WEG-Recht

»1a! - die virtuelle Versammlung ist da!«

Lange hat es gedauert, bis der Gesetzgeber sich durchringen konnte, das fehlende Puzzleteil unter den Versammlungsformaten auch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Hand zu geben. Der Referentenentwurf war vom Bundesjustizministerium am 31. Mai 2023 vorgelegt worden, anschließend zog sich das Gesetzgebungsverfahren in die Länge, weil Justiz, Lobbyverbände und Politik Tauziehen mussten. Nun ist es geschafft. Seit dem 17. Oktober 2024 ist der neue § 23 Abs. 1a WEG in Kraft. Er verleiht Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz zur Legitimation virtueller Wohnungseigentümerversammlungen. Zuvor gab es nur die Präsenzversammlung, sei es ganz traditionell in physisch-realer Form, sei es als hybrides Format mit der Berechtigung, sich online zur Präsenzversammlung zuzuschalten. Vollkommen uneingeschränkt wollte der Gesetzgeber die Wahl des Versammlungsformats indes nicht in die Hände der Gemeinschaften legen. Aus Gründen des Minderheitenschutzes sieht eine Übergangsvorschrift bis einschließlich 2028 eine obligatorische jährliche Präsenzversammlung vor, sofern die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten (§ 48 Abs. 6 Satz 1 WEG).

Der Gesetzestext seit dem 17. Oktober 2024 (Auszug)

§ 23 Absatz 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG): Angelegenheiten, über die nach diesem Gesetz oder nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können, werden durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet. Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.

§ 23 Absatz 1a WEG: Die Wohnungseigentümer können mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerversammlung). Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung muss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein.

§ 48 Absatz 6 WEG: Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1. Januar 2028 einen Beschluss nach § 23 Absatz 1a, ist bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchzuführen, sofern die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse.

Fazit für Verwalter

Die Einführung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen ist nicht länger vereinbarungsbedürftig (§ 10 WEG) und daher de facto nicht mehr unmöglich. Mit einer qualifizierten Mehrheit können Wohnungseigentümer die virtuelle Versammlung legitimieren. § 23 Abs. 1a WEG gibt ihnen Beschlusskompetenz. Dies bedeutet, dass der Beschluss von der erforderlichen Beschlusskompetenz getragen und jedenfalls nicht nichtig ist. Inwieweit der Beschluss rechtmäßig ist, also ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, ist eine andere Frage, über die sich Wohnungseigentümer und Verwalter vor der Beschlussfassung Gedanken machen sollten und deren Beantwortung im Streitfall dem Gericht vorbehalten ist.

§ 23 Abs. 1a Satz 1 WEG enthält zwei Alternativen: Die virtuelle Versammlung soll als zwingend verbindlich eingeführt werden können (Alternative 1: „stattfindet“) oder dem pflichtgemäßen Einberufungsermessen unterstellt werden können (Alternative 2: „stattfinden kann“). Im Gesetzgebungsverfahren, u. a. in der Anhörung von Experten im Rechtsausschuss, wurde die Ansicht vertreten, dass ein Beschluss auf der Grundlage der 1. Alternative per se ordnungsmäßiger Verwaltung entspräche, da der Gesetzgeber sie sonst nicht in das Gesetz eingefügt hätte. Das ist zweifelhaft. Das gesamte Beschlussmängelsystem des Wohnungseigentumsrechts baut auf der Unterscheidung zwischen Beschlusskompetenz und Rechtmäßigkeit auf. Verleiht das Gesetz oder die Gemeinschaftsordnung („Öffnungsklausel“) der Mehrheit eine Beschlusskompetenz, um in Angelegenheiten der Verwaltung mehrheitlich entscheiden und die Minderheit überstimmen zu können, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Mehrheitswille rechtlich einwandfrei ist. Insofern spricht einiges dafür, dass Legitimationsbeschlüsse auf Basis von § 23 Abs. 1a Alternative 1 WEG, die „sofort aufs Ganze gehen“ und andere Formate für drei Jahre kategorisch verbieten, weniger rechtssicher sein könnten. Vorzugswürdiger erscheint die Beschlussfassung auf Basis von § 23 Abs. 1a Alternative 2 WEG. Sie unterstellt die Abwägung und Entscheidung, in welchem Format die konkret einzuberufende Versammlung stattfindet, dem pflichtgemäßen Ermessen der einberufenden Person. Im Regelfall ist dies der bestellte Verwalter. Ausnahmsweise kann dies aber auch der Vorsitzende des Verwaltungsbeirat, sein Stellvertreter oder ein durch Beschluss dazu ermächtigt der Wohnungseigentümer sein. Die Auswahl des passenden Versammlungsformats wäre dann ein weiterer der zahlreichen Punkte, die im Zeitpunkt der Einberufung der Versammlung abgewogen und entschieden werden müssen, wie etwa auch Datum, Ort, Uhrzeit, Dauer und Tagesordnungspunkte. 

