WEG-Recht

Altvereinbarungen zu baulichen Veränderungen: Festklammern am alten Recht oder dynamische Verweisung auf das jeweils aktuelle Gesetz?

In unserem letzten Beitrag zum WEG-Recht ging es um den Bremer Swimmingpool, der vom Bundesgerichtshof (BGH) „versenkt“ wurde. Die Pressemitteilung des BGH stellte den Beschlusszwang in den Mittelpunkt. Nach Durchsicht der jetzt veröffentlichten Entscheidung ist ein weiterer Aspekt von Interesse: die Auslegung einschlägiger Vereinbarungen zu baulichen Veränderungen in Gemeinschaftsordnungen (GO) aus der Zeit vor dem WEMoG (Altvereinbarungen) und deren Verhältnis zur aktuellen Gesetzeslage.

Der erste amtliche Leitsatz des Urteils vom 17. März 2023 zum Aktenzeichen V ZR 140/22 lautet: Der in der Gemeinschaftsordnung enthaltenen schlichten Verweisung auf die Gesetzeslage oder der bloßen Wiederholung des Gesetzes lässt sich in Ermangelung anderer Anhaltspunkte nicht entnehmen, dass es auch nach einer Gesetzesänderung bei der Anwendung alten Rechts verbleiben soll. Vielmehr ist dies grundsätzlich als dynamische Verweisung auf die jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen zu verstehen.

Der Fall

Wegen der Eckdaten des vom BGH entschiedenen Sachverhalts kann zunächst auf den eingangs erwähnten letzten Beitrag verwiesen werden. Dem BGH-Urteil ist ergänzend zu entnehmen, dass der Swimmingpool 5x3x1,55m groß werden sollte. Aus dem Berufungsurteil des Landgerichts Bremen ergibt sich, dass in der dortigen GO aus dem Jahr 1971 und in einem Nachtrag zur GO aus dem Jahr 2013 folgende Vereinbarungen getroffen und als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen waren:

1971: „Das Verhältnis der beiden Wohnungseigentümer untereinander bestimmt sich nach dem Gesetz, wobei lediglich hier gesondert vereinbart wird, daß der Eigentümer des ersten Wohnungseigentums seine alleinige Grundstücksnutzung ausschließlich beschränkt auf die westliche Seite des Grundstücks, der Eigentümer des zweiten Eigentums auf die östliche Seite. Die Grenze wird gebildet durch den östlichen Giebel des Hauses Nr. 1 und seine gerade Verlängerung.“

2013: „Jeder Wohnungseigentümer ist für die Reparatur und Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums, in dessen Bereich sich sein Sondereigentum befindet, allein verantwortlich und kostenpflichtig. Entsprechendes gilt für die Gebäude- und Eigentümerhaftpflicht und deren Versicherungen.“

Das Urteil des BGH wiederum teilt mit, dass die GO im Übrigen auf das Gesetz verweist (Rn. 17 der Urteilsgründe).

Die Entscheidung

Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass in Ermangelung ausreichender Anknüpfungspunkte für eine gegenteilige Auslegung der GO der neue § 20 WEG in der Fassung des WEMoG auf den Sachverhalt anzuwenden war. Es seien laut BGH keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es bei der Anwendung des damals geltenden alten Rechts bleiben sollte. Vielmehr seien die Vereinbarungen in der GO im Sinne einer dynamischen Verweisung auf die jeweils aktuelle gesetzliche Regelung zur Gestattung baulicher Veränderungen zu verstehen.

Der BGH stand vor der Frage, ob die GO aus 1971 und 2013 von einer gesetzlichen Vorschrift abwich, die durch das WEMoG geändert wurde. Zu denken war insoweit an § 20 WEG, der zum 1. Dezember 2020 erstmalig ausdrücklich einen Beschlusszwang für die Gestaltung baulicher Veränderungen vorschreibt und das frühere Zustimmungsmodell (§ 22 WEG aF) vollständig abschafft, was zu der weiteren Frage führt, ob die GO in materieller Hinsicht die damaligen gesetzlichen Regelungen zu baulichen Veränderungen (§ 22 WEG aF) abbedungen und die bauliche Veränderung zustimmungsfrei machte. 1971 und 2013 galten insoweit unterschiedliche Fassungen der Norm, im Zeitpunkt des Nachtrags war es das WEG in der Fassung der Novelle vom 1. Juli 2007.

