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(BGH, Urteil vom 17.3.2023 - Az. V ZR 140/22)
In einer prägnanten Entscheidung setzt sich der Bundesgerichtshof (BGH) gleich mit mehreren Fragen auseinander, insbesondere: Anwenbarkeit während des laufenden Verfahrens in Kraft tretender Rechtsnormen; Rechtslage und prozessuale Möglichkeiten der Beteiligten bei Beginn einer in der Gemeinschaftsordnung nicht gestatteten baulichen Maßnahme; Auslegung der Gemeinschaftsordnung im Hinblick auf Sondernutzungsrechte sowie Gesetzesverweisung; Verhältnis zwischen Unterlassungsklage und Beschlussersetzungsklage im Lichte des neuen §20 Wohnungseigentumsgesetzes (WEG).
Die Parteien bilden die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GfWE) einer aus zwei Doppelhaushälften bestehenden Anlage. In der Gemeinschaftsordnung aus dem Jahr 1971 ist vereinbart, dass sich das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander nach dem Gesetz bestimmt. Die Grundstücksnutzung beschränkt sich laut Gemeinschaftsordnung ausschließlich auf den an das jeweilige Sondereigentum anschließenden Teil des Grundstücks. Die Beklagten begannen gegen den Willen der Klägerin den Bau eines Swimmingpools in der von ihnen genutzten Hälfte des Gartens.
Die Klägerin erwirkte einen Baustopp im Wege der einstweiligen Verfügung. Ihre Klage auf Unterlassung hatte vor dem Amtsgericht Erfolg; das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen wandten sich die Beklagten mit der Revision, die vor dem BGH keinen Erfolg hatte.
Laut Entscheidung des BGH stand der Klägerin ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 20 WEG zu, weil es an einem gestattenden Beschluss gemäß § 20 Abs. 1 WEG fehlt.
Die ab 1. Dezember 2020 neu gefasste, erst während des laufenden Verfahrens in Kraft getretene Norm ist in vorliegendem Fall mangels einer Übergangsvorschrift anwendbar (vgl. hierzu ausführlicher: BGH, Urteil vom 16.7.2021 – Az. V ZR 284/19, VDIVAKTUELL 8/21, S. 49 f.). Gemäß der Bestimmung in § 20 Abs. 1 WEG können Maßnahmen, die über die ordnungsgemäße Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden. Bei Fehlen eines entsprechenden Beschlusses darf die bauliche Veränderung durch einen einzelnen Wohnungseigentümer nicht vorgenommen werden. Sollte sich ein Wohnungseigentümer nicht daran halten, stellt dies eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung dar, gegen die mit einer Unterlassungsklage vorgegangen werden kann.
Ausnahmsweise können die Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 1 S. 2 WEG das Beschlusserfordernis abbedingen. Vorliegend ist das Beschlusserfordernis im Sinne des § 20 Abs. 1 WEG jedoch weder ausdrücklich noch konkludent abbedungen worden. Insbesondere findet sich eine solche Abbedingung nicht in der Gemeinschaftsordnung.
Maßgebend für die Auslegung der Gemeinschaftsordnung sind ihr Wortlaut und Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt, weil sie auch die Sonderrechtsnachfolger der Wohnungseigentümer bindet. Aus der Auslegung der vorliegenden Gemeinschaftsordnung – welche die alleinige Nutzung der an das jeweilige Wohnhaus anschließenden Hälfte des Grundstücks regelt – ergibt sich, dass diese nur ein Sondernutzungsrecht an dem jeweiligen Teil des Gartens statuiert. Insbesondere sind die Sondernutzungsflächen nicht wie real geteiltes Eigentum zu behandeln, weil eine entsprechende Bestimmung in der Gemeinschaftsordnung fehlt. Der Bau eines Swimmingpools ist von dem Zuweisungsgehalt eines Sondernutzungsrechts wiederum nicht umfasst. Aus der bloßen Einräumung eines Sondernutzungsrechts folgt grundsätzlich keine Berechtigung zur grundlegenden Umgestaltungen der jeweiligen Sondernutzungsfläche, die über die nach dem Inhalt des Sondernutzungsrechts übliche Nutzung hinausgehen und der Anlage ein anderes Gepräge geben.
Unbeachtlich ist der Umstand, dass der Bau eines Swimmingpools in Anwendung des alten Rechts ggf. zustimmungsfrei gewesen wäre. Denn der in der Gemeinschaftsordnung enthaltenen schlichten Verweisung auf die Gesetzeslage oder der bloßen Wiederholung des Gesetzes lässt sich in Ermangelung anderer Anhaltspunkte nicht entnehmen, dass es auch nach einer Gesetzesänderung bei der Anwendung alten Rechts verbleiben soll. Eine solche Verweisung ist grundsätzlich als eine dynamische Verweisung auf die jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen zu verstehen.
Dem Unterlassungsanspruch der Klägerin kann beklag-tenseits kein Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung gemäß § 20 Abs. 2 WEG entgegengehalten werden. Zwar besteht gemäß § 20 Abs. 3 WEG grundsätzlich ein Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung, wenn entweder kein anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird oder wenn alle beeinträchtigten Wohnungseigentümer einverstanden sind. Eine solche Gestattung hat aber nach der Neufassung des § 20 Abs. 3 WEG durch Beschluss der Wohnungseigentümer zu erfolgen. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis einer nach der alten Gesetzeslage diesbezüglich bestehenden Unsicherheit bewusst dazu entschieden, einen Beschlusszwang zu normieren. Danach bedarf jede von einem einzelnen Wohnungseigentümer beabsichtigte bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums eines legitimierenden Beschlusses, auch wenn kein Wohnungseigentümer in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Wohnungseigentümer über alle baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums informiert werden. Angesichts dessen ist es Sache des Wohnungseigentümers, der eine nicht in der Gemeinschaftsordnung gestattete bauliche Veränderung beabsichtigt, einen Gestattungs-beschluss ggf. im Wege der Beschlussersetzungsklage (§ 44 Abs. 1 S. 2 WEG) herbeizuführen, ehe mit der Baumaßnahme begonnen wird. Handelt er dem zuwider, haben die übrigen Wohnungseigentümer einen Unterlassungsanspruch, der seit 1. Dezember 2020 durch die GdWE ausgeübt wird (§ 9a Abs. 2 WEG). Vorteil dieses nun eindeutig geregelten Verfahrens ist, dass mit Bestandskraft eines gestattenden Beschlusses bzw. mit Rechtskraft eines den Beschluss ersetzenden Urteils die Zulässigkeit der baulichen Veränderung zwischen den Wohnungseigentümern – und eventuellen Rechtsnachfolgern – feststeht, was insoweit erheblich zur Rechtssicherheit beiträgt.
VERWALTERSTRATEGIE
Im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen einer Unterlassungsklage und einer Beschlussersetzungs-klage hat der BGH mangels Entscheidungserheblichkeit die Frage offengelassen, wie zu verfahren ist, wenn der bauwillige Wohnungseigentümer während des Unterlassungsprozesses eine Beschlussersetzungsklage gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erhebt. Angesichts dessen bleibt es eine interessante Rechtsfrage, die im Kontext des neuen § 20 WEG in Zukunft zu entscheiden sein wird.
DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.
PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com