WEG-Recht

Selbständiges Beweisverfahren zwischen Wohnungseigentümern unterliegt nicht dem Vorbefassungsgebot

Mit drei Beschlüssen vom 14.03.2018 hat der Bundesgerichtshof (BGH) über eine wichtige Ausnahme zum Vorbefassungsgrundsatz der Eigentümerversammlung entschieden. Die Durchführung eines gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten selbständigen Beweisverfahrens über streitige Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum setzt nicht voraus, dass der antragstellende Wohnungseigentümer sich zuvor um eine Beschlussfassung der Eigentümerversammlung über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln bemüht hat. Der Gang zu Gericht ist ihm also uneingeschränkt eröffnet.

Mit Beschluss vom 14.03.2018 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZB 131/17 klärte der Bundesgerichtshof (BGH) eine umstrittene Rechtsfrage, die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der Amts- und Landgerichte höchst unterschiedlich beantwortet wurde. Nunmehr steht fest, dass Anträge von Wohnungseigentümern auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht wegen fehlender Vorbefassung der Eigentümerversammlung zurückgewiesen werden dürfen. Zu den Aktenzeichen V ZB 187/17 und V ZB 112/17 ergingen am selben Tage gleichlautende Entscheidungen, wobei speziell für den Landgerichtsbezirk München I die bis dato unterschiedliche Spruchpraxis der 1. und der 36. Zivilkammer auf eine Linie gebracht wurde.

Der Fall

Antragsteller und Antragsgegner bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft über der Wohnung der Antragsteller befindet sich das Dachgeschoss, welches in Umsetzung einschlägiger Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung nachträglich ausgebaut wurde. Von dem Bauträger beauftragte Messungen (Privatgutachten) kamen hinsichtlich der Frage, ob bei dem Ausbau die Anforderungen an die Trittschalldämmung (DIN 4109) eingehalten wurden, zu unterschiedlichen Ergebnissen. In einer außerordentlichen Eigentümerversammlung wurde der von den Antragstellern eingebrachte Antrag, den Bauträger wegen etwaiger Mängel des Dachgeschossausbaus in Anspruch zu nehmen, abgelehnt. Der Negativbeschluss ist bestandskräftig. Der weitere Antrag, zur Vorbereitung dieser Ansprüche ein Gutachten zu Schallschutzmängeln einzuholen, wurde laut Versammlungsprotokoll „aufgrund der allgemeinen Stimmungslage“ der anwesenden Eigentümer vom Verwalter nicht zur Abstimmung gebracht. Nunmehr begehren die Antragsteller im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens die sachverständige Feststellung von Mängeln des Trittschallschutzes gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern, um diese sodann gegebenenfalls auf Beseitigung von Mängeln in Anspruch nehmen zu können. Das Amtsgericht Charlottenburg und das Landgericht Berlin hatten den Antrag mangels Vorbefassung der Eigentümerversammlung als unzulässig zurückgewiesen. Das Landgericht ließ die Rechtsbeschwerde nach Karlsruhe zu. Diese hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht..

Die Entscheidung

Einmal mehr betont der BGH zunächst die Geltung des Vorbefassungsgebotes: Grundsätzlich müsse ein Wohnungseigentümer, bevor er eine Angelegenheit zu Gericht trage, seine Miteigentümer mit der Thematik befassen, um der Gemeinschaft die Chance zu geben, ihre Angelegenheit durch Beschlussfassung eigenständig zu regeln. Das Vorbefassungsgebot gelte nur ausnahmsweise dann nicht, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass der Antrag in der Versammlung nicht die erforderliche Mehrheit finden werde, so dass die Befassung von vornherein eine unnötige Förmelei wäre.

Gerade bei Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung am gemeinschaftlichen Eigentum sei der Vorbefassungsgrundsatz ernst zu nehmen. Eine ordnungsmäßige Beschlussfassung über Gegenmaßnahmen sei erst dann möglich, wenn die Versammlung ihre Entscheidung auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage treffen könne, was insbesondere bei größeren Instandsetzungsmaßnahmen eine vorherige Bestandsaufnahme über den erforderlichen Umfang und den erforderlichen Aufwand zu ermitteln voraussetzt. Auch derartige vorbereitende Maßnahmen, wie z. B. die Einholung außergerichtlicher Privatgutachten, gehören zur Instandsetzung im weiteren Sinne.

