WEG-Recht

Kurswechsel beim BGH: Die Pflicht zur Beschlussdurchführung trifft den Verwalter, nicht die Wohnungseigentümergemeinschaft

Ab sofort darf jeder Wohnungseigentümer den Verwalter auf Beschlussdurchführung verklagen!

Bislang war die Erzwingung der Durchführung eines gefassten Beschlusses für den Eigentümer ein Spießrutenlauf, wenn die Mehrheit oder der Verwalter die Beschlussumsetzung ausbremste. Er musste eine Eigentümerversammlung verlangen, diese ggf. durch Urteil erzwingen und gegen einen ablehnenden oder verweigerten Beschluss, gemeinschaftlich auf den Verwalter einzuwirken, damit dieser zur Tat schreitet, ggf. mit der Beschlussersetzungsklage reagieren. Diese bisherige Sichtweise des BGH war auf Kritik gestoßen. Der BGH korrigiert nunmehr seine Rechtsprechung.

Mit Urteil vom 08. Juni 2018 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 125/17 gibt der Bundesgerichtshof (BGH) seine frühere Rechtsprechung auf, wonach die Pflicht zur Durchführung von Beschlüssen die Wohnungseigentümergemeinschaft als rechtsfähigen Verband treffe. Nunmehr entscheidet der BGH, dass die Durchführungspflicht den Verwalter trifft. Gehe es um die Umsetzung von Sanierungsbeschlüssen, gehöre nicht nur die Auftragserteilung im Namen und auf Kosten der Wohnungseigentümergemeinschaft dazu, sondern auch die Überprüfung, dass das beauftragte Sanierungsunternehmen die Arbeiten vollständig ausführe. Gegebenenfalls müsse der Verwalter bei Zweifeln oder Ärger  mit dem Auftragnehmer der WEG die Eigentümer erneut mit der Thematik befassen und Beschlüsse darüber herbeiführen, wie weiter zu verfahren ist.

Der Fall

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft (im Folgenden auch WEG). Ihr gehört eine Erdgeschosseinheit. Wegen Feuchteschäden im Mauerwerk, die ihre Ursache im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums hatten, beschlossen die Eigentümer eine Abdichtungsmaßnahme. Diese schlug fehl, wie ein von der WEG gegen Abdichtungsunternehmen und planende Architekten durchgeführtes selbständiges Beweisverfahren ergab. Bevor es zu Nachbesserungsmaßnahmen kam, verursachte der Mieter einer anderen Wohnung im Haus einen Brand. Von den Brand- und Löschwasserschäden war auch die Erdgeschosseinheit der Klägerin betroffen. Die WEG beauftragte die Firma B. mit der Beseitigung des Brand- und Abdichtungsschadens. Am 10.06.2010 nahm die WEG, vertreten durch den Verwalter, die Arbeiten der Firma B. ab. Zwei Wochen später stellte ein von der Klägerin eingeschalteter Privatgutachter fest, dass die Durchfeuchtungen und deren Ursachen weiterhin vorhanden waren. Die Klägerin beschwerte sich beim Verwalter, der an die Firma B. herantrat, die mitteilte, mit den Abdichtungsmaßnahmen nicht beauftragt gewesen zu sein. In der Folge geschah nichts. Erst Ende 2012, wurden die Wohnungseigentümer in einer Eigentümerversammlung erneut mit den Feuchtigkeitsschäden in der klägerischen Wohnung befasst.

Mit ihrer gegen den rechtsfähigen Verband (WEG) gerichteten Klage verlangt die Klägerin Mietausfallschaden für das Jahr 2010 (12 x 450,00 EUR = 5.400,00 EUR) und die Kosten des Privatgutachtens (487,90 EUR). Das Amtsgericht Hamburg wies die Klage ab, das Landgericht Hamburg als Berufungsgericht sprach der Klägerin Mietausfall für die Monate September bis Dezember 2010 und die Gutachterkosten zu. Die Revision wurde zugelassen. Der BGH änderte das Berufungsurteil ab und wies die Klage insgesamt ab.

Die Entscheidung

Eingangs führt der BGH aus, dass der Verwalter durch sein Verhalten seine Pflicht zur Beschlussdurchführung verletzt habe. Die Pflichtverletzung könne aber der beklagten WEG nicht zugerechnet werden. Gleiches gelte für die (möglicherweise) mangelhaften Leistungen von Handwerkern, Bauleitern oder Architekten, die im Namen der WEG mit den Sanierungsarbeiten betraut gewesen waren. Denn - und darin liegt der Kurswechsel des BGH - die WEG erfülle mit der Beauftragung von Sanierungsarbeiten in Durchführung eines von den Eigentümern gefassten Sanierungsbeschlusses keine eigene Pflicht gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern. Vielmehr stelle die Pflicht zur Beschlussdurchführung gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG eine eigene originäre Pflicht des Verwalters dar, die diesem gemäß § 27 Abs. 4 WEG auch nicht entzogen werden dürfe.

