WEG-Recht

Beschlossene „Ca.“-Sonderumlagen sind nicht zwingend nichtig!

Bei der Beschlussformulierung hüten sich Verwalter davor, Sonderumlagen in einer „ca.“-Höhe zur Abstimmung zu stellen. Es droht nach der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung eine Nichtigkeit des Beschlusses wegen praktischer Undurchführbarkeit. Großzügiger ist das Landgericht Frankfurt/ Main in einer aktuellen Entscheidung. Diese betrifft einen Einzelfall, liefert aber neue Argumente für die Diskussion.

Mit Urteil vom 27.07.2023 zum gerichtlichen Aktenzeichen 2-13 S 94/22 gab das Landgericht Frankfurt/Main in zweiter Instanz einer Zahlungsklage statt, die in erster Instanz vom Amtsgericht Friedberg abgewiesen worden war. Es ging um eine von der GdWE eingeklagte Sonderumlage in Höhe von 6.489,16 €.

Der Fall

Die GdWE verlangt von den Beklagten, denen eine von insgesamt fünf Wohnungen gehört, die Zahlung einer Sonderumlage. Laut Versammlungsniederschrift hat die GdWE am 16.12.2020 unter dem TOP 5.2 „Instandsetzung Außenanlage Gemeinschaftseigentum“ eine Sonderumlage in Höhe von „ca. Euro 18.000,00“ beschlossen, verteilt nach Miteigentumsanteilen, fällig am 28.02.2021. Nach Fälligkeit wurde Klage erhoben. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen, da der Beschluss über die Sonderumlage mangels Bestimmtheit nichtig sei. Die Sonderumlage sei nicht konkret beziffert und aus dem Beschluss ergäbe sich auch im Übrigen nicht, welchen Umfang die Maßnahme, um deren Finanzierung es ging, haben solle. Die GdWE ging in Berufung und obsiegte.

Die Entscheidung

Das Landgericht hält den Beschluss nicht für nichtig. Lege man objektiv-normative Auslegungsgrundsätze zugrunde, wonach die Nichtigkeit von Beschlüssen aufgrund inhaltlicher Unbestimmtheit die Ausnahme sei und daher auf Extremfälle bzw. „krasse Fälle“ beschränkt bleiben müsse, sei die Sonderumlage noch ausreichend bestimmt. Der Beschluss enthalte zwar mit der Angabe „ca. Euro 18.000,00“ keine eindeutige Angabe der Höhe der Sonderumlage. Nach der maßgeblichen Auslegung und im Zusammenhang mit den übrigen zu TOP 5.1 und 5.2 gefassten Beschlüssen sei jedoch hinreichend deutlich, dass die Sonderumlage Euro 18.000,00 betragen solle und somit dieser exakte Betrag Grundlage der Berechnung der SU durch den Verwalter nach Miteigentumsanteilen war. Damit lasse der Sonderumlagebeschluss einen noch durchführbaren Regelungsinhalt erkennen.

Fazit für den Verwalter

Die Unbestimmtheit des Beschlusses ist ein Beschlussmangel mit zwei Schweregraden und unterschiedlichen Rechtsfolgen. Der leichtere Schweregrad ist die Unbestimmtheit, die nur zur Rechtswidrigkeit führt und fristgerecht mit der Beschlussklage angegriffen werden muss. Der höhere Schweregrad ist die Unbestimmtheit, die wegen (absoluter) Undurchführbarkeit oder innerer Widersprüchlichkeit (Perplexität) nicht nur zur Rechtswidrigkeit führt, sondern zur Nichtigkeit, und die jederzeit gerichtlich festgestellt werden kann. Insgesamt dürfen bei der Abgrenzung von den Gerichten keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.

Im Fall, den das Landgericht zu entscheiden hatte, hatten GdWE und Verwalter Glück. Aus dem Gesamtzusammenhang der angekündigten und gefassten Beschlüsse ließ sich entnehmen, dass die Sonderumlage in Höhe von (exakt) 18.000,00 € beschlossen worden war. Grundsätzlich sollten Verwalter gleichwohl den sichersten Weg einschlagen und bei der Angabe der Höhe einer Sonderumlage im Beschlussantrag auf den Zusatz „ca.“ verzichten.

Ein weiteres Argument gegen Nichtigkeit: Die Fälligkeit war laut Beschluss auf den 28.02.2021 festgelegt worden. Wäre – fälschlicherweise – die Fälligkeit auf den 29.02.2021 festgelegt worden, wäre der Sonderumlagebeschluss bei objektiv-normativer Beschlussauslegung ebenfalls nicht wegen Undurchführbarkeit nichtig gewesen, sondern allenfalls anfechtbar. Beide Fälle erscheinen im Ergebnis vergleichbar, auch wenn zugegebenermaßen die Fälligkeit so oder so am 01.03.2021 eintreten würde.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Der Grund, weshalb Ca.-Angaben im Beschlussantrag auftauchen, liegt häufig darin, dass bei der Kostenschätzung und auch bei späteren, bereits etwas genaueren Kostenberechnungen mit Ca.-Angaben oder Preisspannen („von … bis… EUR“) gearbeitet wird. Bei der Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen und selbst bei der Beschlussfassung über die Baumaßnahme ist es in der Regel unschädlich, wenn mit derartigen Angaben gearbeitet wird. Im Rahmen von Bestandsanalyse, Variantenuntersuchung, Planung und Ausschreibung ist dies sogar der häufigere Fall. Wichtig ist es, bei der Beschlussfassung über die Sonderumlage derartige Zusätze zu streichen, um keine Diskussion über die Gültigkeit bzw. Wirksamkeit des Beschlusses loszutreten.

Fazit für die Gemeinschaft

Die hier erhobene Zahlungsklage der GdWE war „wackelig“. Zwei Szenarien zeichneten sich ab: Entweder war der unangefochten gebliebene Sonderumlagebeschluss gültig und bestandskräftig oder er war nichtig. Über dieses Prozessrisiko muss der Verwalter bzw. ein eingeschalteter Rechtsanwalt die GdWE vor Klageerhebung in der Regel aufklären.

Ab und zu sind Versammlungsniederschriften aus purer Unachtsamkeit falsch. Ist eine „Ca.-Angabe“ fälschlicherweise im Versammlungsprotokoll vermerkt, z.B. durch unachtsames „Copy and Paste“ des Verwalters bei der Erstellung von Beschluss-Sammlung und -protokoll, kann ggf. durch Zeugenbeweis dargelegt und bewiesen werden, dass bei der tatsächlichen Abstimmung über die Sonderumlage in der Versammlung ohne „Ca.-Zusatz“ beschlossen wurde. Dann müsste die klagende GdWE dies unter Beweisantritt vortragen und den Verwalter (Versammlungsleiter) und ggf. Eigentümer, die als Augen- und Ohrenzeugen in der Versammlung zugegen waren und den Vorgang konkret erinnern, als Zeugen benennen.

Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?

Die Sonderumlage wurde in der Versammlung am 16.12.2020 beschlossen, also am 16. Geltungstag des WEMoG. Der Fall spielte nach neuem Recht.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de