Mit Urteil vom 20.09.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 235/23 trifft der BGH wichtige Aussagen über die Wirksamkeit (Beschlusskompetenz) und Rechtmäßigkeit (Ordnungsmäßigkeit) von Zweitbeschlüssen bezüglich der Vorschüsse auf die Kosten und die Rücklage aufgrund des Wirtschaftsplans.
Der Fall
Die Klägerin zu 1 ist Mitglied der beklagten GdWE. Ab Februar 2016 gehörten ihr zunächst 44 Tiefgaragenstellplätze, von denen sie einen im Jahr 2021 an die Klägerin zu 2 übertrug. Zu den Eigentümerversammlungen der Jahre 2015-2018, in denen u.a. die Wirtschaftspläne für die Jahre 2016-2018 beschlossen wurden, waren die Klägerin zu 1 und ihre damalige Rechtsvorgängerin nicht geladen worden. Die GdWE hatte im Vorprozess eine Klage auf Zahlung der Hausgelder für die Jahre 2013-2018 erhoben. Der Vorprozess endete mit einem Vergleich. In der Eigentümerversammlung vom 20.06.2022 wurde zu TOP 10 folgender Beschluss gefasst:
"Die Eigentümer genehmigen die Vorschüsse auf die Kosten und die Rücklage auf Grund des vom Verwalter erstellten Wirtschaftsplanes für das Jahr 2016 mit Druckdatum vom 17.05.2022. Noch offene Forderungen auf die beschlossenen Vorschüsse werden zur sofortigen Zahlung in voller Höhe fällig gestellt. Bereits geleistete Zahlungen werden in voller Höhe auf die Vorschüsse für das Jahr 2016 verrechnet."
Gleichlautende Beschlüsse wurden für das Jahr 2017 (TOP 11) und das Jahr 2018 (TOP 12) gefasst. Die Klägerinnen wenden sich mit der Beschlussanfechtungsklage gegen die drei Beschlüsse. Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben. Die Berufung der GdWE hatte das Landgericht zurückgewiesen, jedoch die Revision zugelassen. Diese war erfolgreich. Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zurück an das Landgericht Bamberg.
Die Entscheidung
Der BGH entscheidet, dass die Beschlüsse – entgegen der Ansicht des Landgerichts – von der notwendigen Beschlusskompetenz getragen seien. Diese folge aus § 28 Abs. 1 WEG. Nach dieser Bestimmung beschließen die Wohnungseigentümer über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den vorgesehenen Rücklagen. Dass es sich um Zweitbeschlüsse handele, sei unerheblich. Eine im Wohnungseigentumsgesetz oder in einer Vereinbarung (Öffnungsklausel) in der Gemeinschaftsordnung vorgesehene Beschlusskompetenz umfasse sowohl die erste Beschlussfassung als auch erneute Beschlussfassungen über die bereits geregelte Angelegenheit; infolgedessen betreffe die Frage, ob Wohnungseigentümer einmal oder mehrfach über dieselbe Angelegenheit entscheiden dürften, nicht die Beschlusskompetenz, sondern die ordnungsmäßige Verwaltung.
Ein zwischenzeitlicher Eigentumswechsel lasse die Beschlusskompetenz für einen Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans aus § 28 Abs. 1 WEG nicht entfallen. Die Einführung einer etwaigen Erwerberhaftung „durch die Hintertür“ sei lediglich mittelbare Folge des Zweitbeschlusses, beseitige aber nicht die Beschlusskompetenz. Soweit eine frühere Entscheidung möglicherweise anders zu verstehen gewesen sein sollte, halte der Senat daran nicht fest.
Der BGH führt aus, dass auch nach neuer Gesetzeslage (WEMoG) ein Zweitbeschluss über den Wirtschaftsplan ausnahmsweise in Betracht kommen könne. Er stellt fest, dass ein solcher Beschluss indes nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestünden und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt würden. Hierzu habe das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen, sodass die Akte zurückzuschicken sei. Eine Nichtigkeit wegen eines Ladungsmangels sei nicht ersichtlich, da die Rechtsvorgängerin der Klägerinnen fälschlicherweise, nicht aber in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen worden sei. Ob das damals mit der Hausgeldklage befasste Gericht inzident die Nichtigkeit gefasster Beschlüsse bejaht habe, sei ebenfalls noch festzustellen.
Fazit für den Verwalter
Eine Beschlusskompetenz wird nicht durch einen (ersten) Beschluss über den Beschlussgegenstand „aufgebraucht“. Sie besteht weiter. Inwieweit ein Zweitbeschluss in Ordnung ist, betrifft die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung. Beschlusskompetenzen kommen grundsätzlich durch die Formulierung „… können… beschließen“ zum Ausdruck. Das gilt für gesetzliche Regelungen wie für vereinbarte Beschlusskompetenzen in der Gemeinschaftsordnung. § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG ist zwar anders formuliert („Die Wohnungseigentümer beschließen über…“); gleichwohl ist auch darin die gesetzliche Beschlusskompetenz klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht.
