WEG-Recht

BGH: Zustimmungsbeschluss für bauliche Veränderung im Individualinteresse unter Kostenvorbehalt und weiteren Auflagen zulässig

Der im Bundesland Brandenburg spielende Außenjalousie-Fall hat es ein zweites Mal zum Bundesgerichtshof (BGH) geschafft. Während es im ersten Revisionsverfahren (V ZR 56/17, » der VDIV berichtete) um die rechtliche Qualifizierung der Anbringung von Außenjalousien ging, drehte sich das zweite Revisionsurteil um die Frage, ob Wohnungseigentümer einer baulichen Maßnahme, die nur einzelnen von ihnen einen individuellen Nutzen bringt, durch Beschluss zustimmen, sich darin aber gegen eine eigene Kostenbelastung verwahren können. Der BGH bejaht diese Möglichkeit.

Mit Urteil vom 15. Mai 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 64/19 entschied der BGH unter Voranstellung folgender amtlicher Leitsätze:

a)    § 16 Abs. 4 WEG steht einem Beschluss nicht entgegen, der einzelnen Wohnungseigentümern die Durchführung einer baulichen Veränderung des Gemeinschaftseigentums mit der Maßgabe gestattet, dass die bauwilligen Wohnungseigentümer sämtliche Errichtungskosten und Folgekosten der Maßnahme tragen. Dies gilt auch dann, wenn eine solche - hinreichend bestimmt beschriebene - Maßnahme im Zeitpunkt des Beschlusses noch nicht geplant ist.

b)    Hat ein Wohnungseigentümer eigenmächtig eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums vorgenommen, haben die Wohnungseigentümer die Beschlusskompetenz, dies mit der Maßgabe zu genehmigen, dass der die Veränderung vornehmende Wohnungseigentümer die Folgekosten der Maßnahme trägt.

Der Fall

Die Eigentümer der Wohnung Nr. 2 klagten auf Beseitigung von Außenjalousien, welche die beklagten Eigentümer der Wohnungen Nr. 1, 3 und 4 im Jahr 2013 in die Stahlrahmen vor den südwärts ausgerichteten Fensterfronten ihrer Wohnungen als Sonnenschutz und Verschattungsanlage anbrachten. In der Eigentümerversammlung vom 1. Juni 2012 wurde ein Beschluss gefasst, wonach es den Eigentümern gestattet wurde, an ihren Fenstern und Türen hofseitig fach- und sachgerecht Jalousien, Lamellen und feste Verschattungen zu installieren. Für die Anbringung einer Verschattungsanlage vor der Glasfassade des Gebäudes sollte der Verwalter Angebote einholen. Letzteres geschah in der Folge nicht. Während des (neuen) Berufungsverfahrens fassten die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2018 folgenden Beschluss:

„Die Eigentümer beschließen, allen Wohnungseigentümern wird gestattet, an die hofseitig gelegene und südwärts vorgelagerte Fassaden- und Balkonkonstruktion entsprechende Verschattungsanlagen (Jalousien/ Verschattungsjalousien) fachmännisch anzubringen. Die Verschattungsanlage soll in einheitlicher Art und Form ausgeführt werden und eine optisch harmonische Ansicht bieten. Die Ausführung der Verschattungsanlagen hat sich in Art und Form den bereits vorhandenen Verschattungsanlagen weitestgehend anzupassen. Die entstehenden Einbau- und eventuellen Folgekosten werden durch die Eigentümer der jeweiligen WE, welche die Verschattungen installieren, selbst getragen. Ebenso übernehmen die jeweiligen Eigentümer die Haftung für evtl. auftretenden Schäden und deren Beseitigung, sofern diese nicht durch die Gebäudeversicherung abgedeckt sind.″

Dieser Beschluss ist Gegenstand eines parallel rechtshängigen Anfechtungsverfahrens der Kläger. In erster Instanz wurde er mit Urteil vom 27. Januar 2020 vom Amtsgericht Senftenberg für ungültig erklärt. Über die Berufung ist noch nicht entschieden. Im hiesigen Rückbauprozess haben Amts- und Landgericht die auf vollständige, hilfsweise teilweise Beseitigung der Außenjalousien, Nichtigkeitsfeststellung bezüglich des Beschlusses vom 1. Juni 2012 und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die vom Landgericht Frankfurt (Oder) zugelassene Revision der Kläger hatte keinen Erfolg.

