In seinen Urteilen vom 09.02.2024 zu den Aktenzeichen V ZR 244/22 und V ZR 33/23 äußert sich der BGH zu den Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums. In den zugrunde liegenden Sachverhalten ging es um individuelle privilegierte bauliche Maßnahmen zur Barrierereduzierung, die den Wohnungseigentümern in einem Fall verweigert (Negativbeschluss) und im anderen Fall gestattet (Positivbeschluss) worden waren. Im ersten Fall erhoben die bauwilligen Wohnungseigentümer Beschlussersetzungsklage, in dem anderen Fall bekämpfte ein Eigentümer den gestattenden Mehrheitsbeschluss mit der Beschlussanfechtungsklage.
Die beiden Fälle
In dem Fall aus München besteht die Wohnanlage aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern und steht unter Denkmalschutz. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Das Hinterhaus (ehemaliges Gesindehaus) ist eher schlicht gehalten und besitzt ein enges Treppenhaus. Den Klägern gehören die Wohnungen im 3. und 4. Obergeschoss des Hinterhauses. Das Vorderhaus hat einen Aufzug, das Hinterhaus nicht. In der Versammlung vom 26.07.2021 stellten die körperlich nicht gehandicapten Kläger den Beschlussantrag, ihnen auf eigene Kosten einen Außenaufzug am Treppenhaus des Hinterhauses zu gestatten. Dies wurde abgelehnt. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht München I den Beschluss der Wohnungseigentümer durch Urteil ersetzt, dass am Hinterhaus auf der zum Innenhof gelegenen Seite ein Personenaufzug zu errichten ist. Die Revision zum BGH lies das Gericht zu.
In dem Fall aus Bonn ging es nicht so hoch hinaus wie in München, immerhin aber um 65 cm für eine Terrassenaufschüttung auf der Rückseite des Gebäudes zum Garten samt Rampe als barrierefreien Zugang und Ersetzung eines Doppelfensters durch eine Fenstertür. Die Wohnanlage besteht aus drei miteinander verbundenen zweistöckigen Häusern. Für die Erdgeschosswohnungen sind in der TE/GO Sondernutzungsrechte vereinbart mit der Berechtigung, auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von max. 1/3 der Sondernutzungsfläche zu errichten. Die beiden Eckhäuser haben gepflasterte Terrassen. Auf Antrag der bauwilligen Wohnungseigentümerin gestattete die Eigentümerversammlung vom 14.10.2021 ihr die gewünschte bauliche Veränderung. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage. Das Amtsgericht Bonn erklärte den Beschluss für ungültig, das Landgericht Köln bestätigte die amtsgerichtliche Entscheidung und ließ die Revision zu.
In beiden Fällen stritten die Parteien über die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 20 WEG, also u. a. die Abgrenzung einer klassischen zu einer privilegierten baulichen Veränderung, die Angemessenheit der Maßnahme, die unbillige Benachteiligung und die Frage, ob es zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage kommt.
Die Entscheidungen
Der BGH bestätigt den vom Landgericht München I anstelle der mehrheitlich blockierenden Wohnungseigentümer in die Welt gesetzten Grundlagenbeschluss. Der Außenlift stelle eine angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen diene. Da privilegierte bauliche Veränderungen typischerweise mit Eingriffen in die Bausubstanz, üblichen Nutzungseinschränkungen und optischen Veränderungen einhergingen, könne darin regelmäßig keine Unangemessenheit liegen. Dass hier ein atypischer Sonderfall vorliege, habe die GdWE nicht dargetan. Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage könne in der Errichtung eines Aufzugs nicht gesehen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er nicht im Treppenauge ein-, sondern im Außenbereich angebaut werde. Eine unbillige Benachteiligung eines einzelnen Wohnungseigentümers gegenüber anderen sei ebenfalls weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Einen Unterschied in der Urteilsbegründung zeigt der Fall aus Bonn. Da die Mehrheit die privilegierte bauliche Veränderung gestattete, hänge die Rechtmäßigkeit des Beschlusses laut BGH entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG im Einzelnen vorlägen und die bauliche Veränderung insbesondere angemessen sei. Hierauf komme es nur an, wenn – wie im Fall aus München – der Individualanspruch eines Wohnungseigentümers abgelehnt wurde. Im Bonner Fall dagegen sei nur die Grenze der grundlegenden Umgestaltung zu prüfen. Diese sei eingehalten. Gestattet worden sei die Errichtung eines untergeordneten Anbaus an ein bestehendes Gebäude einer Mehrhausanlage, wobei Terrassen schon nach der Gemeinschaftsordnung erlaubt seien.
