WEG-Recht

Schlechter Witz mit LG Görlitz

Der Bezirk des Oberlandesgerichts Dresden untergliedert sich in 5 Landgerichtsbezirke (Chemnitz, Dresden, Görlitz, Leipzig, Zwickau). Abweichend von allgemeinen zivilprozessrechtlichen Grundsätzen ist für alle WEG-Beschwerde- und Berufungssachen im Freistaat Sachsen nicht das allgemeine Landgericht zuständig, sondern ausschließlich das Landgericht Dresden. In einem WEG-Prozess vor dem Amtsgericht Bautzen kursierte eine falsche Rechtsmittelbelehrung, die das Landgericht Görlitz als zuständiges Berufungsgericht angab. Ein Berufungskläger bzw. sein Rechtsanwalt vertraute auf diese unrichtige Angabe und verpasste dadurch die Berufungsfrist. Sein Rettungsversuch hatte Erfolg.

Der Fall

Zwei Wohnungseigentümer (Sondernutzungsberechtigte) streiten sich über die Höhe einer Thujenhecke, die die Grenze ihrer beiden Garten-Sondernutzungsflächen bildet. Der Kläger verlangte einen Rückschnitt auf 1,80 Meter. Das AG Bautzen gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Beklagten am 12.10.2015 zugestellt. In der Rechtsmittelbelehrung wurde – fälschlicherweise – das LG Görlitz als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Der Rechtsanwalt des Beklagten legte am 12.11.2015 Berufung beim LG Görlitz ein und begründete diese am 14.12.2015 (Montag). Nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Unzuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts legte der Beklagtenanwalt am 21.12.2015 Berufung bei dem LG Dresden ein, begründete sein Rechtsmittel sogleich und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das LG Dresden wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Es ist der Meinung, der Beklagte habe sich das schuldhafte Verhalten seines Rechtsanwalts zurechnen zu lassen. Die Tatsache, dass sein Rechtsanwalt nicht Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht sei, entschuldige ihn nicht. Im Gegenteil habe ein Rechtsanwalt in einem Rechtsgebiet, in dem er sich nicht vertieft auskenne, besondere Sorgfalt walten zu lassen.

Die Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) sah den Fall anders, hob die Entscheidung des LG Dresden auf und verwies die Sache an das dortige Gericht zurück. In seinem Beschluss vom 09.03.2017 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZB 18/16 beurteilt der BGH die entscheidende Frage, ob die Fehlerhaftigkeit der gerichtlich verwendeten Rechtsmittelbelehrung für einen Rechtsanwalt bei objektiver Betrachtung offenkundig war, anders als das Berufungsgericht. Unter Hinweis auf das Rechtsstaatsprinzip und die Notwendigkeit eines fairen Prozesses kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass der hier tätige Rechtsanwalt die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung nicht erkennen konnte bzw. musste. Daher greife die prozessrechtliche Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 S. 2 ZPO. Deshalb sei der Beklagtenseite Wiedereinsetzung in den Lauf der Berufungsfrist zu gewähren.

Der BGH grenzt am Ende seiner Entscheidung zu einem anderen Fall ab, in dem er die Wiedereinsetzung versagt hatte (BGH vom 12.11.2015 – V ZB 36/15, dazu DDIV-Newsletter vom 19.01.2016). Dort war eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung verwendet worden, die der Rechtsanwalt indessen nicht befolgte, sondern seinerseits die Berufung beim unzuständigen Gericht einreichte. Diesen anwaltlichen Fehler hatte sich der dortige Mandant als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.

Fazit für den Verwalter

Im amtsgerichtlichen Verfahren dürfen Wohnungseigentumsverwalter ohne Rechtsanwalt die Beklagten im Anfechtungsprozess vertreten. So sieht es jedenfalls die herrschende Meinung. Ein Anwaltszwang gilt vor den Deutschen Amtsgerichten nicht. Wird – wie hier – für die Beklagtenseite Berufung eingelegt, greift der Anwaltszwang. Ein Verwalter muss daher spätestens für die zweite Instanz einen Rechtsanwalt einschalten. Es kann nicht schaden, dass ein professioneller Verwalter dem Rechtsanwalt gegebenenfalls einen Hinweis darauf gibt, dass die Zuständigkeit für Beschwerden und Berufungen bei einem bestimmten Landgericht des OLG-Bezirks konzentriert sein könnte. Der Rechtsanwalt hätte dann einen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, die Rechtslage anhand des § 72 Abs. 2 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und der dazu in vielen Bundesländern ergangenen Rechtsverordnungen zu überprüfen. In Sachsen beispielsweise gehen alle WEG-Streitigkeiten zum Landgericht Dresden.

 
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de