Rechtslage und Haftungssituation im Innenverhältnis und im Außenverhältnis einer Wohnungseigentümergemeinschaft sind laut BGH unterschiedlich zu beurteilen: Während im Außenverhältnis zu Dritten anerkannt sei, dass die WEG für schuldhaft pflichtwidriges organschaftliches Verhalten des Verwalters einzustehen habe (siehe Randnummer 10 der Urteilsgründe), sei dies im Innenverhältnis nicht der Fall. Zwar habe der Verwalter Beschlüsse der Wohnungseigentümer herbeizuführen (interne Willensbildung) und gefasste Beschlüsse vollständig und fehlerfrei durchzuführen (externer Vollzug). Dies sei aber gerade kein organschaftliches Verhalten des Verwalters, welches dem Verband (der WEG) zugerechnet werden könne und für welches der Verband (die WEG) hafte. Konsequenz sei u.a., dass der Anspruch auf Beschlussdurchführung nicht gemeinschaftsbezogen sei, also nicht kollektiv und unter Vorbefassung der Eigentümerversammlung geltend zu machen sei, sondern von jedem einzelnen Wohnungseigentümer individuell geltend gemacht werden könne (Rn. 24). Der Gegenansicht in der Instanzrechtsprechung, die einen solchen Individualanspruch des einzelnen Wohnungseigentümers verneinte und Durchführungsklagen abschmetterte, erteilt der BGH eine Absage (Rn. 25).

Fazit für den Verwalter

Das Urteil besitzt große Praxisrelevanz für Wohnungseigentumsverwalter. Sie können sich nicht mehr – wie bisweilen geschehen – hinter der gemeinschaftlichen Zuständigkeit verstecken, sondern schulden jedem einzelnen Wohnungseigentümer die Durchführung gefasster Beschlüsse. Kommt der Verwalter in Verzug, droht im Ärger, im schlimmsten Fall eine Individualklage eines Wohnungseigentümers. Führt der Verwalter während eines solchen Prozesses den Beschluss durch und erklärt der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, werden den Verwalter als Beklagten in aller Regel die Prozesskosten treffen. Auch weiterer Ärger kann ins Haus stehen, beispielsweise eine Abmahnung oder fristlose Abberufung aufgrund eines zerstörten Vertrauensverhältnisses.

Kurios im vorliegenden Fall war, dass die Firma B. meinte, mit den Abdichtungsarbeiten gar nicht beauftragt worden zu sein. Eine solche Behauptung wäre aufgrund der dokumentierten Vertragslage wohl leicht zu widerlegen gewesen. Der Verwalter hatte es versäumt, die Wohnungseigentümer über die unerwarteten Schwierigkeiten und die Auseinandersetzung mit der Firma B. zu informieren. Stattdessen über 2 Jahre hinweg die Thematik nicht in die Versammlung zu bringen, war eine schuldhafte Pflichtverletzung. Als der Verwalter sah, dass die Firma B. ihren - möglicherweise vertragswidrigen - Standpunkt nicht aufgab, hätte er die Versammlung (ggf. außerordentlich) einberufen müssen, um die Eigentümer darüber abstimmen zu lassen, wie weiter vorgegangen wird, z.B. durch Einschaltung eines Rechtsanwalts und Klage der WEG gegen Firma B. auf Erfüllung, Nacherfüllung, Schadensersatz o.ä. Die nähere rechtliche Beurteilung hätte ggf. einem von der WEG zu mandatierenden Rechtsanwalt oblegen.

Auch wenn der BGH erwähnt, dass die Beschlussdurchführung dem Verwalter vorbehalten und gesetzlich geschützt ist (§ 27 Abs. 4 WEG), ändert es nichts daran, dass die Wohnungseigentümer dem Verwalter gegenüber weisungsbefugt sind. Dies geht aus dem Urteil eindeutig hervor (Rn 16, 23, 28). Umgekehrt ist für den Verwalter wissenswert, dass er die Wohnungseigentümer jederzeit um die Erteilung einer solchen Weisung angehen darf. Dies kann im Rahmen einer Beschlussfassung in einer (außerordentlichen) Eigentümerversammlung passieren. Allerdings ist der Verwalter verpflichtet, den Eigentümern vor der Abstimmung, am besten bereits mit einem Einladungsschreiben oder einer E-Mail, den Stand der Dinge (unerwarteter Ärger mit Firma B.) mitzuteilen, damit sie auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage ihre Entscheidung treffen können.

Schließt eine WEG mit Handwerkern oder Architekten Verträge über Sanierungsmaßnahmen und Planungsleistungen ab, sind die Wohnungseigentümer keine Vertragspartei. Allerdings handelt es sich um Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, d.h. sämtlicher Wohnungseigentümer. Arbeiten Auftragnehmer der WEG mangelhaft, haftet nicht die WEG gegenüber den Eigentümern, sondern der Auftragnehmer als Schädiger. Entsteht der Schaden nicht am gemeinschaftlichen Eigentum, sondern am Sondereigentum eines Wohnungseigentümers, hat dieser unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schädiger. Der Verwalter ist verpflichtet, den geschädigten Sondereigentümer jedenfalls insoweit zu unterstützen, als er ihm alle erforderlichen Informationen zukommen lassen muss (Rn 39). Dazu gehören insbesondere die Vertragsunterlagen (z.B. Angebot, Auftrag, Auftragsbestätigung, Rechnung), aber auch weitere Korrespondenz, soweit diese aussagekräftige Informationen zur Rechtsverfolgung enthalten. Solche Vertragsunterlagen zählen zu den Verwaltungsunterlagen, in die jeder Wohnungseigentümer Einsicht verlangen kann.

Nur am Rande ist noch zu erwähnen, dass der verschuldensunabhängige Aufopferungsanspruch aus § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG der Klägerin nicht weiterhalf. Zwar richtet sich der Anspruch gegen die WEG. Anspruchsvoraussetzung ist aber, dass intaktes Sondereigentum aufgeopfert wird. Während der Durchführung der Instandsetzungsarbeiten hätte die Erdgeschosseinheit mithin an sich nutzbar (bewohnbar) sein müssen. Daran fehlte es, da die Wohnung unstreitig durch die 2010 vorhandene Feuchtigkeit unbewohnbar war.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de