WEG-Recht

BGH zu Prozesskosten: Siegreicher Anfechtungskläger finanziert Gegenanwalt trotzdem anteilig mit!

Am 19.07.2024 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine umstrittene und bisher höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage entschieden. Aufhänger war die Anfechtungsklage gegen die Erhebung einer Sonderumlage zur Finanzierung von Prozesskosten aus einem zurückliegenden Prozess. Die Klägerinnen, die den Vorprozess gewonnen hatten, verlangten interne Freistellung von den aus der Gemeinschaftskasse bezahlten Prozesskosten für zwei Rechtsanwälte und das Gericht, unterlagen aber in Karlsruhe.

Mit Urteil vom 19. Juli 2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 139/23 entschied der BGH, dass zu den Kosten der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG auch Prozesskosten gehören, und zwar auch dann, wenn es um Beschlussklagen über die interne Willensbildung innerhalb der Gemeinschaft geht. Hauptargument für diese rechtliche Sichtweise ist, dass Beschlussklagen (Anfechtungsklage, Nichtigkeitsklage, Beschlussersetzungsklage) seit 01.12.2020 gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) zu richten sind und nicht mehr – wie bis zum 30.11.2020 – gegen die übrigen Sondereigentümer.

Der Fall

Die GdWE im Amtsgerichtsbezirk Rostock besteht aus acht Einheiten, von denen drei Wohnungseigentumseinheiten den drei Klägerinnen gehören. In der Gemeinschaftsordnung (GO) vom 14.05.2019 ist vereinbart, dass die Verwaltungskosten zu gleichen Teilen auf die Wohnungseigentumseinheiten umgelegt werden. Im Jahr 2021, also schon nach Inkrafttreten des WEMoG, obsiegten die Klägerinnen in einem Vorprozess, in dem das Gericht einen damals gefassten Mehrheitsbeschluss rechtskräftig für ungültig erklärte und die Kosten des Rechtsstreits der GdWE auferlegte. Die Kosten beider Rechtsanwälte sowie die Gerichtskosten in Höhe von 6.393,62 EUR wurden aus dem Gemeinschaftsvermögen der GdWE bezahlt. Um diese Ausgabe zu finanzieren, wurde in der Eigentümerversammlung vom 27.04.2022 unter TOP 4 eine Sonderumlage über 6.393,62 EUR beschlossen, verteilt nach Einheiten zu je 1/8 (799,21 EUR) und fällig binnen 14 Tagen nach Beschlussfassung. Auf diesen Beschluss fochten die Klägerinnen an. Nicht angefochten wurden die in derselben Versammlung beschlossene Jahresabrechnung 2021 (TOP 3) und der beschlossene Wirtschaftsplan 2022 (TOP 6). Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr statt und wies die Revision zum BGH zu. Dieser stellte das amtsgerichtliche Urteil wieder her, weil er die Ansicht des Landgerichts Rostock nicht teilt.

Die Entscheidung

Der Sonderumlagebeschluss entsprach in jeder Hinsicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Es bestand keine Verpflichtung, die Finanzierung über die Jahresabrechnung oder den Wirtschaftsplan laufen zu lassen. Eine Sonderumlage sei eine Ergänzung des Wirtschaftsplans für das laufende Wirtschaftsjahr, die der Deckung besonderer oder unvorhergesehener Ausgaben dient, wobei es keine Rolle spiele, ob die Ausgaben bereits angefallen seien. Der Sonderumlage sei der korrekte Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt worden, da Prozesskosten zu den Verwaltungskosten zählen, und zwar auch dort, wo die GdWE keine eigenen Ansprüche einklage, sondern es um die interne Willensbildung gehe. Da der gesetzliche Kostenverteilungsschlüssel (Miteigentumsanteile) gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG abdingbar und im Fall durch die GO wirksam abgeändert worden sei, sei die Verteilung zu Recht nach Einheiten unter Beteiligung der Klägerinnen erfolgt.

Es bestand keine Verpflichtung, vor der Abstimmung über die Sonderumlage über eine abweichende Kostenverteilung abzustimmen. Unerheblich sei auch, ob den Beteiligten bewusst war, dass eine solche Möglichkeit bestanden hätte.

Fazit für den Verwalter

Für die Verwalterpraxis bringt das Urteil Erleichterungen mit sich, weil bei der Erstellung von Jahresabrechnungen nicht darauf geachtet werden muss, wie über die Beschlussklage entschieden wurde und wie die Kostengrundentscheidung des Gerichts lautet. Es ist ordnungsmäßig, wenn der Verwalter im Innenverhältnis auch den siegreichen Anfechtungs- oder Beschlussersetzungskläger nach dem maßgeblichen Verteilerschlüssel an den Prozesskosten der unterlegenen GdWE beteiligt. Maßgeblicher Schlüssel sind Miteigentumsanteile, sofern nicht in der Gemeinschaftsordnung oder einem Beschluss eine andere Verteilung für Prozesskosten vorgesehen ist. Im vorliegenden Fall lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, ob die Prozesskosten im Jahr 2021 oder 2022 aus dem Gemeinschaftsvermögen abflossen.

Wird eine Beschlussklage rechtskräftig abgewiesen und hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, darf der Verwalter Prozesskosten des Klägers (z.B. Gerichtskostenvorschuss, Klägeranwalt) nicht aus der Gemeinschaftskasse bezahlen. Den für die GdWE mandatierten Rechtsanwalt darf der Verwalter aus der Gemeinschaftskasse bezahlen.

