WEG-Recht

Sind seit dem 1.12.2020 gefasste Beschlüsse „über den Wirtschaftsplan“ mangels Beschlusskompetenz nichtig?

„Stärkt man Hausgeldschuldnern den Rücken oder lässt man die Kirche im Dorf?“ So lautet die heutige – zugegeben pointierte – Einstiegsfrage zu einem aktuellen Meinungsstreit zum WEMoG. Es geht um den neuen § 28 WEG. Laut dem Gesetzeswortlaut wird nicht mehr der Wirtschaftsplan beschlossen, sondern „über die Vorschüsse zur Kostentragung und (…) zu den Rücklagen“ (§ 28 Abs. 1 S. 1 WEG). Daraus leiten einzelne Amtsgerichte und Autoren im Schrifttum ab, dass Wirtschaftsplanbeschlüsse, die seit dem 1.12.2020 gefasst werden, nichtig seien.

Mit Beschluss vom 20.4.2022 zum gerichtlichen Aktenzeichen 2-13 T 15/22 entschied das Landgericht Frankfurt/Main in einem Beschwerdeverfahren, dass ein Beschluss, mit dem Wohnungseigentümer nach dem 1.12.2020 „den Wirtschaftsplan“ beschließen, nicht nichtig ist und daher wirksam Zahlungsansprüche der Gemeinschaft gegen die Sondereigentümer begründet. Da im Beschwerdeverfahren nur eine überschlägige Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen war, durfte sich das Landgericht auf ein knappes Statement beschränken, welches im Fall aber glücklicherweise verwalter- und vor allem gemeinschaftsfreundlich ausfiel.

Der Fall

An einem nicht näher mitgeteilten Tag nach dem 1.12.2020 fand eine Eigentümerversammlung statt, in der die Eigentümer den vom Verwalter vorgelegten Wirtschaftsplan 2021 beschlossen. Der Beschluss wurde nicht gerichtlich angefochten. Ein Wohnungseigentümer zahlte sein Hausgeld nicht und wandte ein, dass der Beschluss nichtig sei, da nach dem neuen § 28 Abs. 1 S. 1 WEG nur über die Vorschüsse und Rücklagenzuführung beschlossen werden könne (Beschlusskompetenz), nicht aber über den Wirtschaftsplan als solchen. Während des von der Gemeinschaft gegen ihn eingeleiteten Zahlungsprozesses zahlte der Beklagte dann doch und die Parteien erklärten den Rechtsstreit daraufhin übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht hatte demnach nur noch darüber zu entscheiden, welche Seite die Prozesskosten trägt. Das Amtsgericht Idstein entschied, dass die Gemeinschaft die Kosten trägt, da die Zahlungsklage von Anfang an unbegründet gewesen sei infolge der Nichtigkeit des Beschlusses über den Wirtschaftsplan. Die Gemeinschaft ging in die sofortige Beschwerde.

Die Entscheidung

Das Landgericht Frankfurt/Main wertete die Rechtslage anders und legte die Prozesskosten dem Beklagten auf. Zutreffend an der Sichtweise des Beklagten sei zwar, dass der Beschlussantrag in seiner Formulierung nicht an den neuen § 28 WEG angepasst worden sei, da nunmehr nur noch über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen beschlossen werden könne. Diese Ungenauigkeit führe aber nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht dazu, dass der Beschluss über den Wirtschaftsplan insgesamt nichtig sei. In Betracht käme allenfalls eine Teilnichtigkeit. Im Kern – namentlich bezüglich der Verpflichtungen zur Vorschusszahlung – sei der Beschluss aber nicht nichtig. Allein dieser Beschlussteil sei für die Zahlungsklage relevant gewesen. Daher habe sich der Wohnungseigentümer mit seiner Hausgeldschuld in Verzug befunden und die Klage sei gerechtfertigt gewesen.

Fazit für den Verwalter

Nach der strengen Gegenansicht, die vom Amtsgericht Idstein und einigen Buchautoren vertreten wird, sind herkömmliche Beschlüsse, wie sie vor dem 1.12.2020 tausendfach benutzt wurden, nunmehr mangels Beschlusskompetenz nichtig. Der Gesetzgeber habe die Beschlusskompetenz ausdrücklich auf die Erhebung von Vorschüssen zur Kostentragung und zu den Rücklagen beschränkt. Gehe ein Beschluss über diese beschränkte Beschlusskompetenz hinaus, sei er nichtig, und zwar insgesamt.

Will ein Verwalter mithin den sichersten Weg gehen, verwendet er also alte Beschlussmuster („Der Wirtschaftsplan für das Jahr … wird genehmigt.“) aus der Zeit vor dem 01.12.2020 nicht mehr, sondern solche, die den neuen Gesetzeswortlaut aufgreifen. Das Landgericht Frankfurt/Main ist großzügiger und rettet derartige Beschlüsse an der entscheidenden Stelle: Jedenfalls im Hinblick auf die Begründung von Zahlungspflichten ist der Wirtschaftsplanbeschluss nicht nichtig, sondern gültig und wirksam. Erst mit einer höchstrichterlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof wird diese für das Hausgeldinkasso zentrale Frage für die Praxis geklärt sein. Hoffentlich ergibt sich alsbald eine Gelegenheit für eine Entscheidung aus Karlsruhe.

