WEG-Recht

Halbherzige Betonsanierung: Böses Erwachen für Verwalter

Geht es um teure Sanierungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum, befinden sich viele deutsche Wohnungseigentümergemeinschaften im Dornröschenschlaf. Sanierungsstau wird ausgeblendet oder allenfalls mit provisorischen Maßnahmen in Schach gehalten. Viele Verwalter meinen, im Fall einer Schadensersatzforderung damit davonzukommen, dass die Wohnungseigentümer selbst den gleichen Kenntnisstand hatten wie sie und eine Verwalterhaftung daher ausscheide. Dies ist ein Irrtum, der für den Verwalter teuer werden kann.

Mit Urteil vom 21. November 2019 zum Aktenzeichen V ZR 101/19 gab der Bundesgerichthof (BGH) der Nichtzulassungsbeschwerde einer Kölner Gemeinschaft, die ihren Ex-Verwalter auf 219.000,00 Euro Schadensersatz verklagt, statt und verwies den Fall zur neuen Verhandlung zurück an das Berufungsgericht. Dieses hatte Schadensersatzansprüche verneint und die Klage ebenso wie das Amtsgericht Köln abgewiesen.

Der Fall

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die aus mehreren Wohnungseigentümern einer Großwohnanlage mit 334 Wohnungen in Köln besteht. Die Klägerin selbst ist keine Wohnungseigentümerin, sondern verfolgt Schadensersatzansprüche mehrerer Wohnungseigentümer aus ihr abgetretenem Recht. Die Wohnanlage wurde in den 1960er-Jahren errichtet und Mitte der 1990er-Jahre nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt. Die Beklagte war von der Aufteilung bis Februar 2011 zum Verwalter bestellt. Die vier Wohngebäude haben an allen vier Fassaden Balkone, die sich über die gesamte Fassade erstrecken. Die Balkone bestehen aus auskragenden Betonplatten mit Außenbrüstungen aus Fertigbetonteilelementen (Stahlkonstruktion mit Betonbewehrung).

Im Spätsommer/Herbst 2000 ergaben sich Hinweise auf Schäden an den Balkonen. Die Beklagte beauftragte – offenbar ohne Beschluss – einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu dem Zustand des Betons der Balkone und einer eventuellen Sanierung. Der Sachverständige besichtigte mehrere Balkone und erstatte sein Gutachten entweder mündlich oder schriftlich. Letzteres ist streitig. Im Januar 2001 legte ein Statiker eine Berechnung vor, wonach an mehreren Stellen Betonabplatzungen sowie Korrosionen festzustellen seien, wodurch die Sicherheit der Brüstungen nicht mehr gewährleistet sei. In der Eigentümerversammlung vom 18. Januar 2001 wurde zu TOP 4 protokolliert, dass eine einfache Betonsanierung mit Epoxidharz nach Aussage von Gutachter und Statiker ausreichend sei. Beschlüsse wurden seinerzeit offenbar nicht gefasst.

In den Jahren 2001 – 2009 wurde das Thema Balkonsanierung nicht zum Gegenstand einer Eigentümerversammlung gemacht. Die Beklagte ließ in dieser Zeit jeweils aufgrund von Meldungen über Schäden an einzelnen Balkonen immer wieder Sanierungsarbeiten in Form von Fugenversiegelungen, Beschichtungen und ähnlichen kleineren Arbeiten durchführen. Im Sommer 2004 informierte ein Wohnungseigentümer die Beklagte mündlich und schriftlich, dass an verschiedenen Balkonen Betonbrocken heruntergefallen waren. Insgesamt ließ die Beklagte in den Jahren 2003 – 2010 Arbeiten an den Balkonen für rund 200.000,00 Euro ausführen, wobei es sich jeweils um Versiegelungen, Beschichtungen, Anstriche sowie sonstige geringinvestive Maßnahmen handelte. In die Eigentümerversammlung brachte die Beklagte die Thematik während dieses gesamten Zeitraums nicht.

Gestützt auf die Behauptung, die dringlich erforderliche Betongesamtsanierung aller Balkone sei aufgrund der Preissteigerungen gegenüber dem Jahr 2001 um 518.100,00 Euro teurer geworden, klagt die GbR Schadensersatz in Höhe von 219.000,00 Euro nebst Zinsen ein. Die Klägerin hat den damals tätigen Sachverständigen als Zeugen zum Beweis dafür angeboten, dass er seinerzeit dringenden Sanierungsbedarf an allen Balkonen festgestellt und der Beklagten eine umfassende Betonsanierung nach DIN 18349 empfohlen habe. Zwar habe der Sachverständige in einer E-Mail vom 7. November 2014 erklärt, dass er keine Angaben mehr zum Inhalt seines Gutachtens von damals machen könne, in einem anschließenden Telefonat habe er aber mitgeteilt, sich sehr wohl daran erinnern zu können, eine komplette Betonsanierung als erforderlich erachtet zu haben.

Amtsgericht und Landgericht haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hielt die Vernehmung des Zeugen nicht für erforderlich, da Wohnungseigentümer und Beklagte in Bezug auf die streitigen Mängel und deren Ursachen von Beginn an denselben Kenntnisstand gehabt hätten, die Beklagte also im Vergleich zu den Wohnungseigentümern keinen „Wissensvorsprung″ besessen habe. In einer solchen Situation scheide eine Verwalterhaftung aus. Die Revision zum BGH ließ das Berufungsgericht nicht zu. Die Klägerin hatte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg.

