WEG-Recht

Fehlt Beschlusskompetenz für Berufungsfortsetzung im Anfechtungsprozess?

Nach dem Gesetzeswortlaut ist der Verwalter nach Zustellung einer Anfechtungsklage berechtigt, den Prozess für die beklagten Wohnungseigentümer zu führen (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG). Nach einem Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg soll den (beklagten) Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz fehlen, dem Verwalter Weisungen bezüglich der Prozessführung zu erteilen. Diese Ansicht ist erstaunlich. 

Mit Urteil vom 11.09.2015 zum gerichtlichen Aktenzeichen 73 C 17/15 hat das Amtsgericht Charlottenburg eine Entscheidung getroffen, die offenbar rechtskräftig ist, hoffentlich aber nicht Schule macht. Überzeugen kann sie nämlich nicht.  

Der Fall

Bei einer anstehenden Dachterrassensanierung beschließt die Versammlung gemäß § 16 Abs. 4 WEG, dass die Finanzierung über eine Sonderumlage erfolgt, an der sich der Dachterrasseneigentümer zu 75 Prozent zu beteiligen hat, die übrigen Eigentümer zu 25 Prozent. Der Dachterrasseneigentümer (K) ficht den Beschluss an und gewinnt in erster Instanz. Der Verwalter beruft innerhalb der Berufungsfrist eine außerordentliche Eigentümerversammlung ein, die mehrheitlich beschließt, gegen das Amtsgerichtsurteil zunächst fristwahrend Berufung einzulegen. Dies geschieht über eine Rechtsanwaltskanzlei, die der Verwalter im Namen der Beklagten beauftragt. Nachdem die Rechtsanwälte die Erfolgsaussichten der Berufung geprüft und bejaht haben, findet eine weitere außerordentliche Eigentümerversammlung statt, in der mehrheitlich beschlossen wird, dass das Berufungsverfahren fortgesetzt wird und die Kanzlei das Verfahren weiterführt. K. ficht auch diesen Beschluss an. Er ist der Meinung, der Beschluss sei rechtswidrig.

Die Entscheidung

Das AG Charlottenburg stellt fest, dass die beiden das Rechtsmittel betreffenden Beschlüsse der zwei außerordentlichen Eigentümerversammlungen mangels Beschlusskompetenz nichtig sind.

Das Amtsgericht begründet seine Auffassung damit, dass das Wohnungseigentumsgesetz keine Befugnis der Eigentümermehrheit vorsehe, dem Verwalter bezüglich der Prozessführung per Mehrheitsbeschluss Weisungen zu erteilen. Vielmehr gäbe es eine solche Beschlusskompetenz nur bei Rechtsstreitigkeiten des rechtsfähigen Verbandes, der jedoch am Anfechtungsrechtsstreit nicht beteiligt sei.

Gegen das Urteil des AG Charlottenburg wurde nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge keine Berufung eingelegt. Das Urteil dürfte mithin rechtskräftig sein. Dass es damit auch inhaltlich richtig ist, steht dadurch indessen nicht fest. Die Argumentation des Amtsgerichts Charlottenburg kann nach hier vertretener Ansicht nicht überzeugen.

Richtig ist, dass der Verwalter eine gesetzliche Vertretungsmacht besitzt, im Anfechtungsprozess den angegriffenen Mehrheitsbeschluss für die Beklagten zu verteidigen und den Rechtsstreit für die Beklagten zu führen. Eine solche Prozessführungsberechtigung umfasst im Wortlaut danach nicht nur die Erteilung einer Verteidigungsanzeige, sondern die Prozessführung einschließlich sämtlicher Prozesshandlungen insgesamt.