Die Entscheidung

Der BGH weist die Klage als teilweise unzulässig und insgesamt unbegründet ab. Ein Rückbauanspruch ergebe sich weder aus § 1004 Absatz 1 BGB noch aus § 15 Absatz 3 WEG. Die mit dem Feststellungsantrag aufgeworfene Frage der Nichtigkeit des Beschlusses vom 1. Juni 2012 könne dahinstehen. Denn jedenfalls die Beschlusslage vom 28. September 2018 begründe eine Duldungspflicht der Kläger. Der Beschluss sei nicht nichtig, inhaltlich hinreichend bestimmt genug und trotz der gegen ihn erhobenen Anfechtungsklage nicht ungültig, da diese keinen Suspensiveffekt habe.

Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Beschluss vom 28. September 2018 von der erforderlichen Beschlusskompetenz getragen. Denn nach Wortlaut und Sinn beinhalte er keine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, und zwar weder in einem Einzelfall noch bezüglich der Frage der Folgekosten. Die Außenjalousien würden nicht im Gesamtinteresse alle jeweiliger Wohnungseigentümer durch und auf Kosten der WEG angebaut, sondern nur im Individualinteresse jeweils einzelner bauwilliger Wohnungseigentümer. Ihr anfängliches Ansinnen, als Gemeinschaft die Stahlbaukonstruktion vor der Glasfassade des Gebäudes mit Verschattungsanlagen zu versehen, wofür der Verwalter im Jahr 2012 Angebote einholen sollte (siehe Randnummer 1, 22 der Urteilsgründe), hätten die Wohnungseigentümer mittlerweile aufgegeben. Daher gäbe es keine Ausgaben aus dem Verwaltungsvermögen, die gemeinschaftlich finanziert und unter den Eigentümern verteilt werden müssten. Vielmehr sei jeder bauwillige Eigentümer für sich allein verpflichtet, Aufträge zu erteilen und aus eigener Tasche zu bezahlen.

Der Beschlussinhalt beschränke sich daher auf die Zustimmung zur Durchführung der baulichen Maßnahme durch einzelne Eigentümer. Eine solche Zustimmung könne und dürfe sowohl vorher als auch – wie hier – nachträglich erteilt werden, und zwar auch mittels eines Beschlusses. Würde dieser fehlende individuelle Zustimmungen einzelner beeinträchtigter Wohnungseigentümer ignorieren oder übergehen, sei dies kein Nichtigkeitsgrund. Vielmehr müsse der Beschluss erfolgreich angefochten werden. Dies sei den Klägern im Parallelverfahren bisweilen nicht gelungen. Der BGH sah keine Veranlassung, das Revisionsverfahren auszusetzen, bis der Anfechtungsprozess rechtskräftig beendet ist. Zwar habe eine Aussetzung des Berufungsverfahrens nahegelegen, allerdings hätten die Kläger diese Verfahrensrüge nicht erhoben (Randnummer 25).

Auch wenn man die Außenjalousien nicht als bauliche Veränderung nach § 22 Absatz 1 WEG qualifiziere, sondern als Modernisierung nach § 22 Absatz 2 WEG, würde eine mögliche nachteilige Veränderung der Eigenart der Wohnanlage keinen Nichtigkeitsgrund darstellen, sondern allenfalls einen Anfechtungsgrund.

Die Mehrheit habe von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, der Anbringung von Außenjalousien durch die Eigentümer selbst auf eigene Kosten unter bestimmten Maßgaben zuzustimmen. Zu solchen Maßgaben könne – neben der Kostenübernahme – etwa auch die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht oder die Wahrung eines bestimmten äußeren Erscheinungsbildes gehören. Ob Eigentümer von einer solchen Gestattung Gebrauch machten oder nicht, bleibe ihnen überlassen. Entschieden sie sich hierfür, müssten sie die kollektiv getroffenen Vorgaben beachten, um den sonst drohenden Rückbau zu verhindern (Randnummer 22). Laute die Maßgabe im Beschluss, dass bauwillige Eigentümer die Kosten der Maßnahme selbst zu tragen haben, umfasse dies nicht nur einmalige Baukosten, sondern auch die Tragung sämtlicher Folgekosten. Eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, die mangels einer Öffnungsklausel vereinbarungsbedürftig ist, liege darin nicht.

