Zu der damaligen Entscheidung
Da wohnungseigentumsrechtliche Streitverfahren damals noch nach dem Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) entschieden wurden und nicht nach der Zivilprozessordnung (ZPO) entschieden Gerichte und so auch der BGH am 20.9.2000 nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss.
Der Beschluss des V. Zivilsenats des BGH läutete wohnungseigentumsrechtlich eine neue Ära ein. In den Jahren zuvor war die Diskussion entfacht, ob es bezüglich der Herbeiführung von Beschlüssen einer formellen Legitimation durch eine Beschlusskompetenz bedurfte. Dies war bis dahin verneint und auch von vielen Obergerichten abgelehnt worden. Grob gesagt, durfte und konnte alles beschlossen werden, was die Mehrheit der Wohnungseigentümer wollte, solange niemand innerhalb der Monatsfrist zu Gericht ging und den gefassten Beschluss anfocht. Dann kam die Meinung auf, dass diese Praxis zu weit reiche und insbesondere gegen den Gesetzeswortlaut verstoße. Verwiesen wurde auf § 23 Abs. 1 WEG: „Angelegenheiten, über die nach diesem Gesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können, werden durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet. Diese gesetzliche Ausgangsbestimmung für die Beschlussfassung befindet sich unverändert auch heute im Gesetz, und zwar inzwischen als § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG in der seit dem 01.12.2020 geltenden Neufassung.
Der Fall
Im Fall des BGH beschlossen die Wohnungseigentümer im Jahr 1989 mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen die Begründung eines Sondernutzungsrechts an dem gemeinschaftlichen Vorgarten einer Erdgeschosseinheit, die als Gaststätte verpachtet war. Eine Öffnungsklausel (vereinbarte Beschlusskompetenz) war in der Teilungserklärung/ Gemeinschaftsordnung nicht vereinbart. Der Beschluss wurde nicht angefochten. Später gerieten die Eigentümer in Streit darüber, ob die Nutzung des Vorgartens zum Betrieb einer Gaststätte zu unterlassen war. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängen davon ab, ob ein Sondernutzungsrecht wirksam begründet wurde oder nicht.
Die Entscheidung
Der BGH bejahte den Unterlassungsanspruch, da der Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig gewesen sei. Weder eine gesetzliche noch eine in der Gemeinschaftsordnung vereinbarte Bestimmung gestattete es den Wohnungseigentümern, durch Mehrheitsbeschluss ein Sondernutzungsrecht zu begründen. Vielmehr erforderte dies eine Vereinbarung sämtlicher Eigentümer, an der es unstreitig fehlte. Folgende Kernaussagen finden sich in den amtlichen Leitsätzen und der Entscheidungsbegründung:
Durch Beschlussfassung können nur solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem WEG oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden dürfen, anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung. Ein trotz absoluter Beschlussunzuständigkeit gefasster Beschluss ist nichtig. Ein Sondernutzungsrecht kann nur durch Vereinbarung, nicht auch durch bestandskräftig gewordenen Mehrheitsbeschluss begründet werden. Der Wohnungseigentümerversammlung fehlt hierzu die absolute Beschlusskompetenz (teilweise Aufgabe sowie Abgrenzung zu früheren Entscheidungen des BGH). Der Beschluss in einer Angelegenheit, welche die Regelung des Gebrauchs, der Verwaltung und der Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums betrifft, aber nicht mehr eine „ordnungsmäßige” Maßnahme zum Inhalt hat, ist nur anfechtbar.
Fazit für den Verwalter
Gewerbsmäßig tätige Wohnungseigentumsverwalter müssen einschätzen können, ob für eine Beschlussangelegenheit die Beschlusskompetenz besteht oder nicht. Um dies einschätzen zu können, sind Rechtskenntnisse erforderlich. Gesetzliche Beschlusskompetenz ergeben sich aus dem WEG. In der Regel lässt der Gesetzeswortlaut klar und eindeutig erkennen, ob eine gesetzliche Beschlusskompetenz besteht. Ganz klar sind Formulierungen, nach der Wohnungseigentümer »beschließen (…) können«, wie etwa in § 12 Abs. 4, § 16 Abs. 2 Satz 2, § 20 Abs. 1, § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 3 und § 29 Abs. 1 Satz 1 WEG. Aber auch gesetzliche Formulierungen, wonach die Wohnungseigentümer über bestimmte Angelegenheiten »beschließen« oder »durch Beschluss entscheiden«, bringen eine gesetzliche Beschlusskompetenz zum Ausdruck, beispielsweise in § 19 Abs. 1, § 26 Abs. 1 oder § 28 Abs. 1 und Abs. 2 WEG.
