Mit Urteil vom 04.09.2023 zum gerichtlichen Aktenzeichen 11 S 68/22 erklärte das LG Karlsruhe einen Mehrheitsbeschluss teilweise für ungültig, soweit darin dem Verwalter eine Entscheidungskompetenz eingeräumt wurde zum Abschluss einer Honorarvereinbarung mit einem Anwalt für Beschlussklagen auf Passivseite. Kernaussage des Urteils ist, dass eine Vergütungsvereinbarung im Regelfall nicht von § 27 Abs. 1 WEG gedeckt sei. Zudem sei die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung selbst festzulegen, eine Delegation der Auswahl an den Verwalter sei unzulässig.
Der Fall
In der Eigentümerversammlung vom 15.09.2021 wurde unter TOP 17 Spiegelstrich 6 beschlossen, dass der Verwalter zur Führung von Beschlussklagen auf Passivseite (Auswahl eines Rechtsanwalts, Abschluss einer Honorarvereinbarung, Abstimmung der Strategie sowie zur Entscheidung über Rechtsmittel) befugt ist. Beschränkt auf diesen Beschlussteil wurde der Anfechtungsklage eines Eigentümers stattgegeben. Die Revision wurde nicht zulassen.
Die Entscheidung
Bei dem für ungültig erklärten Passus handele es sich um einen teilbaren Ausschnitt im Gesamtgefüge des angefochtenen Beschlusses, sodass er nicht insgesamt für ungültig zu erklären sei, wohl aber bezüglich des Abschlusses einer Honorarvereinbarung mit einem Anwalt für Beschlussklagen auf Passivseite. Bei einer Vergütungsvereinbarung müsse zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche der Beschlusspart auch deshalb, weil jedenfalls im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe selbst die meisten Fachanwälte in WEG-Sachen nach dem RVG abrechnen dürften, sodass ein praktischer Bedarf für Vergütungsvereinbarung nicht bestehe. Hinzu komme, dass nur bei einer Abrechnung nach RVG gewährleistet sei, dass im Obsiegensfall alle Kosten vom Anfechtungskläger erlangt werden könnten. Bei einer Abrechnung außerhalb des gesetzlichen Preisrechts stellte sich außerdem die Frage nach Vergleichsangeboten anderer Anwälte. Da allenfalls eine besondere fachliche Qualifikation des Rechtsanwalts, ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm oder eine Vorbeauftragung bezüglich der streitgegenständlichen Angelegenheit eine Vergütungsvereinbarung ausnahmsweise rechtfertigen könne, bestehe ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen seiner Person und derartigen besonderen Umständen, sodass eine Delegation durch Beschluss nicht möglich sei.
Fazit für den Verwalter
Die Sichtweise des Landgerichts Karlsruhe erschwert die Praxis. Die Organisation der Rechtsverteidigung im Falle einer Anfechtungsklage oder Beschlussersetzungsklage ist fristgebunden, sodass Eile geboten ist. Die Zeit für die Suche nach einem Rechtsanwalt ist eng begrenzt. Während bei hohen Streitwerten eine Vergütung nach RVG kein Problem sein wird, ist dies bei geringen Streitwerten anders. Spezialisierte Rechtsanwälte werden nicht bereit sein, die Vertretung der GdWE vor Gericht zu übernehmen, sondern den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung verlangen. Genau deshalb können und dürfen die Entscheidungsbefugnisse des Verwalters durch einen Beschluss nach § 27 Abs. 2 WEG erweitert werden. Ein solcher Beschluss ist nicht nur im Fall einer konkret rechtshängigen Klage zulässig, sondern und insbesondere als Vorsorgebeschluss für etwaige künftige Klagen. Eine Obergrenze (Kostenlimit) kann sinnvoll sein, um einer unangemessen hohen finanziellen Belastung der GdWE vorzubeugen. Das Urteil aus Karlsruhe geht leider auf diese Vorschrift und die in ihrem Anwendungsbereich anzustellenden Erwägungen nicht ein.
