WEG-Recht

Vertagungsbeschlüsse bei dringendem Instandsetzungsbedarf lösen Schadensersatzpflicht aus (Teil 1)

Wohnungseigentümer, die bei dringendem Instandsetzungsbedarf am gemeinschaftlichen Eigentum einem Beschlussantrag über notwendige Maßnahmen nicht mit Ja zustimmen, machen sich schadensersatzpflichtig. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) inzwischen mehrfach entschieden. In einem jetzt veröffentlichten Urteil bezogen 24 widerspenstige Wohnungseigentümer einer Münchener WEG und ihr Verwalter heftige juristische Prügel für ihre mehr als 7jährige Verweigerungshaltung.

Mit einem 51-seitigen Urteil vom 23.02.2018 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 101/16 bestätigte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung, wonach Wohnungseigentümer sich individuell und gesamtschuldnerisch schadensersatzpflichtig machen, wenn sie an einer erforderlichen Instandsetzungsmaßnahme am gemeinschaftlichen Eigentum nicht mitwirken wollen. In dem entschiedenen Fall hatte die Eigentümerversammlung über mehrere Jahre hinweg die erforderlichen Beschlussfassungen über Bestandsaufnahme, Sanierungsplanung und Abdichtung des Gebäudes gegen aufsteigende Feuchtigkeit immer wieder zurückgestellt und vertagt. Auch der Verwalter hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern notwendige Tagesordnungspunkte nicht oder verspätet in die Einladung / Tagesordnung zu verschiedenen Versammlungen aufgenommen. Dadurch war es zu erheblichen Verzögerungen gekommen.

Da die Entscheidung für gewerbsmäßige Wohnungseigentumsverwalter wichtige, teils haftungsträchtige Aussagen trifft, empfiehlt es sich, das auf der Website des Bundesgerichtshofs veröffentlichte Urteil zu lesen. Um die Lektüre zu erleichtern, ist der zugrundeliegende Sachverhalt in diesem DDIV Newsletter chronologisch und stichpunktartig zusammengefasst. Im DDIVnewsletter vom 16.07.2018 wird eine nähere rechtliche Bewertung vorgenommen werden. Zusätzlich kann aufgrund des thematischen Zusammenhangs die Lektüre des DDIVnewsletter vom 18.05.2018 (zu BGH, Urteil vom 4.5.2018 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 203/17) sowie DDIVnewsletter vom 29.10.2014 (zu BGH, Urteil vom 17.10.2014 – V ZR 9/14) ans Herz gelegt werden.

Der Fall

Die WEG besteht aus 25 Eigentümern, und zwar der Klägerin und den Beklagten zu 1 a bis x. Der Beklagte zu 1 c ist zugleich Verwaltungsbeirat, Belegprüfer und von Beruf Rechtsanwalt, der sich und die übrigen Beklagten anwaltlich vertreten hat. Beklagter zu 2 ist der Verwalter, der seit dem 01.01.2012 im Amt ist.

Der Klägerin gehört eine Souterrainwohnung, die laut Gemeinschaftsordnung mit der Zweckbestimmung „Wohnen“ versehen ist (siehe Rn 2 und 89 der Urteilsgründe). Im Jahr 2009 meldet die Klägerin beim damaligen Verwalter Feuchtigkeitsschäden im Bereich ihrer Wohnung. Die Wohnung war unvermietbar (Rn 38).

25.11.2010: Der damalige Verwalter beruft die Eigentümerversammlung ein, um unverzüglich einen Sachverständigen mit der Bestandsaufnahme und Sanierungsplanung bis zur Vergabereife zu beauftragen. Der Beschlussantrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Die Klägerin erhob Anfechtungsklage. Im Dezember 2010 leitete die Klägerin ein selbständiges Beweisverfahren gegen die übrigen Eigentümer ein, um Schadensbild, Ursachen und Maßnahmen durch einen gerichtlichen Sachverständigen klären zu lassen.

29.08.2011: Die Beklagten zu a) und b) werden als neue Wohnungseigentümer im Grundbuch eingetragen (Rn 70)

07.12.2011: Das gerichtliche Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren wird zugestellt

01.01.2012: Amtsbeginn des jetzigen WEG-Verwalters

09.05.2012: Eigentümerversammlung beschließt Vertagung eines Sanierungsantrages der Klägerin auf die nächste Versammlung. Dieser Beschluss wird von der Klägerin nicht angegriffen. Er ist bestandskräftig.

10.08.2012: Niederlage der Klägerin in erster Instanz im Anfechtungsprozess. Berufung zum LG München I eingelegt

03.09.2012: Aufforderung der Klägerin zur Einberufung einer Eigentümerversammlung gegenüber dem Verwalter (Beklagten zu 2.) mit TOP „Sanierung“

01.10.2012: Eigentümerversammlung findet ohne diesen TOP statt. Der Verwalter gibt nur Informationen über den Verfahrensstand des Anfechtungsprozesses und setzte entgegen Beschluss vom 09.05.2012 einen TOP Sanierung nicht erneut auf die Tagesordnung

06.06.2013: Die einberufene Eigentümerversammlung wird wegen eines streitigen Ladungsmangels verschoben

04.07.2013: Die Eigentümerversammlung findet statt. Es wird eine erneute Vertagung der Beschlussfassung auf einen späteren Zeitpunkt beschlossen. Die Klägerin erhebt Beschlussklage (Anfechtung und gerichtliche Beschlussersetzung)

19.09.2013: Das LG München I gibt der Berufung der Klägerin im ursprünglichen Anfechtungsprozess statt. Das Urteil wird rechtskräftig. Rechtsmittel werden nicht eingelegt (Rn 27)

12.12.2013: Die Eigentümerversammlung beschießt eine Sanierungsplanung durch einen Privatgutachter

11.03.2014: Der beauftragte Privatgutachter macht eine Ortsbesichtigung

28.03.2014: Der Privatgutachter legt seinen Untersuchungsbericht vor

06.06.2014: Das Amtsgericht München entscheidet über die von der Klägerin erhobene Schadensersatzklage, mit der sie Mietausfallschaden geltend macht (Ausgangsinstanz des vorliegenden BGH-Falles). Die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin ging in Berufung.

02.09.2014: Eigentümerversammlung mit einem Beschluss über die erneute Vertagung der Beschlussfassung über die Sanierungsmaßnahme

31.03.2016: LG München I gibt der Berufung der Klägerin im Schadensersatzprozess teilweise statt. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen. Die Klägerin erhebt Nichtzulassungsbeschwerde, der vom BGH stattgegeben wird.

23.02.2018: Der BGH entscheidet und ändert die Urteile der Vorinstanzen teilweise ab. Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung wird der Fall zurück an das LG München I verwiesen.

Die Entscheidungsbegründung und das Fazit für den Verwalter

finden Sie in Teil 2.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt

W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Rechtsanwälte PartmbB Hamburg

www.wir-breiholdt.de