Mit Urteil vom 11.10.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 261/23 entschied der BGH einen Fall aus dem Amtsgerichtsbezirk Langenfeld in Nordrhein-Westfalen. In dem dort zugrundeliegenden Fall hatte eine notarielle „Korrektururkunde“ zur ursprünglichen Teilungserklärung alles noch schlimmer gemacht und letztlich einen Eigentümerbeschluss heraufbeschworen, der durch drei Instanzen ging.
Der Fall
Der Kläger ist Wohnungseigentümer der Wohnung Nr. 5 und Mitglied der beklagten GdWE. Nach der TE/GO vom 18.02.2011 gehört zu seiner Wohnung das Sondernutzungsrecht SN-5 an einer im Lageplan markierten und farblich gekennzeichneten Terrasse. Wegen einer abweichenden Bauausführung wurde in einem am 13.05.2011 notariell beurkundeten Nachtrag zur TE/GO u.a. klargestellt, dass der zu der vorgenannten Urkunde genommene Lageplan dahingehend geändert wird, dass die Terrasse SN-1 in Höhe der Küche der Wohnung Nr. 5 nicht existiert. Zwischen den Wohnungseigentümern war und ist streitig, ob die Klarstellung auf einem Schreibfehler beruhte, weil es offenbar nicht um die Terrasse SN-1, sondern um die Terrasse SN-5 gehen sollte, die in Höhe der Küche dieser Wohnung nicht existierte bzw. nicht errichtet werden sollte. Noch während der Kläger und die übrigen Wohnungseigentümer einen Rechtsstreit über die Einräumung eines Sondernutzungsrechts zugunsten der Wohnung des Klägers und die Frage eines Schreibversehens in der Klarstellungsurkunde führten, wurden in der Eigentümerversammlung vom 14.12.2021 folgende Beschlüsse hierzu gefasst:
TOP 6.2: „Die Eigentümer beschließen, den Schreibfehler in der Klarstellung zur Teilungserklärung vom 13. Mai 2011 korrigieren zu lassen - spätestens, wenn der zugrundeliegende Rechtsstreit rechtskräftig ist.“
TOP 9.2: „Die Eigentümer beschließen, dass das Grundbuch hinsichtlich der Wohnung Nr. 5 angepasst werden soll, da hinsichtlich der Wohnung Nr. 5 im Grundbuch immer noch eine Terrassenfläche zugunsten der Wohnung Nr. 5 eingetragen ist, weswegen ein Grundbuchwiderspruch erforderlich ist.“
TOP 12.2: „Die Eigentümer beschließen, dass hinsichtlich der Wohnung Nr. 5 ein plangerechter Zustand hergestellt wird, indem die Wohnung Nr. 5 wie alle anderen Wohnungen über eine Klingel und einen Briefkasten verfügen soll.“
Der Kläger erhob gegen diese Beschlüsse eine Anfechtungsklage, die sein Rechtsanwalt nicht fristgerecht einreichte, weil er Fehler bei der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) machte. Amtsgericht und Landgericht hatten deshalb die Klage bereits als verfristet abgewiesen. Der BGH bestätigt das zumindest im Ergebnis.
Die Entscheidung
Der BGH bestätigt, dass der Kläger die Anfechtungsfrist verpasst hatte. Zwar sei der Mangel der fehlenden elektronischen Signatur der Klageschrift später behoben worden, dies allerdings nicht mehr innerhalb der Klagefrist, sodass Anfechtungsgründe nicht mehr zu prüfen waren. Allerdings – so der BGH weiter – habe das Berufungsgericht prüfen müssen, ob der vorgetragene Sachverhalt Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Beschlüsse erkennen lasse. Rechtlich sei zu berücksichtigen, dass seine Unbestimmtheit einen Beschluss zwar grundsätzlich nur anfechtbar mache, ausnahmsweise aber zur Beschlussnichtigkeit führe, was vom Schweregrad der Unbestimmtheit abhänge.
Im Ergebnis bewertet der BGH die drei gefassten Beschlüsse zwar als unbestimmt. Der Grad der Unbestimmtheit sei allerdings nicht so gravierend, dass die Grenze zur Beschlussnichtigkeit überschritten worden sei. Alle drei Beschlüssen ließen nach Kern und Mindestinhalt eine durchführbare Regelung (noch) erkennen und seien nicht in sich widersprüchlich. Lege man den Beschlussinhalt „aus sich heraus“ objektiv und normativ aus, werde für den unbefangenen Betrachter deutlich, dass die Beschlüsse nicht versuchten, unmittelbar die sachenrechtlichen Grundlagen der Wohnanlage zu ändern und/oder den Bestand von Sondernutzungsrechten abzuändern, sondern nur Vorbereitungsmaßnahmen beschlossen wurden. Derartige Vorbereitungsmaßnahmen seien Maßnahmen der Verwaltung im Sinne von § 19 Abs. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) und somit von der erforderlichen Beschlusskompetenz getragen.
Fazit für den Verwalter
Stellt der Verwalter Beschlussanträge zur Abstimmung, hat er auf deren hinreichende Bestimmtheit zu achten. Dies gilt für Beschlüsse in der Eigentümerversammlung gleichermaßen wie für Beschlüsse, die im schriftlichen oder elektronischen (Textform) Abstimmungsverfahren außerhalb von Eigentümerversammlungen in Umlauf gegeben werden (§ 23 Abs. 3 WEG).