Die Entscheidung

Der BGH folgt den Vorinstanzen nicht. Die Haftung der Beklagten könne nicht mit der Begründung verneint werden, diese sei deswegen nicht zum Tätigwerden verpflichtet gewesen, weil sie keinen „Wissensvorsprung“ gegenüber den Wohnungseigentümern gehabt habe. Unter Verweis auf sein erst kürzlich ergangenes Urteil vom 19. Juli 2019 zum Bauträgerverwalter (siehe VDIV Newsletter vom 16. Dezember 2019) betont der BGH ausdrücklich, dass es die alleinige Pflicht des Verwalters ist, die Gesamtheit aller Wohnungseigentümer – nicht etwa nur einzelner – darüber zu unterrichten, dass bzw. welchen Instandsetzungsbedarf es gibt und eine sachgerechte Beschlussfassung der Eigentümer herbeizuführen. Die (potentielle) Kenntnis einzelner Wohnungseigentümer über ein Schadensbild und deren Ursachen befreie den Verwalter nicht von seinem Pflichtenprogramm. Darüber hinaus betont der BGH, dass nicht einmal die einfache Unterrichtung aller Wohnungseigentümer den Verwalter vor einer möglichen Haftung verschonen könne. Vielmehr müsse er ihm zugängliche Informationen kritisch hinterfragen und allen Wohnungseigentümern gesteigerte Informationen und Handlungsoptionen aufzeigen. Dies komme jedenfalls dann in Betracht, wenn – wie hier – aus Umfang und Häufigkeit angezeigter Schäden daraus geschlossen werden müsse, dass möglicherweise eine tiefergehende Ursache für die Schäden gegeben sei und man daher eine weitergehende Prüfung in die Wege zu leiten habe.

Zudem sieht der BGH einen Verfahrensverstoß darin, dass der als Zeuge angebotene Sachverständige nicht befragt wurde. Die Erinnerung eines Zeugen an frühere Geschehnisse könne im Rahmen seiner Vernehmung durch den Richter wiederkehren, insbesondere dann, wenn man ihm zur Auffrischung seines Gedächtnisses Unterlagen aus der Zeit des Vorgangs, Lichtbilder und ähnliches vorlegen könne.

Fazit

Im Vergleich mit anderen Immobilieneigentümern sind Wohnungseigentümergemeinschaften echte Sanierungsmuffel. Teils über Jahrzehnte werden erforderliche Maßnahmen zurückgestellt. Wohnungseigentumsverwalter dürfen sich in solchen Situationen nicht vor den Karren der (Mehrheit der sanierungsunwilligen) Eigentümer oder des Beirats spannen lassen. Kontrolliert der Verwalter den Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums nicht und/ oder gibt er Erkenntnisse nicht an sämtliche Wohnungseigentümer weiter, damit diese Beschlüsse fassen können, haftet er. Verwalter können sich nicht damit aus der Affäre ziehen, dass ein oder einzelne Wohnungseigentümer vom mangelhaften Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums wussten oder hätten Kenntnis haben müssen. Einzig und allein der Verwalter ist kraft seines Amtes berufen, allen Wohnungseigentümern zuverlässig und geradlinig Informationen zu liefern, Handlungsoptionen aufzuzeigen und Beschlüsse über geeignete Gegenmaßnahmen herbeizuführen. Geht es – wie hier – um eine umfangreiche Betoninstandsetzung, bietet sich in einem ersten Schritt die Beauftragung eines Fachmanns mit der Bestandsaufnahme (Schadensbild, Ursachen, Maßnahmen, Kostenschätzung) und in einem weiteren Schritt, der ggf. bereits mit der Bestandsaufnahme kombiniert beauftragt werden kann, eine entsprechende Sanierungsplanung an. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte offenbar zehn Jahre lang ohne Befassung der Eigentümerversammlung, insbesondere ohne Beschlüsse, Gutachten, Statik und provisorische Gegenmaßnahmen im Namen der Gemeinschaft in Auftrag gegeben, aus dem Verwaltungsvermögen bezahlt und in den Jahresabrechnungen auf die Wohnungseigentümer umgelegt. Das ist waghalsig, zumal in der Genehmigung der Jahresabrechnungen keine Genehmigung der unberechtigten Ausgaben liegt und selbst bestandskräftige Entlastungsbeschlüsse über den langen Zeitraum die individuellen Schadensersatzansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer nicht zum Erlöschen bringen können, da Wohnungseigentümer keine Beschlusskompetenz zur konstitutiven Anspruchsvernichtung besitzen.

Zur haftungsrechtlichen Absicherung sollte der Verwalter Informationen bei jeder sich bietenden Gelegenheit geben (Einladung/ Tagesordnung zur Eigentümerversammlung, TOP „Bericht des Verwalters″, Protokollversand, Rundschreiben, E-Mail, Portal usw.). Sträuben sich Wohnungseigentümer – wie hier offenbar jahrzehntelang – gegen erforderliche Maßnahmen, muss das Thema jedes Jahr aufs Neue in der ordentlichen Versammlung – ggf. auch in außerordentlichen Versammlungen – aufs Tapet gebracht werden. Erst und nur dann, wenn Wohnungseigentümer nach gehöriger Aufklärung vom Verwalter Beschlussanträge über notwendige Schritte mehrheitlich ablehnen, hat sich der Verwalter haftungsrechtlich abgesichert.

Im vorliegenden Fall ist anzunehmen, dass die Zuständigkeit für die Instandhaltung und Instandsetzung der Balkone der gemeinschaftlichen Zuständigkeit aller Eigentümer unterfällt, die Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung also keine abweichenden Regelungen enthalten.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt

W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Rechtsanwälte PartmbB Hamburg

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