Mit Urteil vom 15.11.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 239/23 entschied der BGH einen Fall zu einer Kostenbefreiungsvereinbarung für noch nicht zu Wohnzwecken ausgebaute Dachgeschossräume in einem Altbau in Berlin. Derartige Kostenprivilegierungen für Ausbaureserven kommen in der Praxis nicht selten vor. Sie sind nicht mehrheitsfest, wie der BGH erneut entschied.
Der Fall
Es geht um eine Anfechtungsklage. Die Kläger sind seit dem 19.01.2022 Eigentümer der Sondereigentumseinheit 89 im Dachgeschoss. Sie erwarben sie vom teilenden Eigentümer. Die Einheit 89 entstand durch Unterteilung der ursprünglichen Sondereigentumseinheit 85 in 15 neue Einheiten. In einem Nachtrag vom 31.03.2014 zur Teilungserklärung ist vereinbart, dass der jeweilige Sondereigentümer der Einheit 85 bis zum Anschluss an die Ver- und Entsorgungsleitungen kein Hausgeld und keinen Beitrag zur Instandhaltungsrücklage zu zahlen hat. Im Erwerbsvertrag der Kläger hatte sich der teilende Eigentümer verpflichtet, den Kaufgegenstand bis zum 28.02.2020 bezugsfertig herzustellen. Dies war bis heute nicht geschehen. Die Einheit 89 ist weder fertiggestellt noch an die Leitungen angeschlossen.
In einer Eigentümerversammlung am 23.06.2021 war bestandskräftig beschlossen worden, die bestehende Kostenbefreiungsvereinbarung aufzuheben und ab dem Wirtschaftsjahr 2021 im Einzelnen näher bezeichnete Kostenarten auf alle Eigentümer nach Miteigentumsanteilen (MEA) umzulegen. In der Eigentümerversammlung am 05.07.2022 wurden der Wirtschaftsplan 2022 und eine Sonderumlage beschlossen. Zugrunde gelegt wurde der Kostenverteilungsschlüssel MEA gemäß der Beschlusslage vom 23.06.2021. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Entscheidung
Das Landgericht Berlin gab der Klage statt, weil nach seiner Ansicht die Beschlüsse vom 23.06.2021 nicht bestandskräftig, sondern mangels Beschlusskompetenz nichtig seien. Eine Kostenbefreiung, die in der Gemeinschaftsordnung vereinbart sei, könne nicht durch einen Mehrheitsbeschluss abgeändert werden. An dieser Rechtslage habe sich zum 01.12.2020 nichts geändert.
Der BGH beurteilt die Rechtslage anders. Im WP 2022 und der SU sei nicht der falsche Kostenverteilungsschlüssel angewendet worden, denn der Beschluss aus 2021 sei bestandskräftig (wirksam), insbesondere von Beschlusskompetenz getragen. Auch weitere Beschlussmängel seien nicht gegeben, insbesondere dürfe der in der Gemeinschaftsordnung vereinbarte Aufschub der Beteiligung an den Kosten bis zum Leitungsanschluss im Zuge des Dachgeschossausbaus nicht als ein unentziehbares Recht der Kläger bzw. jeweiligen Sondereigentümer der neuen Dachgeschosswohnungen angesehen werden. Das Dachgeschossausbaurecht bleibe auch dann bestehen, wenn die ausbauberechtigten Sondereigentümer an den Kosten der GdWE (vorzeitig) beteiligt würden.
Fazit für den Verwalter
Die gesetzliche Beschlusskompetenz in § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG und der der Mehrheit bei der Abstimmung durch ihn eröffnete Ermessensspielraum sind weit. Die Beschlusskompetenz macht auch vor der Beseitigung oder Einräumung einer Kostenbefreiung nicht halt. Insoweit hat sich die Rechtslage gegenüber der Zeit vor Inkrafttreten des WEMoG geändert. Das Landgericht Berlin konnte diese Änderung der Rechtsprechung in seiner Entscheidung nicht berücksichtigen, weil der BGH erst danach gegenteilig entschied.
