Im »Newsletter-Beitrag zum WEG-Recht vom 11.08.2021 hatte ich in Aussicht gestellt, ein Beschlussmuster mit Anmerkungen für die Praxis zu liefern. Dieses Versprechen möchte ich erfüllen, natürlich – wie immer bei kostenfreien Mustern – verbunden mit dem Hinweis, dass es sich um einen unverbindlichen Vorschlag handelt, der die im konkreten Einzelfall erforderliche rechtliche Prüfung weder ersetzen kann noch soll. Sie dürfen das Muster also gerne verwenden und ändern, tun dies aber auf eigenes Risiko. Falls Sie das tun, freue ich mich über Feedback zu Ihren Erfahrungen:
Problembeschreibung
Beschlussklagen sind gegen die Gemeinschaft zu richten. Sie werden vom Amtsgericht dem Verwalter zugestellt. Dieser hat die Rechtsverteidigung der Gemeinschaft innerhalb der gerichtlich gesetzten kurzen Fristen zu organisieren. Diese Pflicht trifft den Verwalter kraft Amtes, also allein aufgrund seiner Bestellung. Er muss mithin niemanden fragen, insbesondere keinen Beschluss oder eine sonstige Ermächtigung herbeiführen. Der Verwalter ist berechtigt und in der Regel auch verpflichtet, für die Gemeinschaft einen fachlich geeigneten Rechtsanwalt zu beauftragen, also im Namen und auf Kosten der Gemeinschaft einen Anwaltsvertrag abzuschließen. Fraglich ist, ob der Verwalter dem Rechtsanwalt nur eine gesetzliche Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zubilligen darf, deren Höhe sich also am Prozessende nach dem Streitwert richtet, den das Gericht festsetzt, oder ob und inwieweit eine Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) abgeschlossen werden darf. Viele Rechtsanwälte fordern das, speziell bei geringen Streitwerten. Verbreitet sind Stundenhonorarvereinbarungen mit Stundensätzen von 200 bis 300 € netto, oft mit 5-Minuten-Zeittaktung und Obergrenze gegen aussagekräftigen Tätigkeitsnachweis. Geht der Verwalter auf die Forderung des Rechtsanwalts ein, ist die Vergütungsvereinbarung wirksam, da der Abschluss des Anwaltsvertrages nicht unter die gesetzliche Ausnahme der organschaftlichen Vertretungsmacht des Verwalters für die Gemeinschaft im Sinne von § 9b Abs. 1 WEG fällt (die Ausnahme betrifft den Abschluss von Grundstückskauf- oder Darlehensverträgen). Allerdings ist damit nicht gesagt, dass der Verwalter von der ihm kraft seines Amtes eröffneten gesetzlichen Vertretungsmacht Gebrauch machen durfte. Das wiederum hängt von seiner Entscheidungsbefugnis ab, die in § 27 Abs. 1 WEG geregelt ist.
Erste Tendenzen in der Rechtsprechung zum neuen § 27 WEG
Zum alten § 27 WEG, der also bis zum 30.11.2020 galt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 11.6.2021 ein für die Verwalterpraxis erfreuliches Urteil gefällt: Wohnungseigentümer können durch Beschluss dem Verwalter über seine gesetzlichen Befugnisse hinausgehende Entscheidungskompetenzen für Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Einschaltung von Sonderfachleuten übertragen, wenn die Kompetenzverlagerung für den einzelnen Wohnungseigentümer zu einem nur begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko führt (BGH V ZR 215/20). Im dortigen Fall ging es um Klauseln, die nicht in einem separaten Beschluss gefasst wurden, sondern in einem Muster-Verwaltervertrag einbettet waren. Unter anderem war der Verwalter berechtigt, Maßnahmen mit einem Auftragswert bis zu 4.000,00 EUR brutto im Einzelfall, jährlich begrenzt auf ein Gesamtvolumen von 8.000,00 EUR brutto ohne Beschlussfassung einzuleiten und bei größeren baulichen Maßnahmen ab einem Auftragswert von 10.000,00 EUR brutto im Einzelfall Sonderfachleute (Architekten, Ingenieure, Gutachter u.a.) hinzuzuziehen.