Fazit für den Verwalter

Die Auslegung von Gemeinschaftsordnungen, die aus der Zeit vor dem 1. Dezember 2020 stammen, ist knifflig. Eine Auslegungshilfe bietet § 47 WEG. Er strebt einen angemessenen Ausgleich zwischen Privatautonomie (GO) und Rechtssicherheit an und räumt im Zweifel den gesetzlichen Neubestimmungen des WEMoG „Vorfahrt“ ein gegenüber GO-Altvereinbarungen. Der Anwendungsbereich von § 47 WEG ist eröffnet, wenn der Regelungsgegenstand der Vereinbarung in der GO durch die neuen gesetzlichen Regelungen geändert wurde. Erfuhr der Regelungsgegenstand durch das WEMoG hingegen keine Veränderung, ist der Anwendungsbereich nicht eröffnet. Die Regelung zur baulichen Veränderung (damals § 22 WEG aF, jetzt § 20 WEG) wurden geändert, sodass § 47 WEG ins Spiel kam.

Bei rechtlichen Unklarheiten oder Streit innerhalb der Gemeinschaft bietet es sich an, dass der Verwalter rechtzeitig einen Rechtsanwalt hinzuzieht. Die Auslegungsfrage wird zumeist mit einem überschaubaren finanziellen Aufwand zu klären sein, sodass der Anwaltsvertrag vom Verwalter namens und auf Kosten der GdWE abgeschlossen werden kann und darf. In der Zweiergemeinschaft aus Bremen war freilich kein Verwalter bestellt. In Kleinstgemeinschaften ist zu dem zu beachten, dass die Ausgabe für eine anwaltliche Beratung im Rahmen des § 27 Abs. 1 WEG bleibt oder gesondert durch einen Beschluss legitimiert ist.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

In vielen Teilungserklärungen/ Gemeinschaftsordnungen ist allgemein davon die Rede, dass „im Übrigen die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes gelten“ oder speziell bei baulichen Veränderungen „die Regelung des § 22 WEG unberührt bleibt“. Bei verständiger Auslegung nach Wortlaut und Sinn (inkl. des Zeitpunkts der Teilungserklärung samt GO bzw. des Nachtrags zur TE/GO) werden derartige Regelungen zumeist als dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Gesetzeslage zu verstehen sein. Es kann aber auch anders sein. Besonders kompliziert ist es bei Regelungen in der GO in der Zeitspanne 1. Juli 2007 bis 30. November 2020, da hier vorübergehend eine doppelt qualifizierte Mehrheit für die Gestaltung baulicher Veränderungen einschließlich Modernisierung und Anpassung an den Stand der Technik galt.

Fazit für die Gemeinschaft

Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden. Die Kosten einer baulichen Veränderung, die einem Wohnungseigentümer gestattet oder die auf sein Verlangen nach einer privilegierten baulichen Veränderung (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-4 WEG) hin von der Gemeinschaft durchgeführt wurde, hat dieser Wohnungseigentümer zu tragen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 WEG). Verlangt also ein Wohnungseigentümer eine der vier gesetzlich privilegierten baulichen Veränderungen, kann und darf die Gemeinschaft abwägen und beschließen, die beanspruchte bauliche Maßnahme selbst mit eigenen Fachleuten durchzuführen, dem sie begehrenden Wohnungseigentümer aber die Kosten zuzuordnen. Auch über derartige bauliche Veränderungen muss ein Beschluss gefasst werden, soweit nicht in der Gemeinschaftsordnung etwas Abweichendes vereinbart wurde.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de