Geleistete Zahlungen müssen verrechnet werden. Eigentümerwechsel sind unbeachtlich und müssen durch kaufvertragliche Regelungen in den Griff bekommen werden. Im dortigen Fall hatte der Verwalter die im Abrechnungsjahr 2017 aus der Gemeinschaftskasse abgeflossenen Dachsanierungskosten als Position »Sonderkosten einzelne ET« in der Einzelabrechnung unmittelbar und ausschließlich der Einheit des Beklagten auferlegt.
Mit Urteil vom 16.06.2023 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 251/21 hatte der BGH über einen Sachverhalt zu befinden, der vom Amtsgericht Geldern über das Landgericht Düsseldorf bei ihm anlandete. Die Auswirkungen des Urteils gehen weit über den dort entschiedenen Einzelfall hinaus.
Der Fall
Die GdWE verklagt den Teileigentümer des Kegelbahngebäudes in der aus 22 Einheiten bestehenden Anlage auf Hausgeldzahlung, gestützt auf eine Nachzahlung von 22.270,13 € aus der Jahresabrechnung 2017. Diese wurde 2018 beschlossen. Der Beschluss ist bestandskräftig. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung war ein Beschluss der Versammlung aus Oktober 2017 gültig, wonach die Kosten der Sanierung des Daches des Kegelbahngebäudes von dem Beklagten allein zu tragen sind. Offenbar ging es um einen Beschluss gemäß § 16 Abs. 4 WEG aF, also in der bis zum 30.11.2020 geltenden alten Gesetzesfassung, wonach bei doppelt qualifizierter Stimmenmehrheit die Kosten einer baulichen Maßnahme im Einzelfall abweichend von dem unverändert weiter geltenden Kostenverteilungsschlüssel verteilt werden dürfen, wenn der Schlüssel das Erfordernis der sog. Gebrauchsmöglichkeit berücksichtigte und auch ansonsten ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach. Diesen Beschluss hatte der Beklagte gerichtlich angefochten und in dem mit Urteil vom 11.02.2019 rechtskräftig abgeschlossenen Beschlussanfechtungsverfahren obsiegt. Trotzdem klagte die GdWE die Nachzahlung ein, da der Abrechnungsbeschluss bestandskräftig ist. Amtsgericht und Landgericht gaben der Zahlungsklage aus diesem Grunde statt. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten war erfolgreich und führte zur Abweisung der Klage.
Die Entscheidung
Der BGH hält die Klage für unbegründet. Der Hausgeldanspruch bestehe nicht, da die Klage rechtsmissbräuchlich war. Der in der erfolgreichen Anfechtungsklage verwirklichte Minderheitenschutz liefe andernfalls ins Leere. Der Beklagte sei nicht angehalten gewesen, auch den Beschluss über die Jahresabrechnung anzufechten. Eine solche Klage sei mit einem erheblichen Prozesskostenrisiko behaftet gewesen, da zum damaligen Zeitpunkt die Anwendung des am Ende rechtswidrigen Schlüssels korrekt gewesen sei.
Fazit für den Verwalter
Der BGH schwächt die Rechtsfolgen der Bestandskraft eines Beschlusses erheblich. Bestandskräftig abgerechnete Jahre müssen möglicherweise auch viele Jahre später neu abgerechnet werden, wenn in den Abrechnungen zugrunde gelegte Kostenverteilungsschlüssel Gegenstand von am Ende erfolgreichen Anfechtungsklage waren. Das Prekäre daran ist, dass sich Beschlussanfechtungsklagen durchaus über viele Jahre hinziehen können und möglicherweise viele Jahre nachträglich neu abgerechnet und jedenfalls in den gerichtlich „kassierten“ Einzelpositionen neu beschlossen werden müssen. Im Fall des BGH ging es lediglich um ein Jahr und eine einzelne Position in einem Einzelfall. Das ist überschaubar. Deutlich ungemütlicher wird es, wenn es nicht um die abweichende Verteilung von einmaligen Kosten einer Sanierungsmaßnahme in einem konkreten Einzelfall geht, sondern eine Änderung eines oder mehrerer Kostenverteilungsschlüssel mit Dauerwirkung. Eine weitere Steigerung dieses Dilemmas liegt darin, wenn auf der Grundlage derartiger Beschlüsse im Außenverhältnis Verträge abgeschlossen wurden, beispielsweise Darlehensverträge der GdWE mit einer Kostenverteilung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG der zufolge nur einzelne Eigentümer über ihre Hausgeldzahlungen an Zins und Tilgung beteiligt werden.