Zur Gruppe von Sonderfachleuten, deren Dienste Wohnungseigentümergemeinschaften in Anspruch nehmen, gehören u.a. auch Rechtsanwälte. Es liegt daher nahe, in den Anwendungsbereich von § 27 WEG nicht nur Entscheidungsbefugnisse des Verwalters zum Abschluss von Ingenieur- und Architektenverträgen etc. einzubeziehen, sondern auch den Abschluss von Anwaltsverträgen. Gleichermaßen ist es naheliegend, den Regelungsbereich der Vorschrift nicht auf die Durchführung und Betreuung kleinerer oder größerer baulicher Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum zu begrenzen, sondern ebenfalls die Organisation der rechtlichen Vertretung der Gemeinschaft in streitigen Rechtsangelegenheiten durch einen geeigneten Rechtsanwalt einzubinden.
Erfreulich und zutreffend ist es, dass der BGH die Größe der Gemeinschaft ins Blickfeld nimmt. Im dortigen Fall bestand die Anlage aus 70 Einheiten, so dass die maximale finanzielle Belastung des einzelnen Eigentümers überschaubar und aufgrund der Obergrenzen kalkulierbar war. Verwalter sollten immer prüfen, auf wie viele Schultern bzw. Einheiten sich eine Ausgabe im konkreten Einzelfall verteilen würde. Davon hängt maßgeblich ab, ob eine finanzielle Vergütungsverpflichtung der Gemeinschaft z.B. aus einem Anwaltsvertrag zu einem begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko im Sinne des BGH-Urteils führt.
Zu Versorgungsverträgen der Gemeinschaft hat das Landgericht Frankfurt/Main mit Urteil vom 25.2.2021 (2-13 S 146/19) zum alten Recht (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG aF) entschieden, dass der Verwalter regelmäßig aus eigener Befugnis entscheiden dürfe und keinen Eigentümerbeschluss einholen müsse. In der Begründung heißt es, für den Abschluss und die Kündigung von Versorgungsverträgen sei eine Budgetobergrenze regelmäßig nicht erforderlich, weil wegen der geringen Preisunterschiede für Strom, Gas etc. und der bei Versorgungsverträgen üblichen kurzen Laufzeiten die Gefahr gering sei, dass der Verwalter der Gemeinschaft hohe Verbindlichkeiten aufbürde. Auf das neue Recht umgemünzt (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG) bedeutet dies, dass es sich grundsätzlich um ein Geschäft von untergeordneter Bedeutung handeln wird, das nicht zu erheblichen Verpflichtungen führt. Das Argument kaum spürbarer Preisunterschiede hat meines Erachtens auch für den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen mit Rechtsanwälten Relevanz. Dabei kann dahinstehen, ob der Rechtsberatungsmarkt ähnlich umkämpft ist wie der Energiemarkt. Entscheidend ist, dass die qualifizierte rechtliche Vertretung vor Gericht ein wichtiges Gemeinschaftsinteresse darstellt und der Mehrheit ein großzügiger Ermessens- und Gestaltungsspielraum eröffnet ist. Stundensätze von Anwälten in Deutschland liegen durchschnittlich bei 250,00 EUR netto. Im Wohnungseigentumsrecht bewegt sich die Preisspanne schätzungsweise und je nach Region zwischen 200,00 EUR bis 300,00 EUR netto. Diese Umstände und der Fristendruck sprechen dafür, dass den Verwalter grundsätzlich keine Pflicht trifft, vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Vertretung der Gemeinschaft im gerichtlichen Beschlussprozess Vergleichsangebote mit anderen Stundensätzen einzuholen oder einen Rechtsanwalt zu suchen, der bereit ist, nach den gesetzlichen Gebühren abzurechnen.
Muster
Das nachstehende Muster umfasst zwei Teile. Der erste Teil ist für die Einladung/ Tagesordnung gedacht. Dort genügt die schlagwortartige Ankündigung des Beschlussgegenstandes, gleichwohl kann die Vorbemerkung zu Erläuterung nicht schaden. In der Versammlung ist der Beschlussantrag zur Abstimmung zu stellen. Der Einladung muss der Beschlussantrag nicht beigefügt werden. Der im Anschluss an das Muster folgende Anhang mit Hinweisen und Bedienungsanleitung ist nicht Teil des Musters, sondern für den internen Gebrauch und zum besseren Verständnis gedacht.
-Anfang Muster-
Tagesordnungspunkt (TOP): Diskussion und Beschlussfassung über die Erlaubnis zum Abschluss einer Vergütungsvereinbarung bei Vertretung der Gemeinschaft gegen eine Beschlussklage.