Offengeblieben ist, ob die Abschaffung des Kostenprivilegs trotz noch nicht durchgeführten Dachgeschossausbaus ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Mangels Anfechtungsklage wurde der diesbezügliche Versammlungsbeschluss aus 2021 bestandskräftig. Durch die Bestandskraft musste auch im vorliegenden Anfechtungsprozess die Wirksamkeit des Beschlusses zugrunde gelegt werden. Gemeinschaft und Verwalter sind verpflichtet, bei Hausgeldbeschlüssen (Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung, Sonderumlage) den im Zeitpunkt der Beschlussfassung gültigen Verteilungsschlüssel anzuwenden.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Die Kläger konnten den für sie nachteiligen Beschluss vom 23.06.2021 nicht anfechten, da sie damals noch keine Wohnungseigentümer waren. Der teilende Eigentümer oder ein anderer Miteigentümer erhoben keine Klage. Ob und inwieweit den Klägern aufgrund ihrer vertraglichen Rechtsposition aus dem Erwerbsvertrag Ansprüche gegen den Verkäufer zustehen, war nicht Bestandteil der Klage. Ob und unter welchen Voraussetzungen den Klägern ein Anspruch auf (nochmalige) Änderung des Kostenverteilungsschlüssels zustehen könnte, musste der BGH nicht entscheiden; immerhin merkt der BGH hierzu an, dass ein derartiger Anspruch jedenfalls nicht einredeweise geltend gemacht werden darf. Daraus ergibt sich zweierlei. Erstens: die Kläger müssen, wenn sie die Kostenbefreiung zurückhaben wollen, die Versammlung mit diesem Beschlussgegenstand befassen und einen negativen Beschluss mit der Beschlussersetzungsklage angreifen; sollten 15 Einheiten im Dachgeschoss nicht ausgebaut sein, könnte vielleicht sogar ein positiver Beschluss zustande kommen. Zweitens: in einem Hausgeldprozess der Gemeinschaft könnten die Kläger (dort wären sie die Beklagten) den etwaigen Anspruch auf Änderung der Gemeinschaftsordnung bzw. Herbeiführung eines abändernden Zweitbeschlusses nicht erfolgreich als Einrede geltend machen.
Fazit für die Gemeinschaft
Die Bestandskraft tritt nach Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist ein. Schon vorher, also in der Phase zwischen Beschlussergebnisverkündung und Ablauf der Frist, ist ein Beschluss gültig, sofern ihm nicht ausnahmsweise Nichtigkeitsgründe anhängen. Nichtigkeitsgründe können formeller oder materieller Natur sein. Die fehlende Beschlusskompetenz ist ein formeller Einwand. Ein materieller Einwand ist etwa der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die Sittenwidrigkeit des Beschlussinhalts. Darum ging es vorliegend nicht. Auch der Einwand der Kläger, ihre vorzeitige Kostenbeteiligung sei treuwidrig, war erfolglos.
Fehlende Beschlusskompetenz führt zur Nichtigkeit, der Verstoß gegen die ordnungsmäßige Verwaltung hingegen nur zur Rechtswidrigkeit (Anfechtbarkeit). Ob es zur Nichtigkeit oder lediglich zur Anfechtbarkeit führt, wenn ein Beschluss gegen den Willen der nachteilig Betroffenen in deren unentziehbare (»mehrheitsfeste«) Rechte eingreift, hat der BGH offengelassen. Darum ging es nicht, weil die Beschlussfassung auf Grundlage einer gesetzlichen Beschlusskompetenz erfolgt ist und nicht – wie in der diskussionswürdigen anderen Fallgruppe – auf Grundlage einer in der Gemeinschaftsordnung vereinbarten Beschlusskompetenz (Öffnungsklausel).
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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