An der Pflicht, einen Wirtschaftsplan aufstellen und zur Abstimmung vorlegen zu müssen, hat sich durch den neuen Gesetzeswortlaut nichts geändert. In § 28 Abs. 1 S. 2 WEG ist ausdrücklich angeordnet, dass der Verwalter einen Wirtschaftsplan aufzustellen hat, der die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben sowie die Rücklagenzuführung enthält. Dass im Gesetz nicht von der Rücklage, sondern von Rücklagen die Rede ist, soll zum Ausdruck bringen, dass nicht etwa nur eine Erhaltungsrücklage (vormals Instandhaltungsrücklage, jetzt § 19 Abs. 2 Nummer 4 WEG) angespart werden darf, sondern auch zusätzliche Rücklagen, z.B. Liquiditäts- oder Prozesskostenrücklage. Voraussetzung ist ein Beschluss oder eine Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung. Aus der Pflicht zur Aufstellung eines Wirtschaftsplans folgt zugleich, dass dieser den Eigentümern mit der Einladung fristgerecht übermittelt werden muss, um die Höhe des für das jeweilige Sondereigentum geschuldeten Vorschusses samt Rücklagenzuführung und deren Zusammensetzung nachvollziehen und kontrollieren zu können. Selbst wenn also der Beschluss nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG wirklich nur „die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen“ begründen sollte, wäre die Beschlussfassung erfolgreich anfechtbar, wenn der Wirtschaftsplan, also das vollständige Zahlenwerk mit allen Einnahmen und Ausgaben etc., nicht rechtzeitig zur Beschlussfassung vorgelegen haben sollte. Denn er bildet die notwendige Tatsachengrundlage für den Beschluss.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Wäre die o.g. strenge Gegenauffassung richtig, hätten Hausgeldschuldner ihre helle Freude. Tausende Beschlüsse über Wirtschaftspläne, die nach dem 1.12.2020 gefasst wurden, wären mangels Beschlusskompetenz nichtig. Folge wäre, dass Zahlungsklagen unbegründet und Hausgeldschuldner so lange geschützt wären, bis wirksame Beschlüsse unter Verwendung gültiger Beschlussmuster gefasst wären. Nicht nur in Corona-Zeiten wäre das eine komplexe Herausforderung für die Verwalterbranche und ein Desaster für die Finanzlage vieler Wohnungseigentümergemeinschaften in Deutschland.

Bislang werden Hausgeldschuldner vor Gericht selten mit Samthandschuhen angefasst: Enthält etwa eine Jahresabrechnung unzulässigerweise (und insoweit nichtig) Vorjahresschulden, die nach dem Aufbau der Jahresabrechnung nicht nur informatorisch mitgeteilt wurden, sondern an einer konstitutiven (nochmaligen) Anspruchsbegründung teilhaben sollen, war der Jahresabrechnungsbeschluss nach bisheriger Gesetzeslage ebenfalls nur insoweit teilnichtig. Das Abrechnungsergebnis aus dem betreffenden Kalenderjahr wurde hingegen wirksam beschlossen und somit geschuldet. Das entschied der BGH schon vor vielen Jahren und erscheint sachgerecht. Ein zweites Beispiel: Wurde eine Zahlungsklage auf einen gerichtlich angefochtenen Beschluss über Wirtschaftsplan, Sonderumlage oder Jahresabrechnung gestützt und der dem Zahlungsanspruch zugrunde liegende Beschluss sodann rechtskräftig für ungültig erklärt, war die Zahlungsklage bis dahin gleichwohl zulässig und begründet. Die Hauptsacheerledigungserklärung der Gemeinschaft führte also dazu, dass der beklagte Hausgeldschuldner die Prozesskosten zu tragen hatte. Der Vollständigkeit halber erwähnt sei das Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot gegenüber Hausgeldforderungen, auch wenn dieses Verteidigungsmittel natürlich nichts mit der Beschlusskompetenz zu tun hat, dennoch aber das grundsätzlich vorrangige Interesse der Gemeinschaft an einer ausreichend gefüllten Gemeinschaftskasse unterstreicht.

Fazit für die Gemeinschaft

Auch wenn es im neuen § 28 Abs. 1 und 2 WEG heißt, dass der Verwalter Wirtschaftspläne und Abrechnungen über den Wirtschaftsplan (Jahresabrechnungen) aufzustellen hat, richtet sich der Anspruch in Wahrheit gegen die Gemeinschaft, deren Organ der jeweilige Verwalter kraft seiner Bestellung ist. Dementsprechend ist eine Beschlussersetzungsklage, die darauf gerichtet ist, einen Wirtschaftsplan mit den daraus folgenden Vorschusszahlungspflichten zu begründen, gegen die Gemeinschaft zu richten, nicht etwa gegen den Verwalter. Klagt ein Wohnungseigentümer auf gerichtliche Aufstellung eines Wirtschaftsplans, dürfte der oben genannte Meinungsstreit ebenfalls eine Rolle spielen. Allerdings hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Klägerseite sachdienliche Anträge stellt (§ 139 Abs. 1 S. 2 ZPO), so dass zu erwarten ist, dass die Beschlussersetzung nicht aus diesem Grunde scheitern wird. Aus ähnlichen Überlegungen heraus wird es deshalb richtig sein, Beschlüsse grundsätzlich dahin auszulegen, dass sie bezüglich der Begründung von Zahlungsverpflichtungen gültig und von der erforderlichen Beschlusskompetenz getragen sind.

Die Tatsache, dass der Beschluss über den Wirtschaftsplan nicht gerichtlich angefochten wurde, bedeutet nicht, dass der Beschluss definitiv wirksam ist. Fehlt die Beschlusskompetenz, darf und kann man sich jederzeit auf die Nichtigkeit berufen. Dies tat der Beklagte, lag mit seiner Ansicht aber am Ende daneben.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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