WEG-Recht

BGH: Notwegerecht über WEG-Grundstück nur in engen Grenzen

Grundsätzlich setzt die ordnungsmäßige Benutzung eines Wohngrundstücks die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus. Das Erreichen der Hauseingangstür per PKW rechtfertigt indessen kein Notwegerecht. Eine WEG in Hessen verteidigte sich erfolgreich gegen Ansprüche des Nachbarn.

Mit Urteil vom 22.01.2016 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 116/15 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Klage des Nachbarn auf Einräumung eines Notwegerechts (§ 917 BGB) gegen den rechtsfähigen Verband zu richten ist. Nebenbei stellt der BGH fest, dass Beschlüsse einer beschlussunfähigen Wohnungseigentümerversammlung nicht nichtig, sondern nur anfechtbar sind. 

Der Fall

Die 70 und 83 Jahre alten Kläger sind seit 1979 Eigentümer eines Hausgrundstücks. Zu diesem gehören Garagen, die etwa 8 Meter höher zur öffentlichen Straße liegen. Nachbarin ist eine WEG, deren Eigentümer bis 2011 gestattet haben, dass die Kläger über das WEG-Grundstück zum Haus fahren. Da mit einigen Mitgliedern der WEG Streit entstand, klagten die Eheleute auf Einräumung eines Notwegerechts über das WEG-Grundstück Zug um Zug gegen Zahlung einer angemessenen Notwegerente. Die WEG erhob Widerklage und beantragte, die Kläger zu verurteilen, es zu unterlassen, das WEG-Grundstück zum Gehen, Fahren oder in sonstiger Weise zu nutzen.

Die Entscheidung

Der BGH weist die Klage ab und gibt der Widerklage der WEG statt. Ein Anspruch auf Notwegerecht besteht nicht. Ob die ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks im Sinne von § 917 BGB gewährleistet ist, beurteilt sich ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten.

Persönliche Umstände der Kläger, beispielsweise deren hohes Alter, finden keine Berücksichtigung. Bei objektiver Betrachtung ist es den Klägern zumutbar, die Haustür nicht mit PKW erreichen zu können, sondern lediglich die etwa 8 Meter höher gelegenen Grundstücke an einer oberhalb des eigenen Grundstücks gelegenen öffentlichen Straße. Selbst wenn – wie die Kläger behaupteten – die Verbindungstreppe von oben nach unten zum Transport sperriger Gegenstände nicht tauglich sei, müssten die Kläger Abhilfe schaffen.

Die auf Unterlassung gerichtete Widerklage der WEG sei zulässig und begründet, da die Versammlung die Rechtsverfolgung durch Mehrheitsbeschluss an sich gezogen habe (gekorene Ausübungsbefugnis nach § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG). Dem BGH genügte es, dass erst in der Sitzung vor dem Senat das entsprechende Protokoll der Eigentümerversammlung vom 14.01.2016 vorgelegt werden konnte. Soweit die Kläger spontan rügten, dass die Versammlung ausweislich des Protokolls nicht beschlussfähig gewesen sein könne, weist der BGH diesen Einwand zurück, da allenfalls ein Anfechtungsgrund, keineswegs aber ein Nichtigkeitsgrund gegeben sei. Der Beschluss sei gültig, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt sei. Letzteres sei am Tag der Entscheidung (22.01.2016) nicht der Fall gewesen.

Fazit für den Verwalter

Saubere Beschlussanträge über das Ansichziehen der Rechtsverfolgung gehören inzwischen zum Standard-Repertoire eines professionellen gewerbsmäßigen Wohnungseigentumsverwalters. Wichtig ist, bei der Formulierung stets darauf zu achten, dass nicht etwa das fragliche Recht auf die WEG übertragen wird (im Sinne einer Abtretung), sondern lediglich die Rechtsverfolgung der für die WEG fremden Rechte der Eigentümer vom Verband „zur Chefsache“ gemacht wird. Eingebürgert hat sich hierfür das Schlagwort „Ansichziehen“.

Eine Anfechtungsklage dürfte vorliegend nicht drohen, da die Kläger nicht Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft sind. In derartigen Fällen (Klage gegen Dritte) ist es für den Verwalter weniger riskant, es mit der Einhaltung formeller Beschlussvoraussetzungen (Einladungsfrist, Tagesordnung, Beschlussfähigkeit) nicht so genau zu nehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich alle Eigentümer einig sind, gegen den Dritten prozessual vorzugehen. Entsprechende Hinweise auf formelle Mängel oder Bedenken sollte der Verwalter natürlich gleichwohl erteilen und auch im Protokoll festhalten, damit er aus der Haftung kommt.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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