WEG-Recht

Unberechtigter Versammlungsausschluss des zum Verwaltungsbeirat berufenen „werdenden Wohnungseigentümers“ führt zur Ungültigerklärung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil eine wichtige neue Aussage zur Rechtsfigur des „werdenden Wohnungseigentümers″ getroffen. Eingebettet ist diese Neuigkeit in eine Anfechtungsklage, mit der ein unberechtigter Versammlungsausschluss erfolgreich gerügt wurde. Mit Urteil vom 14. Februar 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 159/19 hat sich der BGH mit der Gründungsphase einer Wohnungseigentümergemeinschaft befasst und eine seit dem Jahr 2012 offen gelassene Rechtsfrage für die Praxis geklärt: Auch ein Erwerber, der erst geraume Zeit nach rechtlicher Entstehung der Wohnungseigentümergemeinschaft seinen Erwerbs- oder Kaufvertrag schließt, ist als werdender Wohnungseigentümer zu behandeln.

Der Fall

2013 teilte die Alleineigentümerin T-GmbH ein Altbaugrundstück in Berlin in Wohnungs- und Teileigentum auf. Die Grundbuchblätter wurden am 30. September 2015 angelegt. In der Zwischenzeit hatte sie mit dem Verkauf der Einheiten begonnen. Aufgrund einer Auflassung vom 6. Januar 2015 wurde am 31. März 2016 die erste Käuferin in das Grundbuch eingetragen, die Wohnungseigentümergemeinschaft im Rechtssinne also begründet. Mit notariellem Vertrag vom 30. Juni 2016 verkaufte die T-GmbH einer anderen Erwerberin zwei schon errichtete und vier noch zu errichtende Wohnungen im Dachgeschoss. Am 2. August 2016 wurden Auflassungsvormerkungen in den Wohnungsgrundbüchern eingetragen. Die Übergabe der Wohnungen erfolgte am 22. August 2016. Der Geschäftsführer der Erwerberin wurde zu drei Eigentümerversammlungen 2017 eingeladen. Auf einer dieser Versammlungen wurde er in den Verwaltungsbeirat gewählt. Auch an der vierten Eigentümerversammlung des Jahres – durchgeführt am 6. November 2017 – wollte der Geschäftsführer der Erwerberin wieder teilnehmen. Ein Vertreter der damals noch bestellten Verwalterin schloss ihn von der Teilnahme mit der Begründung aus, die Erwerberin sei noch nicht als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen, sondern habe nur eine Auflassungsvormerkung. Die Versammlung beschloss unter TOP 4 mit einer Mehrheit von rund 93 Prozent die Ermächtigung des Verwaltungsbeirats, mit der bisherigen Verwalterin einen Aufhebungsvertrag zu schließen, demzufolge deren Verwalteramt ebenso wie der Verwaltervertrag mit dem 31. Dezember 2017 endeten und wechselseitige Ansprüche ausgeschlossen sein sollten. Der Beschluss wurde vollzogen. Der damalige Verwalter ist nicht mehr bestellt, ein neuer Verwalter ist im Amt.

Nicht die Erwerberin, aber andere Wohnungseigentümerinnen erhoben gegen TOP 4 Anfechtungsklage. Diese stützen sie darauf, dass die Erwerberin als „werdende Wohnungseigentümerin″ nicht von der Versammlung hätte ausgeschlossen werden dürfen. Das Amtsgericht Schöneberg hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin zu 1. legte Berufung ein, die vom Landgericht Berlin – Zivilkammer 53 – ebenfalls zurückgewiesen wurde, allerdings unter Zulassung der Revision zum BGH. Die Revision war erfolgreich.

Die Entscheidung

Der BGH gibt der Anfechtungsklage statt, und zwar schon deshalb, weil die Erwerberin zu Unrecht von der Teilnahme an der Versammlung ausgeschlossen worden sei. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Erwerberin als werdende Wohnungseigentümerin zu behandeln, obwohl alle drei Voraussetzungen einer gesicherten Erwerbsposition erst nach dem Zeitpunkt des rechtlichen Entstehens der Wohnungseigentümergemeinschaft (am 31. März 2016) eingetreten seien, speziell auch der Erwerbsvertrag als erste dieser drei Voraussetzungen erst drei Monate danach (am 30. Juni 2016).

Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage sei zu bejahen, auch wenn der durch Beschluss legitimierte Aufhebungsvertrag längst vollzogen sei. Der Vollzug eines Beschlusses lasse das Rechtschutzinteresse nur entfallen, wenn die Ungültigerklärung den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft ausnahmsweise keinen Nutzen mehr bringen könne. Diese Gewissheit bestehe hier nicht, denn ein bestandskräftiger Beschluss (das heißt bei Abweisung der Anfechtungsklage) könne durchaus Auswirkungen auf mögliche Folgeprozesse mit dem früheren Verwalter haben.

Was sodann die Frage der Anwendung der Grundsätze der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft angeht, trifft der BGH zwei wichtige Aussagen:

Einerseits wird ausdrücklich festgestellt, dass die Grundsätze nicht nur auf Bauträgermodelle Anwendung finden, also auf Neubauten oder die neubaugleiche Totalsanierung von Altbauten. Vielmehr sei die vertragliche Eingehung von Bauverpflichtungen keine Voraussetzung, um die Grundsätze der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft anzuwenden. Diese gälten unabhängig davon, ob der Erwerbsvertrag eine Errichtungs-, Herstellungs- oder Sanierungsverpflichtung umfasse, für jeden ersten Erwerb vom teilenden Eigentümer.

Zweitens hatte der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 11. Mai 2015 – V ZR 196/11 unter Rn. 12 der Urteilsbegründung offengelassen, ob werdender Wohnungseigentümer auch (noch) sein könne, wer seinen Erwerbsvertrag erst geraume Zeit nach rechtlicher Invollzugsetzung der Wohnungseigentümergemeinschaft geschlossen habe. Insbesondere hatte der BGH damals dahinstehen lassen, ob sich insoweit geeignete Abgrenzungskriterien für eine spitzfindigere Lösung finden lassen könnten oder ob im Interesse der Rechtssicherheit einer zeitlich unbegrenzten Anwendung auf Ersterwerber der Vorzug zu geben sei. In dem vorliegenden Judikat knüpft der BGH an seine damaligen Erwägungen an und entscheidet nunmehr, dass die Grundsätze der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft auf jeden Ersterwerber Anwendung finden, selbst dann, wenn der teilende Eigentümer erst nach längerer Vorratshaltung, zum Beispiel auch im Anschluss an eine Vermietung der Sondereigentumseinheit, Wohnungen verkauft.

Da somit die Erwerberin werdende Wohnungseigentümerin war, durfte sie nicht von der Versammlung ausgeschlossen werden, schon gar nicht im Hinblick darauf, dass der Geschäftsführer bestandskräftig zum Mitglied des Verwaltungsbeirats bestellt und an drei vorausgegangenen Versammlungen des Jahres unbeanstandet teilgenommen hatte. Dass der Beschluss mit einer großen Mehrheit von 93 Prozent gefasst worden war, sei unerheblich. Denn der unberechtigte Ausschluss von der Versammlung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte dar, sodass es nicht darauf ankommen könne, ob der gefasste Beschluss auch bei einer Mitwirkung des ausgeschlossenen Geschäftsführers die erforderliche Mehrheit gefunden hätte. Kausalitätserwägungen spielten bei derart schwerwiegenden Eingriffen keine Rolle. Aus dem gleichen Grund komme es auch nicht darauf an, dass die Anfechtungsklage nicht von der Erwerberin erhoben worden sei, sondern von anderen Wohnungseigentümerinnen.

Fazit für den Verwalter

Der unrechtmäßige Ausschluss von Wohnungseigentümern oder deren zulässigen Vertretern von der Eigentümerversammlung ist heikel. Es droht die Ungültigerklärung des Beschlusses, in bösartigen Fällen sogar die Nichtigkeit. Auf Kausalitätserwägungen kommt es in beiden Fällen nicht an, es wird also unterstellt, dass die Verletzung des Teilnahmerechts ursächlich für das angegriffene Beschlussergebnis gewesen ist.

Die Erwerberin war anscheinend eine juristische Person oder eine Personengesellschaft, mutmaßlich eine GmbH. Höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob eine juristische Person selbst oder zumindest ihr gesetzlicher Vertreter wirksam zum Verwaltungsbeirat bestellt werden kann oder darf. Obiter dictum ist der Entscheidung zu entnehmen, dass ein solcher Beschluss bestandskräftig wird, wenn die Anfechtung unterbleibt. Ebenfalls obiter dictum lässt sich dem hier besprochenen Urteil entnehmen, dass zu den Rechten und Pflichten oder privaten Ämtern, die dem werdenden Wohnungseigentümer offen stehen, auch die Wahl in den Verwaltungsbeirat analog § 29 Abs. 1 WEG gehört.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt

W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Rechtsanwälte PartmbB Hamburg

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