Fazit für den Verwalter

Es ist ein Unterschied, ob bauliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum durch die Gemeinschaft vorgenommen und aus dem Verwaltungsvermögen bezahlt werden oder ob es – wie hier – um individuelle Baumaßnahmen geht, die einzelnen Wohnungseigentümern auf eigene Kosten gestattet werden. Die Gestattung individueller Baumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum darf per Beschluss erfolgen und mit Bedingungen, Auflagen, Vorbehalten und sonstigen Vorgaben verknüpft werden. Der BGH spricht davon, die Gestattung „mit bestimmten Maßgaben″ zu versehen. Derartige Maßgaben – zum Beispiel Übernahme der Bau- und Folgekosten, Haftungsübernahme, Sicherheitsleistung, Rückbau, Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik, fachmännische Ausführung, Übernahme der Verkehrssicherungspflicht – müssen im Beschlussinhalt hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht werden. Im vorliegenden Fall hält der BGH den Beschluss vom 28. September 2018 für hinreichend bestimmt und den Verweis auf „schon vorhandene Verschattungsanlagen″ für unbedenklich (Randnummer 23), obwohl diese tatsächlichen Verhältnisse im Grundbuch keinen Niederschlag finden. In der Anordnung der Haftungsübernahme liegt keine konstitutive Anspruchsbegründung, die zur Nichtigkeit des Beschlusses führen könnte. Jeder Eigentümer, der von der Gestattung Gebrauch macht, willigt freiwillig in die kollektiven Vorgaben ein.

Verwalter müssen wissen, dass die Zustimmung zu individuellen baulichen Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum durch Beschluss und unter Verknüpfung mit bestimmten Maßgaben nichts mit § 16 Absatz 4 WEG zu tun hat, da es nicht um die Verteilung gemeinschaftlicher Kosten geht. Sollten der Wohnungseigentümergemeinschaft – unter Verletzung dieser Maßgaben – doch Folgekosten entstehen, weil etwa der Verwalter für die Gemeinschaft im Rahmen der Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht eine Ausgabe tätigt, darf dies bei der Kostenverteilung nicht zu Lasten der nicht betroffenen Wohnungseigentümer gehen. Diese sind vielmehr entsprechend § 16 Absatz 6 WEG bezüglich der Bau- und Folgekosten freigestellt (Randnummer 24), wenngleich die Vorschrift nicht auf Modernisierungen Anwendung findet, sondern nur auf klassische bauliche Veränderungen nach § 22 Absatz 1 WEG.

Ein Wohnungseigentümer, der die kollektiven Vorgaben im Beschluss missachtet, ist in dem für ihn schlimmsten Falle zum Rückbau verpflichtet, weil die Duldungspflicht der übrigen Miteigentümer hinfällig werden könnte. Rechtlich spannend ist die Frage der Verjährung, wenn ein Wohnungseigentümer erst nach vielen Jahren nicht mehr bereit ist, die kollektiv getroffenen Maßnahmen im Beschluss zu befolgen, beispielsweise Folgekosten zu tragen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfte ein Beseitigungsanspruch nicht entstanden sein, also auch keine Verjährung begonnen haben. Erst mit Missachtung des Beschlussinhalts, der je nach Auslegung unter einer (auflösenden) Bedingung gestanden haben könnte, würde ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 Absatz 1 BGB und/oder § 15 Absatz 3 WEG entstehen können.

Auch wenn § 16 Absatz 4 WEG im vorliegenden Fall keine Rolle spielte, hier noch einmal der aktuelle rechtliche Stand der Dinge: Die Vorschrift ermöglicht keine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, sondern nur dessen Durchbrechung „im Einzelfall″. Eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, beispielsweise für Instandhaltung und Instandsetzung oder Rücklage, ist mangels Beschlusskompetenz nichtig. Vom BGH weiterhin offen gelassen wird die Frage, ob der Begriff „Einzelfall″ sich auf die jeweilige Baumaßnahme bezieht, also neben den Bau- auch Folgekosten umfassen kann.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt

W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt

Rechtsanwälte PartmbB Hamburg

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