Verfehlt erscheint es, dass die Versammlung den Rechtsanwalt benennen muss. Derartige Beschlüsse führen schnell in die Sackgasse. Was soll der Verwalter tun, wenn der ins Auge gefasste Rechtsanwalt das Mandat nicht übernimmt, bereits auf der Gegenseite tätig oder aus sonstigen Gründen verhindert ist. Die als weiterer besonderer Umstand genannte Vorbeauftragung in derselben Angelegenheit führt zudem zu berufsrechtlichen Problemen. Muss daher der Beschluss für derartige Eventualitäten Vorsorge treffen und verschiedene Anwälte namentlich benennen? Kaum vorstellbar und rechtlich überzogen! Zwischen wem sieht das Landgericht Karlsruhe das besondere Vertrauensverhältnis? In der Praxis ist es nicht die GdWE oder ein einzelner Wohnungseigentümer, sondern der Verwalter. Er hat für gewöhnlich das Netzwerk von qualifizierten Personen, zu denen auch Rechtsanwälte zählen, um das Mandat passend zur Aufgabenstellung zu vergeben.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Ein Beschluss nach § 27 Abs. 2 WEG sollte so formuliert werden, dass keine zwingende Pflicht des Verwalters zum Abschluss einer Vergütungsvereinbarung besteht, sondern lediglich eine entsprechende Berechtigung. Der Verwalter muss dann angesichts des konkreten Streitgegenstandes der ihm zugestellten Klage nach pflichtgemäßem Ermessen abwägen und entscheiden, ob er den Rechtsanwalt zu den gesetzlichen Konditionen oder einer vertraglich vereinbarten Vergütung mit der Vertretung der GdWE vor Gericht beauftragt.
Ein Musterbeschluss wurde im Newsletter vom 17.09.2021 dargestellt und kommentiert. Dieses war nicht Streitgegenstand in dem hier besprochenen Fall, wobei der vollständige Beschlusstext des Falles aus Karlsruhe leider nicht veröffentlicht ist.
Fazit für die Gemeinschaft
„Passivprozess“ bedeutet, dass die GdWE verklagt wird, und zwar von einem Wohnungs- oder Teileigentümer, denn im Fall ging es um Beschlussklagen (d.h. Anfechtung von Beschlüssen oder Beschlussersetzungsklage). Ein Aktivprozess liegt vor, wenn die GdWE klagt, entweder gegen einen Eigentümer oder einen Dritten. Geht es nicht um eine Prozessvertretung, sondern um außergerichtliche Beratung, sieht das RVG mit Ausnahme einer pauschalierten und gegenüber Verbrauchern gedeckelten Erstberatungsgebühr keine gesetzliche Vergütung vor; stattdessen ist der Rechtsanwalt gehalten, mit der GdWE eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft steht einem Verbraucher gleich. In der Regel werden Vergütungsvereinbarungen über eine rechtliche Beratung auf Stundenhonorarbasis abgeschlossen. Es ist sinnvoll, wenn Verwalter diesbezüglich Vorsorgebeschlüsse gemäß § 27 Abs. 2 WEG fassen lassen. Dies gibt Gemeinschaft und Verwaltern Klarheit und Sicherheit, aus welchen Anlässen in welchem Umfang Vergütungsvereinbarungen abgeschlossen werden dürfen, ohne die Eigentümer zuvor nochmals mit der Thematik zu befassen. Da die Vorschrift sowohl die Einschränkung als auch die Erweiterung der Entscheidungskompetenzen des Verwalters gestattet, ist – erst recht – auch eine präzisierende oder deklaratorische Beschlussfassung zulässig.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Der Beschluss war nach neuem Recht zu beurteilen, da die Versammlung nach dem 01.12.2020 stattfand. Nach alter Gesetzeslage war der Verwalter kraft seines Amtes zum Abschluss von Streitwertvereinbarungen mit Rechtsanwälten berechtigt, ohne zuvor die Gemeinschaft oder die Eigentümer befragen oder durch einen Beschluss dazu legitimiert sein zu müssen. Diese Regelung wurde aus dem Gesetz gestrichen. Gleichwohl wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass Streitwertvereinbarungen auch im Anwendungsbereich des neuen § 27 Abs. 1 grundsätzlich untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen, da der Gesetzgeber den zuvor geltenden Rechtszustand nicht verschärfen wollte. Eine Streitwertvereinbarung ist ein Spezialfall der Vergütungsvereinbarung. GdWE und Rechtsanwalt vereinbaren den Streitwert unabhängig von der gerichtlichen Festsetzung, wobei der gerichtliche Streitwert und die daraus berechnete gesetzliche Anwaltsvergütung eine Mindestvergütung sind, da die Unterschreitung gerichtlicher Gebührentatbestände wettbewerbswidrig und für den Anwalt ein Berufsrechtsverstoß ist.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de