Der Verwalter darf die Legitimierung der virtuellen Eigentümerversammlung ungefragt „von Amts wegen“ als TOP auf die Tagesordnung setzen. Wer als Verwalter die Willensbildung optimieren und die virtuelle Versammlung vorantreiben will, fügt der Einladung außerdem Informationsmaterial bei, um Hemmschwellen abzubauen und Vertrauen zu schaffen.

Zur Legitimierung der online-Teilnahme an der Präsenzversammlung (hybrides Format) genügt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG ein einfacher Mehrheitsbeschluss, also die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen (mehr Ja als Nein-Stimmen). Zur Legitimierung der virtuellen Eigentümerversammlung (virtuelles Format) ist die Hürde höher. Erforderlich sind mehr als drei Viertel der abgegebenen Stimmen, also nicht etwa aller Eigentümer. Einstimmigkeit – im Sinne der Vereinbarung – ist für die virtuelle Versammlung nicht länger erforderlich. Soweit in der Übergangsvorschrift des § 48 Abs. 6 WEG von Einstimmigkeit die Rede ist, dürfte ebenfalls nicht Einstimmigkeit aller im Sinne einer Vereinbarung gemeint sein, sondern der „einstimmige Mehrheitsbeschluss“. Die obligatorische jährliche Präsenzversammlung bis einschließlich 2028 kann und darf also bereits dann unterbleiben, wenn kein Wohnungseigentümer beim Antrag, die Präsenzversammlung ausfallen zu lassen, mit Nein stimmt.

Wegen der unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse darf die Legitimierung von hybrider und virtueller Wohnungseigentümerversammlung nicht in einem Beschluss erfolgen. Zwar erfüllt die erreichte qualifizierte Mehrheit für das virtuelle Format zugleich die einfache Mehrheit für das hybride Format, die Anforderungen an die Formulierung des Beschlussantrages und die Art und Weise der Stimmenauszählung sowie Moderation des Beschlussgegenstandes sind aber sehr hoch und haftungsrechtlich für den Versammlungsleitenden. Empfehlenswert ist daher die Aufteilung in getrennte Beschlussgegenstände und Anträge.

Existiert im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Legitimierung der virtuellen Versammlung bereits ein Beschluss, der die hybride Versammlung gestattet, sollten sich Gemeinschaft und Verwalter Gedanken machen, in welchem Verhältnis die Beschlüsse zueinanderstehen. Gegebenenfalls kommen hier ergänzende oder aufhebende Zweitbeschlüsse und die hierfür geltenden Rechtsregeln zur Anwendung.

