WEG-Recht

In Hamburg sagt am Tschüss – BGH beerdigt sog. Hamburger Formel

Vor Gericht ist jeder Streit seinen Streitwert wert. Bei Anfechtungsklagen gegen Jahresabrechnungen war bundesweit noch nicht einheitlich entschieden, wie sich der Streitwert berechnet. Nach ihm richten sich Gerichtsgebühren, Rechtsanwaltsgebühren und beispielsweise auch die Obergrenze einer Streitwertvereinbarung zwischen Beklagtenrechtsanwalt und Beklagten, die der Verwalter kraft Gesetzes abschließen darf. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe sorgt jetzt für Rechtsklarheit.

Mit Beschluss vom 9. Februar 2017 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 188/16 hat der BGH eine wichtige Grundsatzentscheidung zur Auslegung der Streitwertvorschrift des § 49a Gerichtskostengesetz (GKG) gefällt. Der BGH orientiert sich am Gesetzeswortlaut(§ 49a Abs. 1 GKG) und geht in 3 Schritten vor: Schritt 1 ist die Ermittlung des Gesamtinteresses, das der BGH – wenn die Jahresabrechnung insgesamt angefochten wird – im gesamten Nennbetrag der Jahresabrechnung (Gesamtsumme aller Ausgaben einschließlich Zuführung zur Instandhaltungsrücklage) sieht. Gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 GKG ist der Streitwert auf 50% dieses Gesamtinteresses festzusetzen. Die Schritte 2 und 3 der weiteren Berechnung dienen dazu, überhöhte Streitwerte zu verhindern (Kappungsgrenzen). Schritt 2 besteht darin, dass der Streitwert das fünffache Einzelinteresse des Klägers bzw. der Kläger nicht überschreiten darf (§ 49a Abs. 1 S. 2 GKG), wobei das Einzelinteresse im ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag gemäß der Einzeljahresabrechnung zu sehen ist. Schritt 3 enthält eine abschließende Kontrollüberlegung: Der Streitwert darf in keinem Fall den Verkehrswert des Wohnungseigentums des Klägers bzw. der Kläger übersteigen (§ 49a Abs. 1 S. 3 GKG).

Der BGH bestätigt mit seiner Entscheidung im Ergebnis die vorherrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur. Denjenigen Landgerichten, die bisher eine abweichende Berechnung vornahmen, u. a. das Landgericht Hamburg, erteilt er eine Absage unter Hinweis auf den seit dem 01.07.2007 geänderten Gesetzeswortlaut.

Der Fall

Die Kläger erhoben erfolgreich eine Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Eigentümerversammlung über die Genehmigung der Jahresabrechnungen 2009 – 2011. Die Klagen richteten sich gegen die Jahresabrechnungen insgesamt, also nicht beschränkt auf einzelne Bestandteile oder Positionen. Die 3 Jahresabrechnungen hatten Nennbeträge von zusammen 46.924,65 EUR. Die Anteile der Kläger beliefen sich auf zusammen 7.307,45 EUR. Der BGH hatte zu klären, ob der Streitwert 23.462,33 EUR betrug oder – nach der sog. Hamburger Formel – lediglich 8.605,86 EUR.

Die Entscheidung

Der BGH entscheidet sich für den höheren Streitwert. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage (§ 48 Abs. 3 S. 2 WEG alte Fassung) sei bei der Feststellung des Gesamtinteresses eine prozentuale Reduzierung des Nennbetrages der Jahresabrechnung nicht mehr erforderlich. § 49a GKG habe andere Regelungsinstrumente zur Vermeidung überhöhter Streitwerte eingeführt. Deshalb sei das Gesamtinteresse mit dem Nennbetrag der Jahresabrechnungen anzusetzen, hier also mit 46.924,65 EUR. Der Streitwert betrage 50% dieses Gesamtinteresses, also 23.462,33 EUR. Dieser Betrag unterschreite weder das einfache Einzelinteresse der Kläger an der Entscheidung (7.307,45 EUR) noch die Obergrenze des fünffachen Einzelinteresses (5 x 7.307,45 EUR = 36.537,25 EUR).