Der Verwalter ist berechtigt und verpflichtet, bei einer Sonderumlage den im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Kostenverteilungsschlüssel anzuwenden. Weder die Wohnungseigentümer noch die GdWE haben einen Ermessensspielraum, einen anderen Schlüssel anzuwenden. Voraussetzung hierfür wäre, dass zuvor eine Änderung des Schlüssels oder eine abweichende Verteilung konkret angefallener Prozesskosten im Einzelfall beschlossen wurde. Dafür Sorge zu tragen, obliegt weder dem Verwalter noch der GdWE noch den übrigen Miteigentümern, sondern demjenigen – hier den Klägerinnen –, der eine solche Beschlussfassung verlangt.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Der BGH räumt ein, dass gerade in kleineren Gemeinschaften die anteilige Mithaftung für Prozesskosten einen Wohnungseigentümer davon abhalten könne, rechtswidrige oder möglicherweise zweifelhafte Beschlüsse gerichtlich zu bekämpfen, dies aber nach der neuen Gesetzeslage vom Gesetzgeber so hingenommen werde. Die erfolgreichen Kläger in einem Beschlussklageprozess seien zugleich Mitglieder der beklagten GdWE. Infolge ihrer Doppelrolle als Prozesspartei einerseits und als Mitglied der GdWE andererseits sei die Kostenbeteiligung gerechtfertigt. Eine einschränkende Auslegung von § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG komme nicht infrage.

Hätten die Klägerinnen zu der Versammlung vom 27.04.2022 einen TOP »Diskussion und Beschlussfassung über die Freistellung der Klägerinnen von der Prozesskostenfinanzierung aus dem gewonnenen Vorprozess« gestellt und hätte die Versammlung den Beschlussantrag (z.B. mit 3 gegen 5 Stimmen) abgelehnt, wäre eine Beschlussersetzungsklage der Klägerinnen gegen die GdWE voraussichtlich erfolglos geblieben, weil die Minderheit grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Änderung bzw. - worum es hier gegangen wäre - einmalige Durchbrechung des unverändert fortgeltenden Kostenverteilungsschlüssels gehabt hätte (Sonderumlage über 6.393,62 € verteilt auf 5 statt auf 8 Einheiten). Ausnahmsweise könnte anderes gelten, wenn rechtskräftig entschieden oder zwischen den Parteien unstreitig gewesen wäre, dass den Klägerinnen gegenüber der GdWE ein materieller Schadensersatzanspruch zugestanden hätte, z.B. wegen einer schuldhaft verweigerten oder verzögerten Beschlussfassung über zwingend erforderliche Instandsetzungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum. Zu derartigen Erwägungen musste sich der BGH nicht äußern.

Ein positiver Mehrheitsbeschluss, siegreiche Anfechtungskläger generell im Innenverhältnis von den Kosten der Rechtsvertretung der GdWE freizustellen, würde mangels Anfechtung in Bestandskraft erwachsen. Wie im Falle einer Anfechtung dieses Beschlusses zu entscheiden wäre, ist fraglich. Ein Störgefühl ergibt sich daraus, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung über einen derart abstrakt-generellen Beschluss nicht feststeht und zumeist auch nicht vorhergesagt werden kann, welche aktuellen oder künftigen Wohnungseigentümer (Kläger) von einer derartigen Beschlussfassung profitieren.

Ein Trugschluss seitens des siegreichen Anfechtungsklägers wäre es, in der Pflicht zur anteiligen Mitfinanzierung des gegnerischen Rechtsanwalts einen berufsrechtlichen Verstoß zu sehen. Der Gegenanwalt vertrat ausschließlich das Interesse der GdWE. Deutlich wird dies bei einem verlorenen Anfechtungsprozess, denn hier zahlt der Anfechtungskläger sowohl den eigenen als auch den gegnerischen Rechtsanwalt komplett allein.

Fazit für die Gemeinschaft

Das objektive Gemeinschaftsinteresse der GdWE wird in der Regel dahin gehen, alle Mitglieder an der Umlage/Finanzierung von Prozesskosten zu beteiligen.

Das Urteil betrifft Prozesskosten einer Beschlussklage, die von beiden Rechtsanwälten nach gesetzlichen Gebühren (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) auf der Grundlage des gerichtlich festgesetzten Streitwerts abgerechnet wurden. Fraglich ist, ob auch Rechtsanwaltskosten auf Grundlage einer Vergütungsvereinbarung zwischen GdWE und Beklagtenanwalt (Streitwertvereinbarung, Stundensatz, pauschales Zusatzhonorar zusätzlich zum RVG) vom siegreichen Kläger anteilig mitzuzahlen sind. Zumindest im Grundsatz könnte das zu bejahen sein. Weitere Fragen stellen sich, wenn es nicht um eine gerichtliche Vertretung (Beschlussverteidigung) geht, sondern eine außergerichtliche Beratung der GdWE.

An sich können der GdWE eigene Prozesskosten in einem Beschlussklageverfahren nur auf Beklagtenseite entstehen. Eine Ausnahme ist denkbar, falls die GdWE selbst Wohnungseigentümerin in der eigenen oder einer anderen GdWE ist und eine Beschlussklage erhebt.

Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?

Der Fall und auch der Vorprozess wurden nach dem neuen Recht entschieden. Fehlerhaft war es, dass im Vorprozess der Rechtsanwalt der GdWE eine Mehrfachvertretungsgebühr (Nr. 1008 VV RVG) abrechnete. Diese stand ihm nicht zu, weil er nicht fünf Mandanten (die übrigen Wohnungseigentümer) hatte, sondern nur einen, und zwar die selbst rechtsfähige und prozessfähige GdWE.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg

www.wir-breiholdt.de