Vorbemerkung: Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) in der seit dem 1.12.2020 geltenden Neufassung sind Beschlussklagen nicht mehr gegen alle übrigen Eigentümer zu richten, sondern gegen die Gemeinschaft. Die Mehrfachvertretungsgebühr für den auf Beklagtenseite tätigen Rechtsanwalt entfällt. Der Streitwert ist seit der Gesetzesänderung ebenfalls oft niedriger als nach dem alten Gebührenrecht. Da es bei niedrigen Streitwerten schwierig ist, innerhalb der bei Gericht laufenden Frist einen geeigneten Rechtsanwalt zu finden, der bereit ist, nur nach den gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) abzurechnen, soll per Beschluss die Berechtigung des Verwalters zum Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit Obergrenze geregelt werden.
Beschlussantrag: bei zukünftigen Beschlussklagen ist der Verwalter berechtigt, mit einem Rechtsanwalt, der auf das Wohnungseigentumsrecht spezialisiert ist und die gerichtliche Vertretung der Gemeinschaft übernimmt, eine Vergütung nach Zeitaufwand zu vereinbaren. Der Stundensatz darf maximal ■■■ EUR netto zuzüglich Umsatzsteuer in der jeweils geltenden gesetzlichen Höhe betragen und für das gerichtliche Verfahren der ersten Instanz ■■■ Zeitstunden (entspricht also einer Obergrenze von ■■■ EUR zuzüglich Umsatzsteuer) nicht überschreiten. Durch die Vergütung muss die gesamte anwaltliche Tätigkeit für die Gemeinschaft abgegolten sein, insbesondere Prüfung der Sach- und Rechtslage, Aktenlektüre, Erstellung aller Schriftsätze, Korrespondenz mit dem Mandanten, Terminwahrnehmung bei Gericht einschließlich Beweisaufnahme etc. Die Abrechnung hat minutengenau gegen Tätigkeitsnachweis zu erfolgen. Sollten die gesetzlichen Gebühren für den Rechtsanwalt der Gemeinschaft nach dem gerichtlich festgesetzten Streitwert höher sein als seine Stundenvergütung, gelten die gesetzlichen Gebühren als Mindestvergütung.
Abstimmungsergebnis: Ja/ Nein/ Enthaltung
Beschlussergebnis: Beschlussantrag angenommen/ abgelehnt
-Ende Muster-
Anhang: Hinweise und „Bedienungsanleitung“ zum besseren Verständnis und als Argumentationshilfe des Verwalters vor der Beschlussfassung:
- Dies ist ein Beschluss nach § 27 Abs. 2 WEG, der Klarheit schafft (auch für den Kläger, falls er Prozesskosten des gemeinschaftlichen Rechtsanwalts anteilig mittragen muss) und dem Verwalter das mögliche Haftungsrisiko nimmt. Letzteres besteht darin, dass es ohne Beschluss darauf ankäme, dass die Stundenhonorarvereinbarung mit dem Rechtsanwalt untergeordnete Bedeutung hat und nicht zu erheblichen (finanziellen) Verpflichtungen für die Gemeinschaft führt (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG) oder der Verwalter zur Wahrung der gerichtlichen Fristen oder zur Abwendung eines Nachteils berechtigt und verpflichtet war, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Je nach Einzelfall kann man darüber streiten.
- Verwalter dürfen den TOP von Amts wegen in die Einladung/Tagesordnung aufnehmen.
- Die Vorbemerkung kann als Erläuterung in die Einladung/ Tagesordnung aufgenommen werden. Auch im Protokoll ist sie sinnvoll, da sie bei der Beschlussauslegung hilft.
- Zur Annahme des Beschlussantrags genügt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
- Der Beschluss regelt als Vorsorgebeschluss zukünftige Beschlussklagen für die Zeit nach Beschlussfassung. Daher sind alle Eigentümer stimmberechtigt. § 25 Abs. 4 Variante 3 WEG greift nicht, da sonst niemand stimmberechtigt wäre, weil jeder Eigentümer potentieller Anfechtungskläger ist.
- Der Beschluss gilt nur für die Vertretung der Gemeinschaft in gegen sie gerichteten Beschlussklagen (Anfechtungsklage, Beschlussersetzungsklage), also nicht bei sonstigen Prozessen, z.B. Zahlungs- oder Unterlassungsklagen durch oder gegen die Gemeinschaft.
