist umgekehrt die Wohnung noch nicht bezogen, so gilt im Zweifel der Bauträger als Eigentümer. Es obliegt hier dem Erwerber, mitzuteilen, dass eine Übergabe bereits stattgefunden hat, so dass auch in diesem Falle die Grundbucheintragung maßgeblich ist.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass sich der Bauträger im Innenverhältnis zu den einzelnen Erwerbern gegebenenfalls auf Besitzschutzansprüche und Freistellungsansprüche berufen kann, obwohl er zunächst gegenüber der werdenden WEG als Verband haftet.

Verwalter­strategie

Ist eine werdende WEG in der Verwaltung, so ist höchste Aufmerksamkeit bei Ermittlung der WEG-Mitglieder geboten. Als werdende WEG-Mitglieder sind nur diejenigen Erwerber anzusehen, die einen Kaufvertrag, eine Auflassungsvormerkung und ein Übergabeprotokoll oder sonst den Nachweis einer willentlichen Übergabe vom Bauträger auf sie vorweisen können. Liegt die dritte Voraussetzung – Übergabeprotokoll – nicht vor, ist gegebenenfalls beim Bauträger sowie beim Erwerber rückzufragen.

Wir dürfen insoweit auch nochmals auf unsere Besprechung in Heft 7/2015, BGH, Urteil vom 24.7.2015, Az.:
V ZR 275/14, verweisen, die umgekehrt die werdende WEG bei einem „Wieder-Verkauf“ der Wohnungen abgrenzt. Der Zweiterwerber wird nicht Mitglied der werdenden WEG, vielmehr können die oben genannten Voraussetzungen, insbesondere Übergabe vom Bauträger, nur beim Ersterwerber erfüllt sein.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.