Erklärt das Gericht – womöglich nach jahrelangem Prozess – einen Beschluss über einen Wirtschaftsplan für ungültig oder stellt dessen Nichtigkeit fest, erfolgten geleistete Zahlungen ohne Schuldgrund. Da die Jahresabrechnung den Wirtschaftsplan nicht ersetzt, können und dürfen Wohnungseigentümer durch einen Zweitbeschluss die Anspruchsgrundlage für das damalige, längst abgeschlossene und in der Regel bestandskräftig abgerechnete Wirtschaftsjahr wiederherstellen. Zur Zahlung verpflichtet sind die Wohnungseigentümer, denen im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Zweitbeschluss die Sondereigentumseinheiten gehören. Soweit Sondereigentum in der Zwischenzeit übertragen wurde, sind also nicht mehr die früheren Wohnungseigentümer zahlungspflichtig.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Für den Erwerber von Wohnungseigentum ist es überraschend, wenn viele Jahre später durch abermalige Beschlussfassung über „alte“ Wirtschaftspläne in das Finanzierungssystem eingegriffen wird und der damalige Eigentümer wohnungseigentumsrechtlich „aus dem Schneider ist“, da er der GdWE kein Hausgeld mehr schuldet. Im Fall hier rollte die Versammlung im Jahr 2022 die Wirtschaftsjahre 2016, 2017 und 2018 neu auf. Sind diese Umstände bekannt, sollte kaufvertraglich an entsprechende Regelungen (z.B. Freistellung des Erwerbers durch den Verkäufer für etwaige Zahlungspflichten für Vorjahre) gedacht werden.
Zweitbeschlüsse werden in die Kategorien aufhebend, bestätigend, inhaltsgleich, ersetzend eingeteilt. Nicht nur Zweitbeschlüsse sind von der Beschlusskompetenz gedeckt, sondern auch weitere Beschlussfassungen zum gleichen Beschlussgegenstand. Insofern gelten die Ausführungen also auch für Dritt-, Viert- und weitere Beschlüsse, wobei die rechtlichen Anforderungen an die Einhaltung schutzwürdiger Belange aus vorherigen Beschlüssen hierdurch steigen können.
Fazit für die Gemeinschaft
Nicht nur, wenn ein Gericht den Beschluss über einen Wirtschaftsplan rechtskräftig „kassiert hat“, sondern auch, wenn berechtigte Zweifel an seiner Wirksamkeit bestehen, kann der Beschluss über den Wirtschaftsplan durch einen (bestätigenden) Zweitbeschluss ersetzt werden. Im Fall gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die damaligen Wirtschaftspläne inhaltlich (materiell), insbesondere zahlenmäßig (Höhe der prognostizierten Einnahmen und Ausgaben, Kostenverteilungsschlüssel etc.), falsch gewesen wären. Es waren der unstreitige formelle Mangel (Einladungsfehler) und die streitige Verletzung des Mitgliedschaftsrechts, die Zweifel an der Richtigkeit des ersten Beschlusses aufwerfen.
Der BGH deutet an, an seiner Rechtsprechung, wonach Beschlüsse nichtig sind, wenn Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme an der Beschlussfassung ausgeschlossen werden, womöglich nicht festzuhalten. Zweifel ergeben sich für den BGH aus der mit dieser Ausnahme einhergehenden Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Beschlusslage. Er lässt diese Frage erneut ausdrücklich offen.
Heikel und nicht abschließend geklärt sind die Auswirkungen von Zweitbeschlüssen über Wirtschaftspläne, Jahresabrechnungen und Sonderumlagen auf die Verjährung von Hausgeldansprüchen. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 20.06.2022 wären Ansprüche der GdWE aus den alten Wirtschaftsplänen – soweit sie nicht durch Erfüllung/ Vergleich erloschen waren – verjährt, da diese in den Jahren 2015-2018 beschlossen worden waren. Durch die neue Beschlussfassung begann eine Verjährungsfrist bis 31.12.2025.
In der Regel entspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, Hausgeldrückstände einzuklagen, auch wenn die Wirksamkeit der zugrunde liegenden Anspruchsgrundlage (Beschluss über Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung, Sonderumlage) zweifelhaft und/oder innerhalb der Gemeinschaft streitig ist. Weist das Gericht eine Zahlungsklage wegen Verjährung ab, weil also der verklagte Hausgeldschuldner seine Verjährungseinrede zu Recht erhoben hatte, widerspricht es laut BGH regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung, anschließend zwecks Neubegründung der Rückstände einen Zweitbeschluss zu fassen. Stattdessen wird die GdWE mögliche Regressansprüche zu prüfen haben, insbesondere gegen den Verwalter, der zu spät die erforderlichen Schritte in die Wege leitete. Wie es sich rechtlich verhält, wenn der ordnungswidrige Zweitbeschluss dennoch gefasst und nicht gerichtlich angefochten wird, bewertet der BGH nicht. Fraglich ist, ob der Beschluss bestandskräftig wird oder – wegen des konstitutiven Eingriffs in eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung – nichtig ist.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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