In einer wichtigen Entscheidung zur Beschlusskompetenz bei in der Teilungserklärung vereinbarter Öffnungsklausel stellt der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 10. Oktober 2014 (V ZR 315/13) wichtige Grundsätze zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Mehrheitsbeschlüsse auf. Im dortigen Fall wurde versucht, die Gartensondernutzungsberechtigten gegen ihren Willen zur Gartenarbeit zu zwingen.
Der Fall:
Die Wohnanlage besteht aus 6 Einheiten, auf die jeweils 1/6 Miteigentumsanteile entfällt. Der Klägerin gehört eine der beiden Erdgeschosswohnungen. Zu ihrem Miteigentumsanteil gehört auch das Sondernutzungsrecht an der die Wohnung umgebenden Gartenfläche. Zugunsten der anderen Erdgeschosswohnung besteht ebenfalls ein entsprechendes Sondernutzungsrecht. Das Grundstück hat Hanglage. Es fällt rückwärtig ab und steigt sodann in einer Böschung wieder auf zur dahinter gelegenen Straße. Um das Grundstück herum stehen Bäume in öffentlichen Parkanlagen. In der Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) ist vereinbart, dass die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft obliegt und vom Verwalter durchzuführen ist. Ferner ist vereinbart, dass eine Änderung der Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung durch Beschluss mit 2/3 Mehrheit möglich ist.
In einer Eigentümerversammlung vom 26.07.2012 wurde der folgende Beschluss gefasst:
Die Gemeinschaft beschließt in Änderung der Teilungserklärung mit 4 Ja- und 2 Nein-Stimmen, dass hinsichtlich der Sondernutzungsflächen der Erdgeschosswohnungen ab dem 01.07.2012 die ordnungsgemäße Instandhaltung in Gestalt von Gartenpflege- und Reinigungsarbeiten den jeweiligen Sondernutzungsberechtigten obliegt und diese auch die dadurch entstehenden Kosten zu tragen haben. Dies schließt die notwendige Bewässerung mit ein.
Die Klägerin und die andere Erdgeschosseigentümerin stimmten gegen diesen Beschluss. Die Klägerin erhob Anfechtungsklage. Sie hält den Beschluss mangels Beschlusskompetenz für nichtig, möglicherweise auch wegen dessen inhaltlicher Unbestimmtheit. Jedenfalls sei der Beschluss ihrer Meinung nach aber rechtswidrig, weil er gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung verstieße, so dass das Gericht ihn für ungültig zu erklären habe.
Das Amtsgericht gab der Anfechtungsklage nur zu einem ganz geringen Teil statt, und zwar insoweit, als eine rückwirkende Verpflichtung ab dem 01.07.2012 (also für 25 Tage) beschlossen wurde. Im Übrigen hielt das Amtsgericht die Beschlussfassung für gültig. Die von der Klägerin gegen das Amtsgerichtsurteil eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Das Landgericht Hamburg stellte sich nämlich auf den Standpunkt, dass der angefochtene Beschluss weder nichtig noch sonst zu beanstanden sei. Die Beschlusskompetenz folge aus der in der Gemeinschaftsordnung vereinbarten Öffnungsklausel. Ferner sei der Beschluss auch hinreichend bestimmt, da die von Klägerseite als unbestimmt beanstandete Formulierung Reinigungsarbeiten nach den Feststellungen auf die im Garten verlegten Terrassenflächen sowie Steinstufen zu beziehen sei; außerdem habe der Klägerin bei Kauf der Wohnung klar sein müssen, dass aufgrund der Öffnungsklausel auch eine Verpflichtung zur Garteninstandhaltung auf sie zukommen könne.
Da dieser vom Landgericht Hamburg eingenommene Rechtsstandpunkt umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt war, ließ es die Revision zum BGH zu. Dieser hob das landgerichtliche Urteil auf.