Die Unbestimmtheit von Beschlüssen hat es „in sich“. Der Verwalter kann gegenüber der Gemeinschaft in die Haftung geraten, wenn er durch schlecht formulierte Beschlussanträge Anfechtungsverfahren provoziert. Auch nach Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist ab dem Versammlungstag bzw. ab der Mitteilung des Beschlussergebnisses im Umlaufverfahren ist der Verwalter nicht auf der sicheren Seite. Falls nämlich der von ihm verkündete Beschluss so miserabel formuliert ist, dass er nicht einmal im Ansatz keine durchführbare Regelung erkennen lässt, z.B. bei in sich widersprüchlichen (perplexen) Aussagen, ist der Beschluss nichtig. Im Gegensatz zu Anfechtungsgründen kann die Nichtigkeit jederzeit, also insbesondere auch bei verpasster Anfechtungsfrist, gerichtlich geltend gemacht werden.
Die Haltung des BGH verdeutlicht, dass keine überzogenen Anforderungen an die Durchführbarkeit von Beschlüssen gestellt werden dürfen. Obwohl die Beschlüsse nicht vorgeben, wie die genannten Ziele konkret erreicht werden sollen, können Gemeinschaft bzw. Verwalter zielführende Maßnahmen ergreifen, bezüglich TOP 9.2 etwa hinsichtlich der Frage, ob der „Grundbuchwiderspruch“ durch eine einstweilige Verfügung (§ 899 BGB) oder einen Amtswiderspruch (§ 53 Grundbuchordnung [GBO]) erreicht werden soll, womöglich (und bei objektiver Lebensnahbetrachtung naheliegend) mit anwaltlicher Hilfe. Dass die Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit, für die Gemeinschaft bzw. Verwalter zu sorgen und „geradezustehen“ haben, ohne dass es explizit im Beschluss seinen Niederschlag finden muss.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Bei der Beschussauslegung kommt es darauf an, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Leser nächstliegend zu verstehen ist. Ausgangspunkt dieser objektiven Auslegung ist der protokollierte Wortlaut des
Beschlusses, was aber nicht bedeutet, dass Umstände außerhalb des protokollierten Beschlussinhalts nicht in die Beschluss Auslegung einbezogen werden dürfen. Derartige Umstände dürfen herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, weil sie sich etwa aus dem - übrigen - Versammlungsprotokoll oder aus in Bezug genommenen Dokumenten ergeben. Insofern dürfen unter Umständen das Restprotokoll, frühere Protokolle, der Inhalt der Beschluss-Sammlung und die Einladung nebst Tagesordnung ebenfalls in die Auslegung einbezogen werden.
Der Streit um die Existenz des Terrassensondernutzungsrechts zugunsten der Wohnung Nr. 5 war im Zeitpunkt der Beschlussfassung in einem parallel geführten Rechtsstreit anhängig. Dieser Umstand beseitigte die Beschlusskompetenz nicht. Die angefochtenen Beschlüsse versuchten ersichtlich nicht, sich nicht in die Entscheidung des Rechtsstreits einzumischen.
Fehlt in der Gemeinschaftsordnung eine Öffnungsklausel („vereinbarte Beschlusskompetenz“), fehlt Wohnungseigentümern die Beschlusskompetenz, um wirksame Regelungen zu Sondernutzungsrechten treffen zu können. Daraus folgt, dass ein Beschluss, der zugunsten der Wohnung Nr. 5 ein Sondernutzungsrecht begründet, mangels Beschlusskompetenz nichtig wäre. Erforderlich ist eine Vereinbarung, die wohl Streitgegenstand des parallel geführten Rechtsstreits ist. Diesen führt der Kläger offenbar nicht gegen die GdWE, sondern gegen die übrigen Miteigentümer, da eine Vereinbarung eine Regelung der Wohnungseigentümer über ihr Innenverhältnis (Gemeinschaftsordnung) ist.
Fazit für die Gemeinschaft
Regelmäßig bringt der BGH zum Ausdruck, dass Instanzgerichte bei der Auslegung von Beschlüssen weniger streng sein sollten als vielfach judiziert (siehe auch unsere Newsletter vom 19.12.2023 Der BGH legt was Hübsches unter den Baum: Beschlüsse über die „Genehmigung des Wirtschaftsplans“ sind nicht mangels Beschlusskompetenz nichtig. | VDIV Immobilienverwalter und vom 05.12.2023 Den „günstigsten Anbieter“ kann man finden – wenn man will! | VDIV Immobilienverwalter). Stattdessen sollten Amtsgerichte und Landgerichte mehr beherzigen, dass Wohnungseigentümer im Zweifel weder in formeller noch in materieller (inhaltlicher Hinsicht) rechtswidrige oder gar nichtige Beschlüsse in die Welt setzen wollen. Dieser Grundgedanke kommt auch in der vorliegenden Entscheidung zum Ausdruck, indem die Beschlüsse im Sinne bloßer Vorbereitungsmaßnahmen gedeutet wurden. Ob die Vorbereitungsmaßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprachen, konnte dahinstehen, weil der Kläger die Anfechtungsfrist verpasst hatte und das Gericht Anfechtungsgründe nicht prüfen durfte.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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