Legen sich Gemeinschaften mit qualifizierter Mehrheit auf die virtuelle Eigentümerversammlung fest, ist der Verwalter verpflichtet, diesen Beschluss zu beachten. Für ihn ist das Gemeinschaftsrecht in der jeweils geltenden Fassung verbindlich. Lehnt er das ab, bleibt ihm nur die Amtsniederlegung. Andererseits kommt in Betracht, dass Verwalter sich für den besonderen Verwaltungsaufwand, den die virtuelle Versammlung auslöst, eine angemessene Verwaltervergütung zusagen lassen. Die Anspruchsgrundlage ist optimalerweise bereits durch eine Regelung im Verwaltervertrag gelegt und kann durch einen Beschluss nach § 23 Abs. 1a WEG ausgelöst bzw. vervollständigt werden. Kosten der virtuellen Versammlung sind im Grundsatz Verwaltungskosten und von der Gemeinschaft zu tragen. Insoweit sollte nichts anderes gelten als bei der Miete für die Anmietung eines realen (analogen) Versammlungsraums an einem realen Ort.

Fazit für Wohnungseigentümer und Verwaltungsbeiräte

Aufgrund der - selbst in einem digitalen Schwellenland wie der Bundesrepublik Deutschland - mittlerweile erreichten Verbreitung der Zugangsmöglichkeiten zum Internet lässt sich nicht mehr behaupten, dass die Angewiesenheit auf elektronische Kommunikationsmittel für Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer eine unüberwindbare Hürde zur Teilnahme an einer virtuellen Eigentümerversammlung bildet. Dabei ist darauf zu achten, dass die Ausübung der Rechte im virtuellen Format dem Niveau der Rechteausübung in der Präsenzveranstaltung angeglichen wird, so dass die Wohnungseigentümer ihre Rechte im gleichen oder zumindest vergleichbaren Umfang wie in der Präsenzversammlung ausüben können. So ist es in § 23 Abs. 1a Satz 2 WEG gesetzlich vorgegeben. Die Rechteausübung in der virtuellen Versammlung muss der in der Präsenzversammlung demnach mindestens vergleichbar sein. Gemeint sind Teilnahmerecht, Antragsrecht, Rede-, Frage- und Antwortrecht, Diskussionsmöglichkeiten und das Stimmrecht. Die Vorschrift hat meiner Einschätzung nach Auswirkungen auf den älteren § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG, der seit 1. Dezember 2020 im Gesetz steht und das hybride Versammlungsformat ermöglicht. Der technisch erreichte Standard und die inzwischen erreichte praktische Übung bei der Nutzung elektronischer Formate und Videokonferenzsystemen in allen Teilen und Altersgruppen der Gesellschaft führt meiner Meinung nach dazu, dass Beschlüsse zur hybriden Präsenzversammlung mit Rechteeinschränkungen (z. B. kein Rederecht oder nur Textformbeiträge im Chat für hybride Teilnehmer) ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen und erfolgreich gerichtlich angreifbar sind.

Während ein einzelner Wohnungseigentümer durch seine fehlende Zustimmung zu einer Vereinbarung die virtuelle Versammlung als Versammlungsformat bis vor kurzem noch erfolgreich abwehren konnte, kann und darf er nunmehr von einer qualifizierten Mehrheit überstimmt werden. Rechtsfolge ist, dass er und andere Wohnungseigentümer sich proaktiv darum kümmern müssen, sich im Wege elektronischer Kommunikation Zugang zur virtuellen Wohnungseigentümerversammlung zu verschaffen, sofern er nicht nur per Stimmrechtsvollmacht die Willensbildung innerhalb der Gemeinschaft mitgestalten will.

Virtuelle Wohnungseigentümerversammlungen sind nicht automatisch gestattet und auch nicht per se der Verwaltungshoheit des von der Gemeinschaft bestellten Verwalters unterstellt. Stattdessen bedarf es eines Willensaktes der Wohnungseigentümer, um das virtuelle Format »scharf zu schalten«. Ist der positive Beschluss zustande gekommen, darf der Verwalter die virtuelle Versammlung einberufen.

Wohnungseigentümer, die den Verzicht auf die obligatorische Präsenzversammlung bis einschließlich 2028 verhindern möchten, sollten bei einer Beschlussfassung ihre Gegenstimme abgeben, etwa auch per Stimmrechtsvollmacht mit Weisung, wenn sie nicht persönlich teilnehmen. Die Nein-Stimme verhindert den einstimmigen Mehrheitsbeschluss im Sinne der Vorschrift.

