WEG-Recht

Trotz Covid-19-Pandemie: Wohnungseigentümer muss das Betreten seiner Wohnung zwecks Ursachenforschung eines akuten Wasserschadens dulden

Das Amtsgericht München hatte im einstweiligen Verfügungsverfahren einen der ersten wohnungseigentumsrechtlichen Fälle zu entscheiden, der die Auswirkungen der Covid-19-Krise betrifft. Es gab einen Wasserschaden, dessen Ausmaß und Ursachen unklar waren. Der Wohnungseigentümer verweigerte Verwalter und Handwerkern den Zutritt. Die Gemeinschaft beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung und hatte Erfolg.

Mit Beschluss vom 25. März 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen 483 C 4847/20 EVWEG entschied das Amtsgericht München, dass bei einem aktuellen Wasserschaden auch in Zeiten der Covid-19-Pandemie ein Wohnungsbetretungsrecht besteht. Der betroffene Sondereigentümer müsse Instandsetzungsarbeiten im räumlichen Bereich seiner Wohnung sofort dulden. Mit Maßnahmen gegen laufendes Wasser könne nicht zugewartet werden. Der Duldungsanspruch könne bei Weigerung des Wohnungseigentümers im Wege der einstweiligen Verfügung durch den rechtsfähigen Verband durchgesetzt werden.

Der Fall

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft in München besteht aus Wohnungs- und Teileigentum. Im Erdgeschoss wird ein Supermarkt betrieben. In der darüber befindlichen Wohnung ereignete sich ein Wasserschaden, dessen Ursache unklar ist. Seit Entdeckung des Schadens läuft im Supermarkt Wasser an Wänden und Decken herunter. Es sind Deckenplatten von der abgehängten Decke auf den Boden gefallen. Weiterer Schaden droht. Der Wohnungseigentumsverwalter und die von ihm in Namen der WEG beauftragten Handwerker müssen die Wohnung im 1. OG betreten, um Ursachenforschung zu betreiben und gegebenenfalls erste Maßnahmen zu ergreifen. Der Wohnungseigentümer verweigert den Zutritt zu seiner Wohnung und beruft sich auf die gesetzlichen Hygiene- und Distanzregeln in Folge von Corona. Der Verwalter mandatiert einen Rechtsanwalt mit der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung zur Zutrittsverschaffung.

Die Entscheidung

Das Amtsgericht München gibt dem Antrag statt und entscheidet aufgrund der besonderen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung wie folgt:

  1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Verwalterin sowie den von der Antragstellerin beauftragten Handwerkern den Zutritt zu seiner Wohnung Nr. ■■ lt. Aufteilungsplan im 1. Obergeschoss des Gebäudes Musterstraße Nr. ■■ in München zu gewähren, und ferner, bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatz- oder wahlweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, in seiner Wohnung die Untersuchungen und Instandsetzungsarbeiten zu dulden, die erforderlich und geeignet sind, um die Ursache(n) für die Wassereintritte in die darunter liegende Einheit im Erdgeschoss fachgerecht zu beseitigen.
  1. Es ist dem Gerichtsvollzieher gestattet, die Wohnung des Antragsgegners zum Zwecke der Vollstreckung der vorstehenden Ziffer 1. zwangsweise zu öffnen.

Das Amtsgericht bejaht sowohl den Verfügungsanspruch (Duldungspflicht gemäß § 14 Nummer 4 Halbsatz 1 WEG) als auch den Verfügungsgrund (Eilbedürftigkeit). Das gerichtliche Verfahren habe nicht durch einen Eigentümerbeschluss legitimiert werden müssen. Die Prozessführungsbefugnis des Verwalters beziehungsweise des Verbandes folgten aus §§ 27 Absatz 2 Nummer 2, Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 WEG. Hiernach sei der bestellte Verwalter von Amts wegen berechtigt, im Namen der Wohnungseigentümer und der Gemeinschaft Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung eines Rechtsnachteils erforderlich sind. Das sofortige Betreten der Wohnung zum Zwecke der Instandsetzung von gemeinschaftlichem Eigentum sei zwingend erforderlich und unausweichlich. Da nach wie vor Wasser an Wänden und Decken des Supermarktes herunterlaufe, sei Gefahr im Verzug. Die Duldungspflicht des Antragsgegners bestehe trotz der gegenwärtigen Pandemie. Angesichts des Schadenbildes sei ein sofortiges Einschreiten erforderlich, um Schäden an Leib, Leben, Gesundheit und der Bausubstanz zu verhindern und einen reibungslosen Geschäftsbetrieb im Supermarkt, der zudem ein systemrelevanter Betrieb sei, zu gewährleisten. Den Bedenken des Antragsgegners vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Covid-19 könne durch Schutzvorkehrungen beim Betreten der Wohnung und der Ausführung der Arbeiten Rechnung getragen werden.

Fazit für den Verwalter

Die Entscheidung macht Mut, wenn es darum geht, trotz der Corona-19-Beschränkungen Maßnahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung durchzusetzen. Trotz des Gesetzeswortlautes der zitierten Vorschriften des § 27 WEG („… gegen die Gemeinschaft gerichteten Rechtsstreit…″) subsumiert das Gericht auch das Aktivverfahren darunter. Ferner hätte man an eine gesetzliche Vertretungsmacht gemäß §§ 27 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 und Nummer 7 WEG denken können.

Die tatsächlichen Voraussetzungen waren von der Antragstellerin glaubhaft zu machen. Vorliegend geschah dies durch eidesstattliche Versicherungen.

Rechtlich egal ist, dass bis zu der angestrebten tatsächlichen Klärung, was beziehungsweise wo genau die Ursache für das bestimmungswidrig austretende Wasser ist oder liegt, theoretisch sowohl gemeinschaftliches Eigentum (zum Beispiel Fall- oder Steigleitung, Querleitung vor einer Absperrvorrichtung) als auch Sondereigentum (zum Beispiel ein Rohrbruch an Leitungsabschnitten des Sondereigentums) schadensursächlich sein können. Die Duldungspflicht gemäß § 14 Nummer 4 Halbsatz 1 WEG umfasst in unmittelbarer oder entsprechender (analoger) Anwendung beide denkbaren Sachverhaltsvarianten. Solange die Ursache unklar ist, ist der Verwalter in jedem Falle verpflichtet, Ursachenforschung zu betreiben. Zur Instandsetzung gehören auch vorbereitende Maßnahmen, sofern es – wie hier – tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass gemeinschaftliches Eigentum instandsetzungsbedürftig ist.

Hinsichtlich des Personenkreises, dem Zutritt zusteht, war das Amtsgericht München großzügig. Nicht alle Amtsgerichte halten das Betreten der Wohnung durch den Verwalter für erforderlich. Es genügt zumeist, dass Handwerker und/oder Gutachter das Betretungsrecht ausüben. Verwalter, Verwaltungsbeirat oder sonstige Eigentümer müssen zur ordnungsmäßigen Durchführung der erforderlichen Untersuchungen nicht zugegen sein.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt

W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Rechtsanwälte PartmbB Hamburg

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