Arbeitsrecht

Hemmungsloses Surfen während der Arbeitszeit – kein Kündigungsgrund?

Der Fall

Eine Arbeitgeberin erhielt anonyme Hinweise, dass einige Arbeitnehmer exzessiv während der Arbeitszeit privat surfen würden. Gestattet war eine „gelegentliche und im Verhältnis zur geschäftlichen Nutzung eindeutig unerhebliche private Nutzung [...]. Dies beinhaltet z. B. kurze Telefonate, die der Organisation persönlicher Angelegenheiten dienen (Absprache Kinderbetreuung, Werkstatttermine, etc.)“. 

Die Arbeitgeberin installierte eine Software, um das Surfverhalten der Arbeitnehmer zu überwachen. Dabei stellte sich fest, dass u.a. eine Arbeitnehmerin an 9 Tagen zwischen 1 und 3 Stunden werktäglich privat surfte. Nach Anhörung der Arbeitnehmerin, in der sie mit den Vorwürfen konfrontiert wurde und diese zugab, schrieb diese an die Arbeitgeberin nachts am selben Tag u. a.:

„Ich würde Ihnen gerne beweisen das man sich auf mich verlassen kann [...]. Denn ich weiß in meiner Arbeit bin ich einfach super. Ich weiß das man jetzt das gegenseitige Vertrauen wieder aufbauen müsste aber dazu muss ich einfach die Chance bekommen. Ich finde jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. [...] Ich biete Ihnen an, die Fehlstunden sprich meine Internet-Stunden nachzuarbeiten. Auch wenn es an den Samstagen sein sollte, würde ich das unentgeltlich tun. Sie sehen der Job ist mir wirklich sehr, sehr wichtig und ich würde wirklich alles tun um mein Fehlverhalten aus zu merzen. Ich stehe nach wie vor hinter unserer Firma und dem Produkt. [...] Es gut mir wirklich alles sehr leid und mehr kann ich von meiner Seite aus jetzt leider nicht tun.“

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Die Entscheidung

Die Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung. Das Arbeitsgericht gab ihr Recht. Es war der Ansicht, dass dieser unstrittige Vertragsverstoß nach Art und Begleitumständen eine gegen die Person des „Übeltäters“ gerichtete Maßnahme nicht gebietet.

„Denn die Arbeitnehmerin (habe) sich erkennbar nach Kräften bemüht hat, zur Bewältigung des Konflikts mit brauchbaren Mitteln konstruktiv beizutragen. Sie hat sich nicht nur eindringlich um Verständnis und Nachsicht bemüht, sondern auch Vorschläge unterbreitet, um dadurch die Folgen des Konflikts möglichst zu kompensieren und künftige Wiederholungen auszuschließen. Das ist nicht nur ein deutliches Zeichen für die Wirksamkeit eines „Weckrufs“, [...] sondern lässt entsprechende Steuerungswirkung und damit eine Wiederherstellung der gestörten betrieblichen Kooperation hier in der Tat auch ohne sonstige Weiterungen erwarten.“

Angesichts dessen hätte es ausgereicht, der Klägerin eine Abmahnung zu erteilen.

(ArbG Berlin, Urteil vom 09.05.2014 - 28 Ca 4045/14)

Der Tipp

Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, geprägt durch das Rechtverständnis eines sehr speziellen Vorsitzenden Richters. Aber: Man sieht, dass die Arbeitsgerichte Einzelfallabwägungen durchführen. Sofern also der Arbeitnehmer genug Reue gezeigt und Wege zur Kompensation seiner Pflichtverletzungen angeboten hat, ist nur noch eine Abmahnung möglich. 

Ich halte diese Entscheidung für grundfalsch. Es geht nicht nur um exzessive (verbotene) private Internetnutzung. Es geht schlicht um Arbeitszeitbetrug. Und hierbei gibt es m. E. keine Entschuldigung und hier ist keine Abmahnung erforderlich. Denn das muss jeder Arbeitnehmer wissen: Arbeitszeitbetrug wird nicht toleriert. Das sehen diverse Gerichte genauso: 

  • An zwei Tagen jeweils zwei Stunden: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.07.2015 - 5 Sa 68/15.
  • An sieben Tagen jeweils mindestens 13 Minuten, einmal 28 Minuten – insgesamt 135 Minuten: BAG, Urteil vom 9. 6. 2011 − 2 AZR 381/10
  • An 14 Tagen zwischen 2 und 20 Minuten: LAG Hessen, Urteil vom 17.02.2014 - 16 Sa 1299/13
  • An einem Tag drei Stunden: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.05.2013 - 10 Sa 6/13
  • An drei Tagen jeweils 2,5 Stunden + ein ganzer Tag: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.11.2014 - 8 Sa 363/14
  • An drei Tagen insgesamt sechs Stunden: LAG Köln, Urt. v. 29.9.2014 – 2 Sa 181/14

Dass die Browseraktivitäten auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers ausgewertet werden dürfen, hat kürzlich erst das LAG Berlin-Brandenburg entschieden (Urteil vom 14.01.2016 - 5 Sa 657/15).