Fazit für die Wohnungseigentümergemeinschaft

Das hybride Versammlungsformat, das seit dem 1.12.2020 über einen einfachen Mehrheitsbeschluss legitimiert werden kann (§ 23 Abs. 1 Satz 2 WEG) hat sich in der Praxis nicht bewährt. Der doppelte Teilnehmerkreis bereitet praktische und technische Schwierigkeiten. Das rein virtuelle Format behandelt alle Wohnungseigentümer gleich und gestattet es auch dem Verwalter, nicht am Ort der Wohnanlage oder des eigenen Geschäftssitzes teilnehmen zu müssen und einen Präsenzraum zur Verfügung zu stellen. Versammlungsort ist das Cyberspace, eine physische Teilnahme durch körperliche Anwesenheit ist unmöglich, auch wenn die teilnehmenden Personen an unterschiedlichen realen Orten an ihrem digitalen Endgerät sitzen. Gleichwohl ist es denkbar, dass sich mehrere Wohnungseigentümer treffen, um sich elektronisch in die Versammlung zu schalten, oder die Gemeinschaft oder der Verwalter hierfür Räume mietet, vermietet oder sonst wie zur Verfügung stellt. Verpflichtend ist das aber nicht. Bei der klassischen oder hybriden Präsenzversammlung hingegen ist zumindest der Verwalter als Versammlungsleiter im Versammlungsraum am Versammlungsort körperlich präsent, also selbst dann, wenn es sich um „Geisterspiel“ handelt (Vertreterversammlung), in der kein einziger Wohnungseigentümer persönlich oder online erscheint, sondern lediglich Vollmachten erteilt wurden

Nach der gegenwärtig herrschenden Rechtsmeinung ist kein Wohnungseigentümer gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet, Auskunft zu erteilen, ob er oder ein (zulässiger) Stimmrechtsbevollmächtigter zu der nächsten Eigentümerversammlung persönlich erscheinen möchte, Vollmachten erteilt oder online erscheinen will. Die fehlende Verpflichtung schließt nicht aus, dass ein Wohnungseigentümer sich diesbezüglich freiwillig erklärt, um der Gemeinschaft die Planung und Durchführung der Versammlung zu erleichtern. Stellt sich kurz vor der gesetzlich vorgeschriebenen obligatorischen jährlichen Versammlung heraus, dass kein Wohnungseigentümer persönlich teilnehmen will, kann es unter Umständen rechtmäßig sein, wenn auch diese Versammlung virtuell durchgeführt wird. Nichtig oder erfolgreich gerichtlich anfechtbar sind Beschlüsse einer virtuellen Versammlung zumindest aus Gründen des gewählten virtuellen Formats nicht, wie § 48 Abs. 6 Satz 2 WEG ausdrücklich feststellt.

§ 48 Abs. 6 WEG ist eine gesetzliche Pflicht. Satz 2 spricht explizit davon. Adressat der Pflicht ist die GdWE. Präsenzversammlung im Sinne von § 48 Abs. 6 ist auch die hybride Versammlung. Sie ist eine Präsenzversammlung, in die man sich online zuschalten darf. Bis auf weiteres sollten Gemeinschaften sich darauf einstellen, bis zum Ende des Kalenderjahres immer noch eine Präsenzversammlung mit mindestens einem Beschlussgegenstand im Köcher zu haben. Manch einer ist der Meinung, dass selbst der Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ ausreichen soll, um in Präsenz zu laden. Andererseits könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Einberufung einer Versammlung ohne Sachanträge ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht. Diskussionswürdig ist es, ob für die Präsenzversammlung TOP zur Entlastung von Verwalter und Beirat oder ein TOP Beschlussfassung über Vorschüsse zu Kosten und Rücklagen gemäß Wirtschaftsplan für das kommende Kalenderjahr aufgespart wird.

 

Dr. Jan-Hendrik Schmidt 
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt 
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg 
www.wir-breiholdt.de