Versuchen der land- und oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung, das Gesamtinteresse regelmäßig mit nur 20-25% des Nennbetrages der Jahresabrechnung zu bewerten (OLG Frankfurt, OLG Stuttgart, OLG Koblenz, OLG Zweibrücken) oder das Eigeninteresse des Klägers zuzüglich eines Bruchteils von 25% des verbleibenden Gesamtvolumens zugrunde zu legen (sog. Hamburger Formel, zurückgehend auf OLG Hamburg MDR 1988, 55; ferner OLG Hamburg ZMR 2010, 873; LG Hamburg ZMR 2009, 71; LG Hamburg 18.10.2016 – 318 T 39/16; 17.02.2016 – 318 S 74/15) erteilt der BGH eine Absage.

Keine Klärung bringt die Entscheidung bezüglich der Frage, wie der Streitwert zu bemessen ist, wenn nicht die Jahresabrechnung insgesamt angefochten wird, sondern nur einzelne Positionen oder Bestandteile. Hier könnte also der Streitwert anders zu bemessen sein, nämlich ausgehend von einem niedrigeren Gesamtinteresse.

Ebenso wenig wird vom BGH mitgeteilt bzw. geklärt, ob es sich bei den hiesigen Klägern um mehrere Mitberechtigte an einem Sondereigentum handelte (z. B. Eheleute) oder um die Sondereigentümer verschiedener Einheiten. Dieser Umstand hat Relevanz für die Frage, ob eine Addition der Einzelinteressen der Kläger zu erfolgen hat oder lediglich das höchste Einzelinteresse maßgeblich ist. Dies ist in der Instanzrechtsprechung umstritten und höchstrichterlich weiterhin ungeklärt. Das LG Frankfurt/Main beispielsweise spricht sich für eine Addition aus, wenn mehrere Anfechtungskläger (Eigentümer mehrerer Wohnungen) anfechten (Beschluss vom 26.11.2015 – 2-13 S 38/15). Andere Gerichte halten hingegen das höchste Einzelinteresse für maßgeblich, also dasjenige des Anfechtungsklägers mit dem höchsten Nachzahlungsbetrag in seiner Jahresabrechnung (so etwa LG Hamburg ZMR 2012, 573).

Unzweifelhaft und unstreitig dürfte dagegen sein, dass eine Addition zu erfolgen hat, wenn dem Anfechtungskläger mehrere Sondereigentumseinheiten gehören. Hier wäre also nicht etwa nur die Wohnung bzw. Einzeljahresabrechnung mit dem höchsten Nachzahlungsbetrag maßgeblich.

Fazit für den Verwalter

Für den Abschluss von Streitwertvereinbarungen mit Rechtsanwälten, die die Beklagten im Anfechtungsverfahren vertreten sollen, bringt die BGH-Entscheidung eine Erleichterung. Der Verwalter darf bis maximal 50% des Gesamtinteresses abschließen. Dieses lässt sich leichter ermitteln als etwa nach der Hamburger Formel. Im hier besprochenen Fall hätte der Streitwert 8.605,86 EUR betragen, berechnet wie folgt:

Nennbetrag 46.924,64 EUR abzüglich Einzelinteresse (7.307,45 EUR) = 39.617,20 EUR. 25% davon = 9.904,30 EUR. Zuzüglich einfaches Einzelinteresse = 17.211,75 EUR. 50% davon = 8.605,86 EUR.

Enden Jahresabrechnungen nicht mit einer Nachzahlung, sondern mit einem Guthaben, ist nicht dieses maßgeblich, sondern der Einzelanteil des Klägers an den Gesamtausgaben und der Zuführung zur Instandhaltungsrücklage. Die Rücklage muss bei der Berechnung einbezogen werden. In Zeiten, als die Zuführung zur Instandhaltungsrücklage – verbotenerweise – noch als Ausgabe abgerechnet wurde, war dies unzweifelhaft. Doch auch seit der separaten Ausweisung (BGH 4.12.2009 – V ZR 44/09) hat sich rechnerisch an diesem Ausgangspunkt nichts geändert.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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