- Der Verwalter ist durch den Beschluss berechtigt, nicht aber verpflichtet oder angewiesen, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Er entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Daraus folgt, dass der Verwalter prüfen muss, ob und inwieweit eine Vergütungsvereinbarung mit dem Rechtsanwalt angezeigt ist. Das hängt vor allem vom Sachverhalt ab, also etwa der Anzahl der angefochtenen Beschlüsse und der Größe der Gemeinschaft mit dem daraus zu berechnenden Anteil des einzelnen Eigentümers am Anwaltshonorar. Die Prüfung, ob eine Rechtsverteidigung überhaupt Erfolgsaussichten hat, zählt nicht zu den Verwalterpflichten. Diese Rechtsdienstleistung schuldet der Rechtsanwalt aufgrund des Anwaltsvertrages.
- Suche und Auswahl des fachlich geeigneten Rechtsanwalts liegen im pflichtgemäßen Ermessen des Verwalters. Es muss und sollte kein Fachanwalt für Mietrecht und WEG sein. Diese Fachanwaltsgruppe ist zumeist auf das Mietrecht spezialisiert.
- Die Höhe der Stundensatzes variiert in der Praxis Schätzungen zufolge zwischen 200 und 300 EUR, oft abhängig von der Größe der Gemeinschaft, Umfang und Schwierigkeitsgrad (Anzahl und Komplexität der angefochtenen bzw. streitgegenständlichen Beschlüsse) und der Bedeutung für die Gemeinschaft.
- Eine zeitliche Obergrenze von 10 Stunden ist in der Regel angemessen.
- Auf die Einhaltung der Formvorgaben des § 3a RVG, der Preisangabenverordnung (PAngV) und des Fernabsatzrechts (§§ 355 ff. BGB) muss der Rechtsanwalt bei Abschluss des Anwaltsvertrages achten. Die Gemeinschaft genießt Verbraucherschutz. Für den Beschlussinhalt sind diese Vorgaben irrelevant.
- AGB-rechtlich dürfte der Anwaltsvertrag kein Problem sein. Die anwaltliche Vergütung ist eine Preishauptabrede, keine Nebenabrede, sodass die AGB-Klauselkontrolle nicht greift (BGH V ZR 278/17 Rn. 29 unter Hinweis auf § 307 Abs. 3 BGB).
- Wohnungseigentumsrechtlich muss der auf der Grundlage von § 27 Abs. 2 WEG gefasste Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, insbesondere also in der Einladung angekündigt sein und dem Gemeinschaftsinteresse nach billigem Ermessen entsprechen.
- Eine Differenzierung nach der Streitwerthöhe gehört nicht in den Beschlussantrag. Bei niedrigen Streitwerten soll die Vergütungsvereinbarung ja gerade greifen und der Gemeinschaft, die innerhalb kurzer Frist reagieren muss, eine profunde anwaltliche Vertretung ermöglichen. Bei hohen Streitwerten greifen die gesetzlichen Gebühren als Mindestgebühr schon aus berufs- und wettbewerbsrechtlichen Gründen, denn in gerichtlichen Verfahren darf ein Anwalt eine niedrigere Vergütung als die gesetzliche nicht vereinbaren (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 RVG).
- Grundsätzlich ist die Abrechnung nach tatsächlichem Zeitaufwand mit Obergrenze eine gerechte, transparente und wirtschaftliche Abrechnungsmethode für beide Mandatsparteien. Der Rechtsanwalt erhält unabhängig vom oft zufälligen und bei Prozessbeginn schwer abschätzbaren Streitwert die Zeit bezahlt, die er für das Mandat einsetzt und der Mandant bezahlt nur den Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich aufzuwenden hat und der mit einer Obergrenze gedeckelt ist.
- Ein mögliches Verfahren zweiter Instanz (Berufung, sofortige Beschwerde etc.) wird von dem Beschlussmuster nicht geregelt. Hier wäre eine erneute Beschlussfassung erforderlich, in der Regel gemäß anwaltlicher Empfehlung über die Erfolgsaussichten, andernfalls würde die gesetzliche Vergütung greifen.
- In den Wirtschaftsplan gehört ggf. eine passende Kostenposition. Jedenfalls dann, wenn Beschlussklagen zu erwarten sind, lässt BGH 17.10.2014 - V ZR 26/14 das zu. Gemäß §§ 19 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 WEG dürfte auch eine Prozesskostenrücklage gebildet werden.
Urheber und Verfasser:
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de