WEG-Recht

Das WEG-Gericht darf in zerstrittener Gemeinschaft auch Sondernutzungsflächen begründen und regeln!

Seit der WEG-Novelle 2007 gibt es im Wohnungseigentumsgesetz (WEG) eine Vorschrift, die es dem WEG-Gericht gestattet, anstelle der Eigentümer eine „erforderliche Maßnahme″ nach billigem Ermessen zu treffen. Gemeint ist § 21 Abs. 8 WEG. Dass diese Vorschrift eine gerichtliche Beschlussersetzung deckt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) früh erkannt und bis heute in ständiger Rechtsprechung weiter ausgefeilt. Jetzt ist das erste Urteil da, in dem der BGH feststellt, dass das Gericht auch Vereinbarungen, also Regelungen der Gemeinschaftsordnung, verabschieden darf, wenn darauf ein Anspruch besteht, aber die Eigentümer sich so „spinnefeind″ sind, dass ihnen die Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten ohne Gericht unmöglich ist.

Mit Urteil vom 08.04.2016 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 191/15 hat der Bundesgerichtshof (BGH) Rechtsgrundsätze aufgestellt, wie Gerichte in einer zerstrittenen Gemeinschaft anstelle der Wohnungseigentümer vereinbarungsbedürftige Regelungen nach billigem Ermessen treffen dürfen. Im konkreten Fall ging es um eine erforderliche Gartennutzungsregelung in einer Zweiergemeinschaft im Amtsgerichtsbezirk Karlsruhe.  

Der Fall

In einer Zweier-WEG gibt es zwei Wohnungen, die eine mit einem Miteigentumsanteil (MEA) von 26/100, die andere mit 74/100. Es gibt einen gemeinschaftlichen Garten. Sondernutzungsrechte bestehen nicht. Der Garten wird überwiegend von den Eigentümern (Beklagten) der Wohnung mit dem größeren MEA genutzt, die dort Brennholz lagern und Teilbereiche für sich allein beanspruchen. Die Kläger streben eine Nutzungsregelung für den Garten im Wege einer Beschlussersetzung an. Ihnen geht es darum, den ganzen Garten gleichberechtigt nutzen zu dürfen, also nicht etwa nur – angelehnt an ihren MEA – eines guten Viertels der Gartenfläche. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht Karlsruhe als Berufungsgericht hat die Nutzung dahingehend geregelt, dass die Kläger den Garten an geraden, die Beklagten an ungeraden Tagen nutzen dürfen. Eine gerichtliche Gebrauchsregelung mit einer gleichzeitigen Nutzungsmöglichkeit, die also eine gleichzeitige Anwesenheit beider Seiten in Teilen des Gartens ermöglichen würde, schied nach Ansicht des Landgerichts angesichts der konfliktträchtigen Beziehung der Parteien aus. Das Landgericht hatte die Parteien noch zu einem gerichtlichen Vergleich bringen wollen, scheiterte aber mit diesem Ansinnen. In dritter Instanz hatte der BGH zu entscheiden.

Die Entscheidung

Der BGH hebt die landgerichtliche Entscheidung auf und verweist den Fall zurück in die zweite Instanz. Der BGH stellt fest, dass die vom Landgericht für die Gartennutzung betroffene Rotationsregelung (täglicher Wechsel) nicht „billigem Ermessen″ im Sinne von § 15 Abs. 3 und § 21 Abs. 8 WEG entspreche. Das Landgericht habe – durchaus zutreffend – anstelle der Eigentümer eine Gebrauchsregelung getroffen; durch den täglichen Wechsel stehe diese Gebrauchsregelung zudem nicht im Verdacht, ein verkapptes Sondernutzungsrecht zu sein, wofür Eigentümern und Gericht die Beschlusskompetenz gefehlt hätte. Allerdings weist der BGH darauf hin, dass der vom Berufungsgericht für die Gartennutzung getroffene tägliche Turnus den Wünschen aller Beteiligten widerspreche, neue Konflikte hervorriefe und eine sinnvolle gärtnerische Nutzung unmöglich mache, da kein Eigentümer bspw. Beete oder Büsche pflanzen und pflegen dürfte.