Die Entscheidung:
Der Bundesgerichtshof stört sich daran, dass das Berufungsgericht fundamentale Schutzrechte der Minderheit übersehen hat. Zwar sei das Berufungsgericht mit Recht davon ausgegangen, dass die formelle Beschlusskompetenz durch die in der Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) vereinbarte Öffnungsklausel gegeben sei. Neben dieser formellen Seite der Beschlusskompetenz sei jedoch auch die materielle Seite zu berücksichtigen. Deshalb sei ein Änderungsbeschluss (Mehrheitsbeschluss) auf der Grundlage einer Öffnungsklausel nicht schon dann rechtmäßig, wenn er die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage erfülle, hier also die vereinbarte qualifizierte 2/3 Mehrheit. Vielmehr seien zum Schutz der Minderheit bestimmte fundamentale inhaltliche Schranken zu beachten. Zu diesen fundamentalen Schranken gehörten u. a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte, um die es im vorliegenden Fall indessen nicht gehe. Weitere fundamentale Schranken ergäben sich aber auch durch solche unentziehbaren Individualrechte, die verzichtbar seien. Hier komme es darauf an, ob der Wohnungseigentümer, der durch den Mehrheitsbeschluss mit einer Sonderverpflichtung belastet werde, einverstanden sei, auf seinen Individualrechtsschutz also individuell verzichte oder aber nicht. So lange sich der belastete Wohnungseigentümer nicht geäußert habe, ob er die ihm mehrheitlich auferlegte Sonderbelastung akzeptiere, sei der Beschluss schwebend unwirksam. Lehne der Wohnungseigentümer die Sonderbelastung aber ab, werde aus dem schwebend unwirksamen ein endgültig unwirksamer Beschluss (Rn 15 und 20 der Urteilsgründe).
Da der angegriffene Beschluss gegen das verbandsrechtliche Belastungsverbot verstoße und die Klägerin spätestens mit der Erhebung ihrer Anfechtungsklage ihre Zustimmung verweigert habe, sei der Beschluss endgültig unwirksam geworden.
Folge hiervon sei, dass der Beschluss nichtig ist. Da ein endgültig unwirksamer Beschluss dem nichtigen Beschluss hinsichtlich seiner Rechtsfolgen gleich stehe, komme es auf die genaue Formulierung des Urteilstenors nicht an. Daher stellte der BGH die Unwirksamkeit des Beschlusses fest.
Fazit für den Verwalter:
Der Verwalter steht häufig in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter vor Rechtsfragen hinsichtlich der Gültigkeit von Beschlüssen. Der BGH bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung eine dritte Kategorie von Beschlussmängeln, und zwar in Gestalt der schwebenden Unwirksamkeit von Beschlüssen. Diese dritte Kategorie schließt einen Freiraum zwischen (lediglich) rechtswidrigen (anfechtbaren) Beschlüssen, die mit Verkündung in der Versammlung schwebend wirksam und mit Ablauf der 1-monatigen Anfechtungsfrist (Nichtanfechtung) endgültig wirksam werden, und der Kategorie nichtiger Beschlüsse, die also von Anfang an unwirksam sind (ohne Schwebezustand). In dieser Kategorie wird hingegen mit Verkündung des Versammlungsleiters ein schwebend unwirksamer Beschluss in die Welt gesetzt, dessen Schwebezustand nicht etwa mit Verstreichen der Anfechtungsfrist endet, sondern erst dann, wenn der sonderbelastete Wohnungseigentümer, um den es im streitigen Beschluss geht, diesen Beschluss die Zustimmung versagt. Der Schwebezustand kann also kürzer oder länger sein als die 1-monatige Anfechtungsfrist.
Eine vom BGH nicht angesprochene Frage ist, ob nicht schon die von der Klägerin abgegebene Nein-Stimme in der Versammlung dazu hätte führen müssen, dass der Beschluss von Anfang an unwirksam bzw. nichtig war. Der BGH stellt allein auf die Erhebung der Beschlussmängelklage ab und sieht (spätestens) darin die Verweigerung der Zustimmung und somit die Beendigung des Schwebezustandes.
Die BGH-Entscheidung betrifft insbesondere die Fallgruppe der so genannten tätigen Mithilfe, in der versucht wird, mit Mehrheitsmacht über die Arbeitskraft von Wohnungseigentümern zu verfügen. Typische Beispiele sind Gartenarbeit, Streu- und Winterdienst, Treppenhausreinigung, Hoffegen, Vorgärten haken, Spielplätze säubern usw.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Hamburg
www.wir-breiholdt.de