„Achtung: Abwehransprüche nach WEMoG - die Zweite!“ Kürzlich rettete der u.a. für das WEG zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in seinem ersten Grundsatzurteil zum WEG in der Fassung des WEMoG die Prozessführungsbefugnis des Störungsabwehrklägers in Altverfahren (» der VDIV berichtete). Jetzt äußerte sich der BGH zum zweiten Mal und stärkte abermals den Individualrechtsschutz. Auch nach neuem Recht hängt das Recht des Sondereigentümers, Störungen abzuwehren, die entweder ausschließlich oder zumindest zugleich den räumlichen Bereich seines Sondereigentums beeinträchtigen, nicht von einem Ermächtigungsbeschluss der Gemeinschaft ab. Allerdings gilt dies nur für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (Störungsabwehr) und nicht für Zahlungsansprüche oder sonstige auf Ausgleich in Geld gerichtete Forderungen.
Mit Urteil vom 11.6.2021 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 41/19 rammte der BGH einige für das neue Recht wichtige Eckpfeiler in die Hügel von Blankenese. Streitpunkt war ein angeblich zu hoch gebautes Einzelhaus, das der klägerischen Wohnung angeblich den Elbblick verstellte. Das Amtsgericht Hamburg-Blankenese hatte den Anspruch als verjährt erachtet, das Landgericht Hamburg die Klage als unschlüssig, da eine Überschreitung der in der TE/GO vereinbarten maximalen Gebäudehöhe vom Kläger gar nicht behauptet worden sei. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg und führte zur Zulassung der Revision, die im Ergebnis allerdings erfolglos blieb.
Der Fall
Die Tochter des Klägers und der Beklagte sind Mitglieder einer aus 10 Einheiten und zwei Gebäuden bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft am Elbhang in Blankenese. Dem Kläger ist der Nießbrauch an der Wohnung seiner Tochter eingeräumt. Nach der Teilungserklärung (TE/GO) aus dem Jahr 1973 soll das Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus (9 Einheiten) sowie einem südlich davon, deutlich tiefer gelegenen Einzelhaus bebaut werden. In der TE/GO heißt es, dass der zu der Einheit Nr. 10 gehörende Miteigentumsanteil verbunden sei „mit dem Sondereigentum an Räumen im Einzelhaus, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad mit WC, Diele, Terrasse, mit einer Wohnfläche von ca. 90 qm sowie vier Hobby- bzw. Kellerräumen im Keller des Einzelhauses“. Ausweislich der dem Aufteilungsplan beigefügten Bauzeichnung, die ebenfalls Bestandteil der TE/GO ist, darf das Einzelhaus (Einheit Nr. 10) eine Höhe von 56,40 Metern über Normal Null (ü. N. N.) nicht überschreiten. Gebaut wurde zunächst nur das Mehrfamilienhaus. Nachdem der Beklagte die Einheit Nr. 10 erworben hatte, errichtete er im Jahr 2012 das Einzelhaus auf der Grundlage einer Baugenehmigung. Ein zuvor angestrebtes Bauvorhaben seines Rechtsvorgängers war an der fehlenden Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer gescheitert, da der Rechtsvorgänger, der die Einheit Nr. 10 1995 für 35.000,00 DM erworben hatte, das Einzelhaus in einer von den Vorgaben der TE/GO planwidrig abweichenden Weise errichten wollte (dazu seinerzeit OLG Hamburg, Beschluss vom 25.02.2002 - 2 Wx 94/01).
Gestützt auf den Vortrag, dass vom Beklagten im Jahr 2012 errichtete Einzelhaus widerspreche in Geschosszahl und Gebäudehöhe den Vorgaben der Teilungserklärung und des Aufteilungsplans, und infolgedessen sei der Ausblick aus der Wohnung seiner Tochter auf die Elbe verbaut worden, verlangt der Kläger in Prozessstandschaft für seine Tochter Schadensersatz in Höhe einer von ihm behaupteten Verkehrswertminderung von 55.000,00 EUR. Vater und Tochter waren mithin bereit, den baulichen Zustand hinzunehmen, verlangten aber eine finanzielle Kompensation in Geld. Letztendlich erlitten sie damit Schiffbruch.
Die Entscheidung
Die Zahlungsklage hielt der BGH bereits für unzulässig, da dem Kläger bzw. seiner Tochter als Wohnungseigentümerin die Prozessführungsbefugnis in jeder Hinsicht fehle. Denn auch dann, wenn als richtig unterstellt würde, dass – wie es der Kläger geltend macht – das Einzelhaus tatsächlich höher gebaut worden sei als 56,40 Meter ü. N. N., könne die Klage keinen Erfolg haben, da die Prozessführungsbefugnis bei der Gemeinschaft liege. Zwar habe der BGH zum alten Recht entschieden, dass ein Sondereigentümer insoweit allein prozessführungsbefugt sei, als seine Klage auf eine Störung im räumlichen Bereich seines Sondereigentums gestützt werde (» der VDIV berichtete). Diese rechtliche Unterscheidung sei auch zum neuen Recht (WEMoG) weiterhin anzuerkennen. Dies gelte aber nur für aus einer Beeinträchtigung des Sondereigentums hergeleitete Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche, nicht jedoch für den hier geltend gemachten Zahlungsanspruch. Es spiele keine Rolle, ob und inwieweit das gemeinschaftliche Eigentum und / oder das Sondereigentum in seinem Wert gemindert sei. Zahlungsansprüche müssten in jedem Falle dem Ermessen, der Koordinierung und der Rechtsverfolgungskompetenz der Gemeinschaft unterstellt werden, was in Fällen der vorliegenden Art der Schuldnerschutz gebiete. Der Störer dürfe nicht unterschiedlichen (divergierenden) Anspruchszielen der Gemeinschaft einerseits und einzelner Wohnungseigentümer andererseits ausgesetzt sein. Insbesondere die Abwägung und Entscheidung, ob von einer Störungsbeseitigung abgesehen werden und stattdessen Schadensersatz verlangt werden soll, sei dem Gemeinschaftswillen unterstellt. Dies lasse sich sowohl aus § 9a Abs. 2 WEG 2020 (WEMoG) als auch aus § 10 Abs. 6 S. 3 Hs. 1 WEG alte Fassung [a.F.] (2007) herleiten.