Der BGH ebnet den Weg für eine großzügige Anwendung der Neuregelung zu privilegierten baulichen Veränderungen (§ 20 Abs. 2 WEG). Beide Fälle betrafen privilegierte bauliche Veränderungen zur Barrierereduzierung im Individualinteresse. Zuweilen kann die exakte rechtliche Qualifizierung baulicher Wünsche streitig und für den Verwalter schwierig sein. Eine wichtige Aussage trifft der BGH, wenn die Mehrheit für die Gestattung ist. Hier muss lediglich die in § 20 Abs. 4 WEG geregelte Grenze zur (unzulässigen) grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage sowie zur (unzulässigen) unbilligen Benachteiligung beachtet werden. Im Übrigen darf die Mehrheit die Maßnahme aber auch dann gestatten, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht als gegeben ansieht oder jedenfalls Zweifel hieran hegt. Das ist eine echte Erleichterung für die Rechtsanwendung und die Versammlungspraxis.
Treten Eigentümer mit baulichen Wünschen an die GdWE heran, hat der Verwalter diese als Beschlussgegenstand in die Tagesordnung der Versammlung zu bringen. Dies gilt unabhängig davon, ob und wie die Eigentümer ihr Begehren begründen. Sind in der Gemeinschaftsordnung Vereinbarungen über Untergemeinschaften getroffen, müssen diese beachtet werden. Denkbar ist beispielsweise, dass ein Vorderhaus oder sonst freistehender Baukörper allein entscheidet und Mehrheitserfordernisse daher nur auf eine Gruppe stimmberechtigter Eigentümer zu beziehen sind.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Rechtlich unerheblich war, dass die Kläger gegenwärtig körperlich nicht auf einen Aufzug angewiesen sind. Nach dem Gesetzeswortlaut genügt es, die Zugänglichkeit des Sondereigentums dadurch zu erleichtern, dass Barrieren verringert werden. Bauwillige Eigentümer dürfen also für die Zukunft vorbeugen. Die Ersetzung eines geschlossenen Fensterelements durch eine Fenstertür ist eine Barrierereduzierung, wenn Wege verkürzt oder neu erschlossen werden.
Da der Gesetzgeber die Angemessenheit einer privilegierten baulichen Veränderung als Regel ansieht, obliegt es der GdWE darzulegen, warum ein atypischer Fall vorliegen soll. Denkbar ist der Einwand, dass ein Aufzug im Treppenauge alle oder mehr Wohnungen als bei einem Penthouselift erschließt, was auch im Hinblick auf spätere Teilhabeansprüche relevant werden kann. Im Münchener Fall wird dies angesichts der engen baulichen Verhältnisse im Treppenhaus vermutlich ausgeschieden sein.
Die grundlegende Umgestaltung ist eine hohe Hürde für Baugegner und eine weitere gesetzgeberische Steigerung der Messlatte. In der Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2020 durfte die als Modernisierung oder Anpassung an den Stand der Technik privilegierte bauliche Veränderung die Eigenart der Wohnanlage nicht ändern (§ 22 Abs. 2 Satz 1 WEG aF), bei der klassischen baulichen Veränderung kann sogar schon die nachteilige Veränderung des optischen Erscheinungsbildes das Bauvorhaben zum Scheitern bringen.
Fazit für die Gemeinschaft
Die Urteile betreffen privilegierte bauliche Veränderungen im privaten Sonderinteresse einzelner Sondereigentümer bzw. Sondernutzungsberechtigter. Weiterhin keine grundlegende höchstrichterliche Aussage gibt es zur Qualifizierung energetischer Sanierungsmaßnahmen und der rechtlichen Einordnung der früheren modernisierenden Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 Abs. 3 WEG aF). Derartige Maßnahmen erfolgen in aller Regel im Namen der GdWE auf Kosten aller Wohnungseigentümer.
Der gerichtlich ersetzte Grundlagenbeschluss ist mit Urteilsverkündung bestands- und rechtskräftig. Zur Beschlussdurchführung ist an sich die GdWE verpflichtet, wobei ein Grundlagenbeschluss wie hier im Fall aus München nicht ohne weiteres durchführbar ist. Der nächste Schritt wird in der Regel ein weiterer Beschlussantrag des bauwilligen Wohnungseigentümers sein müssen, nunmehr gerichtet auf die konkrete Umsetzung des Grundlagenbeschlusses. Die GdWE wird sodann unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, die Eigentümerversammlung einberufen müssen, damit erneut abgestimmt werden kann, wobei der Mehrheit das durch § 20 Abs. 2 Satz 2 WEG im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung eröffnete Direktionsrecht und Gestaltungsermessen zum Tragen kommen kann. Denkbar ist etwa, dass dem bauwilligen Wohnungseigentümer bezüglich Antriebstechnik, Material, Standort etc. ordnungsmäßige Vorgaben gemacht werden.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Beide Fälle spielten nach neuem Recht, da die Eigentümerversammlungen, in denen die privilegierte bauliche Veränderung abgelehnt bzw. gestattet wurde, nach dem 01.12.2020 stattfanden. Seither sind Beschlussklagen nicht mehr gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten, sondern gegen die GdWE. Dies gilt auch bei vereinbarten Untergemeinschaften.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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