Im » VDIVnewsletter vom 21. September 2020 berichtete der VDIV von einem Anfechtungsprozess in Hessen. Das Amtsgericht Kassel gab dem Antrag einer Wohnungseigentümerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt, weil der Verwalter in der Einladung zur Versammlung angekündigt hatte, maximal neun Personen und sich selbst Einlass zu gewähren, obwohl es 13 Einheiten und 11 Eigentümer gibt. Das Urteil des Amtsgerichts liest sich gut. Dennoch ergeben sich bei näherer Betrachtung tatsächliche und juristische Anknüpfungspunkte für weiterführende, teils auch kritische Überlegungen.
Für Wohnungseigentumsverwalter ist es von immenser Bedeutung, auch in Coronazeiten rechtssichere Versammlungen einzuberufen und durchzuführen. Anfechtungsklagen, deren Erfolge auf eine coronabedingte Verletzung der Teilnahmerechte von Eigentümern zurückzuführen sind, sind ein Ärgernis. Höchststrafe ist es, wenn wie im Fall des AG Kassel sogar ein Baustopp (einstweilige Verfügung) verfügt wird.
Der Fall und die Entscheidung
Wegen des Sachverhalts und der Entscheidungsbegründung vom AG Kassel darf auf den » Newsletter vom 21. September 2020 Bezug genommen werden.
Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob die Antragstellerin (Anfechtungsklägerin und Verfügungsklägerin) denn nun selbst an der Eigentümerversammlung teilnahm oder nicht. Fest steht, dass die Versammlung stattfand, also nicht mehr als zehn Personen im Versammlungsraum waren. Ob die Antragstellerin eine von zwei Eigentümern ist, denen der Zutritt verweigert wurde, ist nicht ersichtlich. Es scheint so, dass sie nach Erhalt der Einladung von einer Teilnahme absah, weil sie sich vom Verwalter unter Druck gesetzt fühlte. Fragwürdig ist hierbei, ob sie sich in dieser Weise unter Druck gesetzt fühlen durfte. Wünschenswert bei der Sachverhaltsschilderung wäre zudem gewesen, den ganzen Inhalt des Einladungsschreibens zu sehen. Der im Urteil auszugsweise wiedergegebene Passus ist in der Tat ungeschickt formuliert, weil in ihm kein Bezug zu den gesetzlichen Corona-Beschränkungen hergestellt ist. Ferner ist nicht mitgeteilt, ob in der Gemeinschaftsordnung eine Vertretungsbeschränkung vereinbart ist. Ebenfalls nur gemutmaßt werden kann, dass die Versammlung nicht in den Büroräumen des Verwalters stattfand, sondern in einem angemieteten Sitzungsraum. In tatsächlicher Hinsicht zudem wissenswert wäre gewesen, wie viele Personen in der Vergangenheit durchschnittlich an Eigentümerversammlungen persönlich teilnahmen.
In juristischer Hinsicht fällt auf, dass das Amtsgericht in seiner Begründung einen möglichen Nichtigkeitsgrund schwerwiegender einstuft als einen Anfechtungsgrund (Rechtswidrigkeit). Im Rahmen der im einstweiligen Verfügungsverfahren gebotenen summarischen (also nur überschlägigen) Prüfung erscheint dies verfehlt. Maßgeblich ist nicht die Schwere des Beschlussmangels (Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit), sondern die Frage, ob die vom Kläger beanstandete Rechtsverletzung evident (offenkundig) ist oder bei Beschlussdurchführung während des Hauptsacheverfahrens ein irreparabler Schaden droht.
Eine evidente (offenkundige) Beschlussmangelhaftigkeit ließe sich am ehesten vertreten, wenn die Antragstellerin darlegen konnte, von der Versammlung tatsächlich ausgeschlossen worden zu sein, weil sie die vom Verwalter bemessene Höchstgrenze von zehn Personen überschritt. So liegt der Sachverhalt aber offenbar nicht. Ob bei Durchführung des Beschlusses vor rechtskräftiger Beendigung des Hauptsacheverfahrens ein irreparabler Schaden droht, ist ebenfalls diskussionswürdig. Der Anstrich der Gebäudefassade inklusive Algenschutz wäre so gesehen nicht rückgängig zu machen. Gleichwohl nähme die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums keinen Schaden.
Fazit für den Verwalter
Verwalter müssen die im Zeitpunkt der Einladung und falls bereits erkennbar im Zeitpunkt der Durchführung der Eigentümerversammlung geltenden gesetzlichen Corona-Beschränkungen der jeweiligen Bundesländer berücksichtigen. Verständigen sich Länder mit dem Bund auf landesübergreifende Regelungen, sollten auch diese in die Planung der Versammlung einbezogen werden. Dem Verwalter ist ein grundsätzlich weites Ermessen eröffnet, wann, wo und wie er zur Eigentümerversammlung einlädt. Die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorgaben ist stets ermessensfehlerfrei.
Fanden frühere Versammlungen nie als Vollversammlung (Universalversammlung) statt, sondern beschränkte sich die Präsenz der Versammlungsteilnehmer durchschnittlich auf beispielsweise nur 60 bis 70 Prozent, ist es ermessensfehlerfrei, auch nur einen entsprechend großen Versammlungsraum wie sonst zu organisieren.
Der vorliegende Fall spielte in Hessen. Zum Zeitpunkt der Einladung (6. Juli 2020) galt die Hessische Landesverordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie vom 7. Mai 2020 in der Fassung vom 22. Juni 2020. Nach § 1 Abs. 2b dieser Corona-Verordnung mussten folgende Voraussetzungen gesetzlich erfüllt sein:
- Mindestabstand von 1,50 Metern
- Teilnehmerzahl maximal 250 Personen
- Fünf Quadratmeter Grundfläche um jeden einzelnen Sitzplatz herum
- Teilnehmerliste mit Namen, Anschrift, Telefonnummer
- Hygienekonzept entsprechend den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts
- Sichtbare Aushänge der Abstands- und Hygieneregeln vor Ort
Der hier involvierte Verwalter hatte eventuell übersehen, dass die von ihm genannte Beschränkung auf zehn Personen nur für Aufenthalte im öffentlichen Raum galt, also nicht für geschlossene Aufenthaltsräume in Gebäuden.
Bei der Formulierung von Einladungsschreiben sollte der Verwalter vermeiden, Zutrittsverbote auszusprechen oder anzudrohen. Es erscheint andererseits aber ermessensfehlerfrei, da gesetzeskonform und zielführend, höflich, aber bestimmt auf die Corona-Beschränkungen hinzuweisen und an die Eigentümer zu appellieren, möglichst nicht persönlich zur Versammlung zu erscheinen, sondern von einer Bevollmächtigung Gebrauch zu machen. Selbst wenn Vertretungsbeschränkungen vereinbart sein sollten (häufig Ehegatte, anderer Eigentümer oder Verwalter), ist es im Normalfall möglich, hiervon Gebrauch zu machen. