WEG-Recht

BGH zur Inhaltskontrolle einer vom teilenden Eigentümer einseitig „diktierten“ Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung (GO)

Mit Urteil vom 20. November 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 196/19 hat der BGH entschieden, dass die inhaltliche Überprüfung von Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung (GO) grundsätzlich nicht über AGB-Recht erfolgt. Ausnahmsweise kann anderes gelten, wenn es um Vereinbarungen zum Kontrahierungszwang geht oder der vorformulierte Verwaltervertrag als Anlage zur GO in der Teilungsurkunde mitbeurkundet wird und die betreffende Wohnungseigentümergemeinschaft – was fast immer zutrifft – als Verbraucher einzustufen ist (zu dieser Ausnahme Rn 32 der Urteilsgründe). Statt nach AGB-Recht erfolgt die Inhaltskontrolle der GO demnach in der Regel am Maßstab von Treu und Glauben gemäß § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Dies führt dazu, dass Vereinbarungen nur dann unwirksam sind, wenn sie einen Missbrauch der einseitigen Gestaltungsmacht des Aufteilenden erkennen lassen, der in einem spezifischen Zusammenhang mit der einseitigen Aufteilungssituation steht. An einem solchen Missbrauch der Gestaltungsmacht fehlt es bei gebräuchlichen, unabhängig von der Art der Aufteilung verwendeten Klauseln, die keinen inhaltlichen Bezug zu dem teilenden Eigentümer erkennen lassen. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um die Frage der Wirksamkeit einer Vereinbarung zur Einberufung der Eigentümerversammlung.

Der Fall

Die Parteien des Anfechtungsprozesses bilden eine große Wohnungseigentümergemeinschaft im Amtsgerichtsbezirk Fürth. Die Gemeinschaftsordnung (GO) aus dem Jahr 1990 enthält in Ziffer 13.3 folgende Regelung:

„Für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt die Absendung an die Anschrift, die dem Verwalter von dem Wohnungseigentümer zuletzt mitgeteilt worden ist.“

In der Eigentümerversammlung vom 25.9.2015 wurde ein Beschluss über die Wiederbestellung der Verwalterin (Streithelferin der verklagten übrigen Wohnungseigentümer) gefasst. Das Einladungsschreiben datiert vom 4. September 2015. Mit der Behauptung, die Einladung habe sie und mehrere weitere Wohnungseigentümer nicht oder nicht rechtzeitig erreicht, haben die Kläger Anfechtungsklage erhoben. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und den Wiederbestellungsbeschluss für ungültig erklärt. Die Beklagten sind nicht in Berufung gegangen. Die Berufung der Streithelferin hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom BGH auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen Revision will die Streithelferin weiterhin die Abweisung der Anfechtungsklage erreichen, weil ihrer Ansicht nach kein Einladungsmangel vorlag.

Der BGH gibt der Streithelferin (Verwalter) Recht und verweist den Fall zurück an das Berufungsgericht, damit die notwendigen weiteren Sachverhaltsfeststellungen getroffen und die Anfechtungsklage sodann in der Sache beschieden werden kann.

Die Entscheidung

Entgegen der Ansicht der Kläger und des Berufungsgerichts erfolgte die Einberufung der Eigentümerversammlung ordnungsmäßig. Aufgrund der Sonderregelung in der GO erforderte die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung nicht den Zugang, sondern lediglich die rechtzeitige Absendung der Ladung an alle Wohnungseigentümer, also nicht nur etwa an diejenigen, die einen Wohnsitzwechsel dem Verwalter nicht mitgeteilt hatten. Die Vereinbarung in der GO, die eine Abweichung von der gesetzlichen Zugangsvorschrift (§ 130 BGB) enthält, sei wirksam.

Der BGH qualifiziert zunächst den rechtlichen Charakter der Vereinbarung und grenzt sie von anderen gängigen Klauseln ab. Ausweislich ihres Wortlauts gehe es nicht um eine Zugangsfiktion (wie etwa „Die Ladung gilt einem Wohnungseigentümer als zugegangen, wenn der Verwalter sie ordnungsgemäß abgesandt hat.“). Ferner gehe es nicht um eine Regelung zur Zustellung oder Zustellungsweise (wie etwa: „Zustellungen sind stets wirksam, wenn sie an die dem Verwalter zuletzt mitgeteilte Adresse erfolgen.“). Bei unbefangener Betrachtung des Wortlauts enthalte sie nur zwei Voraussetzungen für eine ordnungsmäßige Einberufung der Versammlung: Erstens die Absendung an alle Eigentümer bzw. einzuladenden Personen und zweitens an diejenige Anschrift, die dem Verwalter zuletzt mitgeteilt worden sei.

Die Vereinbarung in Ziffer 13.3 GO sei wirksam. Außer Frage stehe, dass auch Bestimmungen einer GO einer rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen müssen. Streitig sei bisher, ob diese Kontrolle nach dem AGB-Recht erfolge und/oder nach dem Grundsatz von Treu und Glauben. Nachdem der BGH diese Frage viele Jahre offengelassen hatte, klärt er sie nun im Sinne der Lösung von § 242 BGB (Treu und Glauben). Im Allgemeinen bedürften Wohnungseigentümer des Schutzes durch eine „engmaschige“ AGB-Kontrolle der GO nicht. Das WEG beinhalte durch den Anspruch auf Änderung gefasster Vereinbarungen, die allgemeine gesetzliche Inhaltskontrolle (§§ 134, 138 BGB einschließlich des Schutzes der unverzichtbaren Mitgliedschaftsrechte) und des gerichtlichen Beschlussmängelverfahrens ein eigenes auskömmliches Schutzsystem.