Fazit für den Verwalter
Beschweren sich Sondereigentümer über Beeinträchtigungen durch Lärm, Gerüche, Verschattung, Blendung, Blickstörungen, Einsehbarkeit oder sonstige Emissionen, die den räumlichen ihres Sondereigentums beeinträchtigen, dürfen Gemeinschaft und Verwalter weiterhin auf das individuelle Recht des Einzelnen zur Rechtsverfolgung verweisen. Dies gilt auch, soweit die Störung zugleich Beeinträchtigungen für das Gemeinschaftseigentum mit sich bringt. Zur Rechtsverfolgung gehört sowohl die außergerichtliche als auch – falls nötig – gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Zu einer Störungsabwehr gehören aber nur Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung (Rückbau und Wiederherstellung). Zahlungsansprüche unterliegen nicht der individuellen Rechtsverfolgungskompetenz des Sondereigentümers. Hierfür benötigt er also eine Ermächtigung seitens der Gemeinschaft.
Wie schon nach altem Recht sieht der BGH für die Störungsabwehr zwei einschlägige Anspruchsgrundlagen, und zwar einerseits den allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassung- oder Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB und zum zweiten den speziellen wohnungseigentumsrechtlichen Anspruch aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Dem Kläger wurde zum Verhängnis, dass er keine Störungsabwehr wollte, sondern Geld. Dem Sachverhalt nach wären Störungsabwehransprüche wohl in Betracht gekommen, und zwar im Hinblick auf die mögliche Blickfeldbeeinträchtigung des klägerischen Sondereigentums Richtung Elbe. Mittlerweile wären derartige Ansprüche verjährt, jedenfalls dann, wenn man eine Beseitigung oder einen teilweisen Rückbau des Einzelhauses Nr. 10 verlangen wollte. Trotz Verjährung wäre der Zustand rechtswidrig, allerdings dürfte die Tochter keinen Anspruch darauf haben, Beeinträchtigungen ihres Sondereigentums durch und auf Kosten der Gemeinschaft beheben zu lassen. Was die streitige planwidrige Errichtung des Einzelhauses in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum betrifft, hätte die Gemeinschaft abzustimmen, ob und inwieweit sie auf Kosten aller Miteigentümer aktiv wird, um die Rechtswidrigkeit zu beseitigen. Der Kläger wird das in die Versammlung bringen können. Lehnt die Mehrheit ab, folgt möglicherweise eine Beschlussersetzungsklage. Grundsätzlich müssen Ansprüche, die in tatsächlicher und juristischer Hinsicht schlüssig dargelegt und in ihrer rechtlichen Verfolgung nicht von Anfang an offenkundig aussichtslos sind, von der Gemeinschaft geltend gemacht werden. Ausnahmsweise kann es anders liegen.
Wenn der BGH vom „räumlichen“ Bereich des Sondereigentums spricht, dürften auch vorgelagerte Balkone und Terrassen gemeint sein. Auch das nach neuem Recht zulässige raumlose Annex-Sondereigentum wird man hierunter fassen müssen. Entscheidend ist, dass sich die Abwehr- und Ausschlussfunktion sowohl aus dem Sondereigentum als auch aus dem Sondernutzungsrecht herleiten lässt.
Unterlassungsansprüche wegen zweckbestimmungswidriger Nutzung und Beseitigungsansprüche wegen planwidriger erstmaliger Errichtung unterliegen in der Regel der gemeinschaftlichen Prozessführungsbefugnis und Rechtsverfolgungskompetenz. Individuelle Ansprüche des Sondereigentümers sind denkbar, wenn und soweit Sondereigentum beeinträchtigt ist.
Fazit für die Gemeinschaft
Am Ende des Urteils führt der BGH aus, dass ein einzelner Wohnungseigentümer unter den Voraussetzungen von § 14 Abs. 3 WEG befugt sei, Ausgleich in Geld zu verlangen. Hierzu sei angemerkt, dass sich ein derartiger Anspruch – wie schon die Vorgängernorm des § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG a.F. – nicht gegen andere Sondereigentümer richtet, sondern gegen die Gemeinschaft.
Im Rahmen der Vorschrift ist ebenfalls anerkannt, dass es einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch geben kann, wenn das beeinträchtigte Sondereigentum durch eine erforderliche Maßnahme am Gemeinschaftseigentum dauerhaft in einen nachteiligen Zustand versetzt wird, wie z.B. die Aufbringung eines Sanierputzes zur Bekämpfung aufsteigender Feuchtigkeit im gemeinschaftlichen Mauerwerk mit entsprechenden Raum- und Flächenverlusten des Sondereigentums. Im vorliegenden Fall hingegen ging es darum, dass der Kläger bereit war, eine Störung freiwillig zu akzeptieren und stattdessen Schadensersatz in Geld zu verlangen. § 14 Abs. 3 WEG setzt voraus, dass eine unzumutbare Einwirkung nicht abgewehrt werden kann, sondern zwangsweise geduldet werden muss.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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