Gleichwohl ist anerkannt, dass den Beklagten der Verwalter als Prozessführungsberechtigter nicht „vor die Nase gesetzt werden kann“, ohne dass die Beklagten selbst entscheiden, ob und inwieweit sie sich anwaltlich oder persönlich verteidigen möchten. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass die in § 27 WEG geregelten Befugnisse des Verwalters den Wohnungseigentümern nicht ihre eigene Entscheidungsmacht und ihre gemeinschaftliche Geschäftsführungsbefugnis nehmen; die Wohnungseigentümer sind deshalb nicht gehindert, die Einberufung einer Eigentümerversammlung zu verlangen, um dort die Auswahl eines Rechtsanwalts zu treffen oder über die Durchführung oder Rücknahme eines Rechtsmittels zu entscheiden, oder dem Verwalter Weisungen zu erteilen (so etwa BGH, Urteil vom 05.07.2013 – 5 ZR 241/12 Rn 15 mit weiteren Nachweisen). In demselben Sinne entschied auch das Landgericht Frankfurt / Main in einem Urteil vom 05.08.2013 – 2-13 S 32/13.

Fazit für den Verwalter

Nach vorherrschender Rechtsmeinung haben Wohnungseigentümer die Beschlusskompetenz, um durch einfache Mehrheit darüber zu beschließen, ob Prozesse geführt, Anfechtungsklagen anerkannt, Berufungen eingelegt oder zurückgenommen oder sonstige Rechtsbehelfe ergriffen werden sollen. Dies gilt auch in Bereichen, in denen der Verwalter über eine gesetzliche Vertretungsmacht verfügt.

Das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg zwingt Verwalter nicht zu einem Umdenken, insbesondere auch nicht in haftungsrechtlicher Hinsicht. Vorerst handelt es sich um eine Außenseiterentscheidung, die bisher keinerlei Unterstützung in der übrigen Rechtsprechung gefunden hat. Obwohl die Nichtigkeitsfolge im Raum steht, dürften sich Verwalter pflichtgemäß verhalten, wenn sie vor einer Abstimmung die Eigentümerversammlung über die abweichende Entscheidung informieren und den Hinweis erteilen, dass ein Mehrheitsbeschluss möglicherweise mangels Beschlusskompetenz nichtig sein könnte. Mehr hat der Verwalter in einer solchen Situation nicht zu entscheiden, auch wenn die Frage der Haftung für die Verkündung rechtswidriger oder nichtiger Beschlüsse höchstrichterlich noch nicht behandelt wurde.

Zuzugeben ist den Bedenken, die scheinbar hinter der Argumentation des AG Charlottenburg steht, dass es kompliziert werden kann, wenn per Mehrheitsbeschluss entschieden wird, eine eingelegte Berufung zurückzunehmen. Eigentümer, die insoweit anderer Ansicht sind, also die Berufung durchführen möchten, wären gehalten, den Mehrheitsbeschluss anzufechten und wegen der Eilbedürftigkeit den Erlass einer Einstweiligen Verfügung zu beantragen, die es dem Verwalter verbietet, den Beschluss durchzuführen, also den Rechtsanwalt, der die Beklagten vertritt, anzuweisen, die Berufung zurückzunehmen und somit die Rechtskraft des Amtsgerichtsurteils herbeizuführen.

Erkennen Eigentümer auf Beklagtenseite einen solchen Interessenkonflikt, sollten sie ohnehin darüber nachdenken, einen eigenen Rechtsanwalt mit der Rechtsmitteleinlegung zu beauftragen, damit sie selbst und unabhängig von der Mehrheitsmacht entscheiden können, ob ihre Berufung durchgezogen werden soll. Das Gesetz gestattet eine solche Vorgehensweise ohne Weiteres. Lediglich § 50 WEG bringt zum Ausdruck, dass grundsätzlich die unterliegende Partei nur die Kosten eines gegnerischen Rechtsanwalts zu tragen hat. Sollte aber – wie aufgezeigt – ein Interessenkonflikt zwischen den Beklagten bestehen, kann ausnahmsweise auch anderes gelten. Mit der Frage der Beschlusskompetenz hat all dies nichts zu tun.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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