WEG-Recht

Paukenschlag: Eine WEG kann Unterlassung zweckbestimmungswidriger Nutzung auch vom Mieter verlangen!

Der unzulässige Gebrauch von gemeinschaftlichem Eigentum und/ oder die zweckbestimmungswidrige Nutzung von Sondereigentum lösen Unterlassungsansprüche aus. Im Verhältnis von Wohnungseigentümern untereinander ist dies seit langem geklärt. Nunmehr hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu einem Fall aus Hessen entschieden, dass auch gegen den Mieter eines Teileigentümers unmittelbar Unterlassungsansprüche bestehen können, deren Durchsetzung die Gemeinschaft per Mehrheitsbeschluss an sich ziehen kann. Denn der Mieter selbst – so der BGH – sei Störer im juristischen Sinne, obwohl er weder an die Gemeinschaftsordnung noch an Beschlüsse der Wohnungseigentümer unmittelbar gebunden sei.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2019 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 271/18 hat der BGH die Rechte von Wohnungseigentümern im Verhältnis zu Mietern anderer Miteigentümer gestärkt. Nachdem der BGH die rechtlich maßgebliche Frage lange Zeit offen lassen konnte, musste er nunmehr Farbe bekennen. Die Entscheidung gilt gleichermaßen für Wohnraum- als auch die Gewerberaummiete.

Der Fall

Klägerin ist eine WEG. Anfangs verklagte sie die Teileigentümer einer im Erdgeschoss des Hauses gelegenen Ladeneinheit (Beklagten zu 1. und 2.) sowie deren Mieter (Beklagter zu 3.), der in der Fläche ein Eiscafé betreibt, in dem außer Eis auch Kaffeespezialitäten und Erfrischungsgetränke angeboten werden, auf Unterlassung der Nutzung als Gastronomiebetrieb, insbesondere Eisdiele mit Straßenverkauf und Außennutzung. Im Revisionsverfahren waren die Beklagten zu 1. und 2. nicht mehr beteiligt, sondern nur noch der Beklagte zu 3. (im Folgenden nur noch kurz: Beklagter).

Im Textteil der Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung ist das Teileigentum als „Laden“ bezeichnet. In der Eigentümerversammlung vom 01.11.2016 wurde beschlossen, einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen der Wohnungseigentümer durch die WEG auf deren Kosten zu beauftragen. Die Unterlassungsklage gegen den Beklagten hatte in allen drei Instanzen Erfolg.

Die Entscheidung

Die Klage ist laut BGH zulässig und begründet. Bezüglich der Zulässigkeit spricht der BGH an, dass die Rechtsverfolgung auch gegenüber Dritten an sich gezogen werden könne, der Anwendungsbereich von § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG also nicht auf Rechtsstreitigkeiten im Innenverhältnis der Gemeinschaft beschränkt sei (Randnummer [Rn] 6 der Urteilsgründe).

Begründet sei die Klage, da den Eigentümern Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB gegen den Gewerbemieter zustünden, wohingegen § 15 Abs. 3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) als weitere denkbare Anspruchsgrundlage gegenüber Dritten keine Geltung habe.

Auch wenn Mieter – so der BGH – weder an Vereinbarungen der Gemeinschaftsordnung (z.B. Zweckbestimmungen, Gebrauchsregelungen) noch an Beschlüsse der Eigentümer (z.B. Zweckbestimmungen auf der Grundlage einer Öffnungsklausel, Gebrauchsregelungen nach § 15 Abs. 2 WEG) unmittelbar gebunden seien, würden durch diese Regelungsinstrumente gleichwohl Inhalt und Grenzen der Nutzungsberechtigung von gemeinschaftlichem Eigentum und Sondereigentum rechtsverbindlich geregelt, und zwar auch im Verhältnis zu Nichteigentümern. Vermietende Sondereigentümer seien im Ergebnis nicht imstande, Mietern im Mietvertrag weitergehende Rechte einzuräumen als ihnen selbst im Verhältnis zu ihren Miteigentümern zustünden. Dies gelte sowohl in Bezug auf das Mitgebrauchsrecht am gemeinschaftlichen Eigentum (Räume und Flächen) als auch bezüglich der Zweckbestimmung von Sondereigentumseinheiten. Eine der Zweckbestimmung widersprechenden Nutzung stelle sich als mittelbare Beeinträchtigung des Eigentums aller Wohnungseigentümer dar, und zwar auch dann, wenn sie nicht durch den Sondereigentümer, sondern durch dessen Mieter erfolge. Diese Beeinträchtigung müssten die übrigen Eigentümer nicht dulden, selbst wenn – was in der Praxis durchaus nicht selten vorkommt – der Mieter vertraglich im Verhältnis zu seinem Vermieter zu einer solchen Nutzung berechtigt sein sollte (Rn 18).