Indessen werde durch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im selbstständigen Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO keine Entscheidung der Eigentümerversammlung über das „Ob“ und „Wie” getroffen oder auch nur vorweggenommen. Vielmehr sei es nach Beendigung der gerichtlichen Beweiserhebung weiterhin Sache der Eigentümerversammlung, über die weitere Vorgehensweise auf der Grundlage der eingeholten Erkenntnisse zu entscheiden. Für diese Entscheidung gelte der Vorbefassungsgrundsatz, so dass eine sofortige Klage auf Zustimmung zu einer bestimmten Instandsetzungsmaßnahme (Leistungsklage) oder gerichtliche Beschlussersetzung nach § 21 Abs. 8 WEG (Gestaltungsklage) das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde; es sei denn, die (nochmalige) Anhörung der Versammlung sei reine Förmelei.

Fazit für den Verwalter

Werden dem Verwalter Tatsachen zugetragen, wonach es einen Instandsetzungsbedarf am gemeinschaftlichen Eigentum gibt oder geben könnte, sollte er von Amts wegen einen entsprechenden Beschlussgegenstand in die Tagesordnung aufnehmen. Ist die Tatsachengrundlage unklar, bietet sich zunächst die Beauftragung eines privaten Sachverständigen oder Fachmanns im Namen der Gemeinschaft auf Kosten aller Eigentümer an.

Ist die Ursache eines Schadens oder Mangels am Gebäude (Sondereigentum oder gemeinschaftliches Eigentum) unklar, hat der Verwalter Ursachenforschung zu betreiben bzw. die Eigentümer über eine weitere Ursachenforschung beschließen zu lassen, es sei denn, es ist von Anfang an evident (unzweifelhaft, klar und eindeutig), dass das gemeinschaftliche Eigentum nicht ursächlich sein kann.

Lehnt die Versammlung – wie hier – die Ergreifung von Instandsetzungsmaßnahmen oder eine gerichtliche Mängelrechtsverfolgung gegen den Bauträger oder einen vermeintlichen Schädiger ab, hat der Negativbeschluss keine Sperrwirkung. Daher mussten auch die Antragsteller des vorliegenden Verfahrens den ablehnenden Beschluss nicht gerichtlich bekämpfen. Vielmehr waren sie ohne weiteres dazu befugt, das selbständige Beweisverfahren gegen die Miteigentümer zu beantragen.

Speziell bei Trittschallmängeln lässt sich darüber streiten, ob und inwieweit die Ursache überhöhter Trittschallwerte im gemeinschaftlichen Eigentum und / oder im Sondereigentum liegt. Für gewöhnlich setzen sich Fußbodenaufbauten aus beiden wohnungseigentumsrechtlichen Eigentumsformen zusammen. Während der oberste begehbare Nutzbelag (z. B. Parkett, Laminat, Linoleum, Teppich, Fliesen) Sondereigentum ist, dürften die meisten anderen Aufbauschichten gemeinschaftliches Eigentum sein (z. B. Estrich, Trittschalldämmung, Geschossdecke aus Stahlbeton oder Balkenlagen). Da dem Gericht im selbständigen Beweisverfahren weder eine Schlüssigkeitsprüfung (des Antrags der Antragstellerseite) noch eine Erheblichkeitsprüfung (der Erwiderung der Antragsgegnerseite) eröffnet ist, dürfte in Trittschall-Fällen die Behauptung in der Antragsschrift, das gemeinschaftliche Eigentum sei betroffen, ausreichend sein, um das rechtliche Interesse an dem Antrag zu bejahen.

Ohne dass der BGH dies thematisiert, dürfte es sich bei dem selbständigen Beweisverfahren um eine Wohnungseigentumssache nach § 43 Nr. 1 i. V. m. §§ 485 ff. ZPO handeln. Rechtsfolge ist, dass der Verwalter die gesetzliche Vertretungsmacht hat, für die Antragsgegner einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Vertretung zu beauftragen (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 WEG).

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de