Anfechtungsklagen haben keinen Suspensiveffekt. Trotz einer Klage muss der Verwalter derartige Beschlüsse umsetzen. Enthält der Beschluss eine Änderung oder eine Abweichung von der Kostenverteilung, gilt das ebenso. In Abrechnungen, Wirtschaftsplänen und Sonderumlagen sind daher die angefochtenen, aber dennoch gültigen Beschlüsse zu beachten. Ein Korrekturvorbehalt muss nicht in den Beschlussantrag aufgenommen werden. Dies ergibt sich aus dem Gesetz. Wer mag, kann natürlich unter Servicegesichtspunkten einen solchen Hinweis liefern.
Fazit für Wohnungseigentümer
Dem beklagten Hausgeldschuldner schadete es im Ergebnis nicht, den Beschluss über die Jahresabrechnung mit der streitigen Position nicht angefochten zu haben. Es genügte, den Beschluss über die Dachsanierung einschließlich Kostenverteilung anzufechten und damit durchzudringen.
Da sich 2019 herausstellte, dass die abweichende Kostenverteilung bezüglich der Dachsanierung rechtswidrig war, muss die Jahresabrechnung 2017 bezüglich der Einzelpositionen korrigiert und einer korrigierenden Zweitbeschlussfassung zugeführt werden. Die Kosten der Dachsanierung sind auf alle Wohnungseigentümer nach dem allgemeinen Verteilerschlüssel zu verteilen.
Fazit für die Wohnungseigentümergemeinschaft
Die GdWE hätte die Klage nicht mehr einreichen dürfen. Denn im m Zeitpunkt der Einreichung stand bereits rechtskräftig fest, dass die fragliche Sonderbelastung rechtswidrig war und die Gemeinschaft etwas verlangte, das sie ganz überwiegend – der Beklagte muss nur einen Anteil tragen, nicht alles – hätte erstatten müssen. Der erste Beschluss war zwar bestandskräftig, jedoch durch einen Zweitbeschluss nachträglich aus der Welt zu schaffen. Dazu war die GdWE dem Beklagten und letztlich jedem Miteigentümer gegenüber verpflichtet, auch ohne eine etwaige Beschlussersetzungsklage. Die GdWE wiederum konnte vom Verwalter fordern, die Jahresabrechnung 2017 „von Amts wegen“ neu zu erstellen und allen Eigentümern zur erneuten Abstimmung zuzuleiten.
Wäre die Zahlungsklage vor der Ungültigerklärung eingereicht worden, hätte es für die GdWE insoweit besser ausgesehen, als die Kosten des Rechtsstreits der Beklagte hätte tragen müssen. Denn bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils über die Ungültigerklärung wäre die Zahlungsklage zulässig und begründet gewesen. Die GdWE hätte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären müssen.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Anstelle von § 16 Abs. 3 und Abs. 4 WEG aF gilt jetzt § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG. Grob gesagt ist er eine Kombination beider Vorschriften. Mit einfacher Stimmenmehrheit können sowohl dauerhafte Änderungen als auch einmalige Abweichungen bei der Kostenverteilung beschlossen werden. Das Urteil des BGH hat also auch zur neuen Gesetzeslage Beachtung zu finden.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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