Im vorliegenden Fall handele es sich bei der Nutzungsbeschränkung „Laden“ um eine rechtsverbindliche Regelung, nicht nur um einen unverbindlichen Nutzungsvorschlag. Nach der – laut BGH auch im Verhältnis zum Mieter – maßgeblichen typisierenden Betrachtungsweise störe die zweckbestimmungswidrige Nutzung als Gastronomiebetrieb (Eisdiele mit Straßenverkauf und Außenplätzen) mehr als die zulässige Ladennutzung. Während in einem Laden der Verkauf von Waren im Vordergrund stehe, träten bei einer gastronomischen Nutzung weitergehende Beeinträchtigungen hinzu,  jedenfalls dann, wenn Außenflächen in Anspruch genommen würden (Verzehr von Speisen und Getränken außerhalb der Eisdiele, Klappern von Geschirr, Stühlerücken, Kommunikation unter den Gästen). Inwieweit solche störenden Geräusche im vorliegenden Fall tatsächlich aufträten, könne laut BGH daher dahinstehen, weil es im Rahmen einer rein typisierenden Betrachtung juristisch nicht maßgeblich sei (Rn 26).

Fazit für den Verwalter

Bei der Formulierung des Beschlussantrages, mit dem die Rechtsverfolgung von der Gemeinschaft an sich gezogen wird, hat der Verwalter darauf zu achten, neben vermietenden Sondereigentümern auch mögliche Mieter, Nießbraucher oder sonstige Fremdnutzer als Anspruchsgegner aufzuführen, um auch ihnen gegenüber die Unterlassungsklage per Beschluss zu legitimieren. Beschränkt sich der Beschlussantrag auf Eigentümer, ist eine Rechtsverfolgung gegenüber Dritten in der Regel nicht vom Beschluss gedeckt (vgl. BGH 10.7.2015 – V ZR 194/14).

Im vorliegenden Fall muss die Nutzungsbeschränkung des Teileigentums auf eine Ladennutzung so klar und eindeutig formuliert gewesen sein, dass keine Zweifel an ihrer Rechtsverbindlichkeit bestanden. Auch bei Zweckbestimmungen ist höchstrichterlich anerkannt, dass ohne eine klare und eindeutige Regelung im Zweifel die gesetzliche Grundregel gilt, bei einem Teileigentum also jedwede (auch gastronomische oder sonstige gewerbliche) Nutzung gestattet ist, sofern sie keine Wohnnutzung ist (vgl. die Legaldefinition von Teileigentum in § 1 Abs. 3 WEG).

Der vom BGH herangezogene Grundsatz, wonach ein Mieter (Fremdnutzer) keine stärkere Rechtsposition haben könne als der Eigentümer selbst, entstammt aus dem Römischen Recht („nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet“).

Regelungen der Hausordnung von Wohnungseigentümern spricht der BGH nicht ausdrücklich an. Da eine WEG-Hausordnung indessen durch Beschluss erlassen und ggf. abgeändert werden kann (vgl. § 21 Abs. 5 Nr. 1 WEG) und ihrem üblichen Inhalt nach Gebrauchsregelungen enthält, wird nichts Gegenteiliges zu gelten haben. Die Einhaltung der Hausordnung der Wohnungseigentümer durch den Mieter wird daher ebenfalls von der WEG gemeinschaftlich durchgesetzt werden können.

Anders als der Mieter von Sondereigentum, der selbst und unmittelbar Unterlassung des störenden Verhaltens schuldet, ist der vermietende Sondereigentümer zu einer entsprechenden Einwirkung auf seinen Mieter verpflichtet (§ 14 Nr. 2 WEG). Die Einwirkungspflicht gegen den Vermieter ist in der Praxis oft wesentlich schwerer durchzusetzen bzw. zu vollstrecken als die Unterlassung gegen den Mieter. Im Vorfeld einer Klage sollte stets sorgfältig abgewogen werden, ob man zweigleisig vorgeht oder nur den einen oder den anderen Störer in Anspruch nimmt.

Im Verhältnis zu den Beklagten zu 1. und 2. (Teileigentümern) handelte es sich um eine WEG-Streitigkeit, im Verhältnis zum Mieter nicht. Gleichwohl konnte der Rechtsstreit einheitlich vor den WEG-Gerichten geführt werden.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de