Nur ausnahmsweise sei die Heranziehung des AGB-Rechts geboten, und zwar unter Berücksichtigung der EU-rechtlichen Vorgaben aus der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG, und zwar namentlich dann, wenn die GO vorschreibe, dass die Wohnungseigentümer als Verbraucher bestimmte Verträge mit Dritten abschließen müssten, wozu auch der Abschluss eines Verwaltervertrages gehören könne, wenn dessen Inhalt zum Bestandteil der GO gemacht worden sei (Rn 32).

Abgesehen von diesen Ausnahmen unterliegen Vereinbarungen in der GO laut BGH der Inhaltskontrolle gemäß § 242 BGB. Voraussetzung für eine Unwirksamkeit sei ein spezifischer Zusammenhang der jeweiligen Klausel mit der einseitigen Aufteilung. Der Vereinbarungsinhalt müsse erkennen lassen, dass der teilende Eigentümer seine einseitige Gestaltungsmacht missbraucht, um sich oder einem verbundenen Unternehmen Sondervorteile zu verschaffen, die am Maßstab von Treu und Glauben nicht hinzunehmen seien. Bei – wie hier – gebräuchlichen und im Hinblick auf die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums neutralen Bestimmungen fehle es daran. Aus Sicht der Gesamtheit der Wohnungseigentümer bestehe ein gewichtiges praktisches Bedürfnis für eine Vereinbarung dieser Art. Ein gravierender Eingriff in das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des Wohnungseigentümers liege nicht schon dann vor, wenn das Recht zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung infolge von Fehlern der Post nicht ausgeübt werden könne.

Fazit für den Verwalter

Der Verwalter muss prüfen, ob die GO eine einschlägige Einberufungsvereinbarung enthält und was diese beinhaltet. Die vorliegende Vereinbarung beinhaltet keine Verkürzung der Einladungsfrist, sondern eine Risikoverlagerung bei verlängerten Postlaufzeiten oder Sendungsverlust. Der Verwalter muss die Einladung also wie immer so rechtzeitig versenden, dass sie innerhalb der geltenden Einladungsfrist in den Machtbereich des Empfängers gelangen kann. Dies gilt sowohl bei einem Versand auf dem Postweg als auch bei Einberufung in Textform, beispielsweise über eine E-Mail-Adresse. Im Streitfall muss die Beklagtenseite – hier waren es noch die übrigen Wohnungseigentümer, nach dem WEMoG ist es die Gemeinschaft – darlegen und beweisen, dass der Verwalter die Einladung an alle versandt hat. Dazu wird der Verwalter im Regelfall als Zeuge benannt werden. Bei Beweiserheblichkeit wird das Gericht ihn dazu vernehmen. Rechnet der Verwalter mit Schwierigkeiten, kann es sich anbieten, Zeitpunkt, Unternehmensbeteiligte und Art und Weise der Absendung der Einladungen für sich zu dokumentieren.

Der BGH gestaltet die Inhaltskontrolle der GO als Fall des Rechtsmissbrauchs aus. Anknüpfungspunkt ist die einseitige Gestaltungsmacht (Missbrauchsgefahr), die der teilende Eigentümer bei der Teilungserklärung nach § 8 WEG besitzt. Ebenfalls über § 242 BGB löst der BGH seit jeher Fälle des Stimmrechtsmissbrauchs, in dem ein Mehrheitseigentümer sein Stimmenübergewicht rechtsmissbräuchlich einsetzt, um gegen das objektiv verstandene Gesamtinteresse der Gemeinschaft private Sonderinteressen durchzudrücken.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Wohnungseigentümer trifft die Obliegenheit, dem Verwalter eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen, selbstverständlich auch und besonders bei einem Wohnsitz- oder Adresswechsel oder Verwendung einer neuen E-Mail-Adresse. Versäumt ein Wohnungseigentümer dies, kann er wegen seiner eigenen Obliegenheitsverletzung keinen formalen Einladungsfehler geltend machen. Das wäre widersprüchlich (treuwidrig). Wird ein Wohnungseigentümer in der böswilligen Absicht, ihn von der Willensbildung auszuschließen, nicht zur Versammlung eingeladen, sind dort gefasste Beschlüsse in der Regel nichtig, da dann ein rechtlich nicht hinnehmbarer Angriff auf das Mitgliedschaftsrecht gegeben ist. Darum geht es in der vorliegenden Fallkonstellation nicht.

Fazit für die Gemeinschaft

Nach dem seit dem 1.12.2020 geltenden neuen WEG ist die Gemeinschaft Beklagte im Anfechtungsprozess. Rügt der Anfechtungskläger eine mangelhafte Einberufung, wird die Beklagte zumeist den Verwalter als Zeugen dafür benennen, dass die Absendung einwandfrei und pünktlich erfolgt ist. Der Beweis einer ordnungsmäßigen Einberufung ist erst dann geführt, wenn die rechtzeitige Aufgabe zur Post, Absendung an alle vorliegenden E-Mail-Adressen oder auch Einstellung in ein Verwalterportal zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Bei der Beweiswürdigung kann das Gericht auch einbeziehen, ob eine Mehrzahl von Schreiben nicht angekommen sein soll. Wenn die Gemeinschaft Beklagte ist, kommen die Wohnungseigentümer als Zeugen in Betracht. Ist – wie hier – die Absendung streitig, nicht aber der Zugang, wird freilich die Vernehmung des Empfängers allenfalls indirekt beweistauglich sein.

 

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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