Entsprechendes gilt für vereinbarte Beschlusskompetenzen, die also in der Gemeinschaftsordnung untergebracht sind und in der Praxis und auch vom BGH als Öffnungsklausel bezeichnet werden. Auch derartige Vereinbarungen kann der professionelle Verwalter in der Regel erkennen. Nur dann, wenn derartige Vereinbarungen nicht klar und eindeutig formuliert sind, dürfte eine Öffnungsklausel im Ergebnis der Auslegung zu verneinen sein mit der Folge, dass keine vereinbarte Beschlusskompetenz besteht.
In schwierigen Abgrenzungsfällen ist der Verwalter weder berufen noch berechtigt, eine rechtliche Prüfung und Beurteilung abzugeben. Empfehlenswert ist hier die Einschaltung eines Rechtsanwalts durch und auf Kosten der Gemeinschaft.
Die fehlende Beschlusskompetenz kann nicht durch die Beschlussergebnisverkündung überwunden werden. Verkündet also der Verwalter als Versammlungsleiter bzw. – im Umlauf – Beschlussinitiator die Annahme eines Beschlussantrags im Sinne einer positiven Beschlussfassung, obwohl es bei den Beschlussgegenstand an der Beschlusskompetenz fehlt, existiert kein Beschluss. Der Verwalter setzt durch seine rechtsfehlerhafte Verkündung lediglich den Rechtsschein, als existiere ein Beschluss. Jeder Wohnungseigentümer kann durch eine unbefristete Klage, also auch Jahre später, gerichtlich feststellen lassen, dass kein Beschluss existiert bzw. der Beschluss nichtig ist.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Das WEG unterscheidet zwischen Angelegenheiten, die die Wohnungseigentümer durch (Mehrheits-)Beschluss, und solchen, die sie durch Vereinbarung regeln können. Gemäß § 23 Abs. 1 WEG können durch Beschlussfassung solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können. Anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung, § 10 Abs. 1 WEG. Die Mehrheitsherrschaft bedarf damit der Legitimation durch Kompetenzzuweisung. Sie ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Im Gegensatz zu gesetzlichen Beschlusskompetenzen, für die grundsätzlich das Erreichen der Mehrheit der abgegebenen (Ja-)Stimmen genügt, um einen positiven Beschluss verkünden zu dürfen, sehen Öffnungsklauseln in der Gemeinschaftsordnung regelmäßig ein qualifiziertes Quorum (z.B. 2/3 oder ¾ aller Stimmen oder der abgegebenen Stimmen) vor, das erreicht werden muss, um einen positiven Beschluss verkünden zu dürfen. Schon lange umstritten und vom BGH bis heute nicht entschieden ist, was einem Beschluss „blüht“, der als angenommen verkündet wurde, obwohl das erforderliche qualifizierte Quorum nicht erreicht wurde. Ist er nichtig oder nur rechtswidrig und erfolgreich anfechtbar?
Nur damit Sie es einmal gehört bzw. gelesen haben: Der Beschluss des BGH vom 20.9.2000 wird als erste Jahrhundertentscheidung betitelt, der Beschluss des BGH vom 23.8.2001 (kein Beschluss ohne Beschlussergebnisverkündung) als zweite Jahrhundertentscheidung und der Beschluss vom 2.6.2005 (Entdeckung der Rechtsfähigkeit der GdWE) als Jahrtausendentscheidung. Hoch gegriffen, aber immerhin merkfähig…
Fazit für die Gemeinschaft
Dogmatisch spannend und vom BGH nicht geklärt ist, wem ein Beschluss zugerechnet wird, also den Wohnungseigentümern als denjenigen, denen bei der Abstimmung über einen Beschlussantrag das Stimmrecht zusteht und die abstimmten, oder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) als rechtsfähigem Verband und dem Ende bzw. Träger der organschaftlichen Zurechnungskette. Die Beschlusskontrolle jedenfalls läuft gegen die GdWE, da sie seit 1.12.2020 zu verklagen ist, wenn es um die gerichtliche Überprüfung eines Beschlusses im Wege der Anfechtungsklage geht (§ 44 Abs. 2 Satz 1 WEG).
Der Gesetzgeber beherzigt seit der Veröffentlichung der ersten Jahrhundertentscheidung vom 20.9.2000 die Kernaussagen des BGH. Er hat in den folgenden Jahren und Jahrzehnten regelmäßig gesetzliche Beschlusskompetenzen in das WEG aufgenommen, wo er der Mehrheit Türen öffnen und der bei einer Vereinbarungsbedürftigkeit drohenden Versteinerung des Wohnungseigentums rechtspolitisch entgegentreten will. Unverändert ratsam ist es gleichwohl, in Gemeinschaftsordnungen Öffnungsklauseln aufzunehmen, entweder allgemeiner Art oder speziell für bestimmte Angelegenheiten, in denen bis heute die gesetzliche Beschlusskompetenz fehlt, etwa Sondernutzungsrechten, der Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter, der Zuständigkeit oder dem Stimmrecht.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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