Billigem Ermessen entspreche es – so der BGH weiter – vielmehr, zu Gunsten beider Sondereigentumseinheiten ein Sondernutzungsrecht an Gartenteilflächen zu begründen. Hierzu sei freilich eine Vereinbarung nötig, da die Beschlusskompetenz fehle. Diesen Weg eröffne § 21 Abs. 8 WEG, dessen Anwendungsbereich nicht nur auf gerichtliche Beschlussersetzungen beschränkt sei, sondern auch den – hier einschlägigen – Fall der Regelung vereinbarungsdürftiger Angelegenheiten umfasse, wie z.B. die Begründung von Sondernutzungsrechten.

Der BGH stellt fest, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs der Kläger gegen die Beklagten aus § 10 Abs. 2 S. 3 WEG auf Abschluss einer Vereinbarung zur Begründung von Sondernutzungsrechten unter flächenmäßiger Aufteilung des Gartens gegeben sind. Wichtig und etwas überraschend ist die Bemerkung des BGH (Rn. 29 des Urteils), dass im Grundsatz nichts dagegen spreche, eine flächenmäßig in etwa hälftige Aufteilung des Gartens vorzunehmen. Der BGH knüpft also nicht daran an, dass eine Wohnung mit einem deutlich größeren Miteigentumsanteil verbunden ist. Dies möge laut BGH ein ideeller und wirtschaftlicher Unterschied sein. Rechtlich gesehen hätten aber beide Eigentümer ein gleiches Recht auf Mitgebrauch der Gartenfläche.

Eine Eintragung der gerichtlich ersetzten Vereinbarung im Wohnungsgrundbuch und die damit verbundene Bindungswirkung gegenüber Sondernachfolgern (siehe § 10 Abs. 3 WEG) entfielen in Fällen der vorliegenden Art, weil die zu treffende Regelung durch das Zerwürfnis der gegenwärtigen Eigentümer begründet sei und sich dies bei Veränderung der personellen Zusammensetzung der WEG erledigen könne.

Prozessual gibt es eine interessante Aussage zur Bestimmtheit des Klagantrags: Grundsätzlich genügt es wie bei einer Beschlussersetzungsklage, im Klagantrag nur das Regelungsziel der verlangten Vereinbarung zu umschreiben, damit das Gericht einen Anhalt für die inhaltliche Ausgestaltung seines Spielraums bei der Entscheidung habe. Anders ist es allerdings, wenn die Vereinbarung einen feststehenden Inhalt haben muss; in diesem Fall muss die Klage auf Zustimmung der übrigen Eigentümer zu einem bestimmten Vertragstext (Vereinbarungsinhalt) gerichtet sein (Rn. 26 des Urteils).

Fazit für den Verwalter

Das Gericht darf über § 21 Abs. 8 WEG nicht nur Beschlüsse in die Welt setzen, sondern auch Vereinbarungen, wenn ein Eigentümer (Kläger) hierauf einen Rechtsanspruch aus § 10 Abs. 3 S. 2 WEG hat und die Eigentümer nicht in der Lage sind, die erforderliche Maßnahme selbst zu regeln. An beiden Regelungsinstrumenten (Beschluss oder Vereinbarung) sind der Anspruchsteller und alle übrigen Wohnungseigentümer beteiligt, sodass auch prozessual im Rahmen einer Anfechtungsklage (gegen die übrigen Eigentümer) gegebenenfalls ein Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung durch gerichtliche Regelung nachgeschoben werden kann. Hierfür dürfte nicht die zweimonatige Klagebegründungsfrist greifen.

Für Beschlussfassungen gilt der Vorbefassungsgrundsatz, sodass eine Klage grundsätzlich unzulässig ist, wenn nicht zuvor der Kläger sein Anliegen in der Versammlung präsentiert hat. Nur bei unnötiger Förmelei darf man sich die Vorbefassung schenken und direkt zu Gericht ziehen. Für den Abschluss von Vereinbarungen gilt ein Vorbefassungsgrundsatz nicht. Dennoch kann es empfehlenswert sein, die übrigen Wohnungseigentümer ebenfalls vor dem Gang zu Gericht mit dem Anliegen zu befassen, um zu verhindern, dass ein Großteil der Eigentümer (oder alle) dem eingeklagten Vereinbarungsinhalt sofort zustimmt bzw. ein sofortiges Anerkenntnis abgibt bzw. abgeben.

Vom BGH noch nicht geklärt ist die Frage, ob eine schwebend unwirksame Vereinbarung – entsprechend der Beschlussersetzungsklage – gegen alle übrigen Eigentümer zu erheben ist oder nur gegen diejenigen restlichen Eigentümer, deren Zustimmung aussteht.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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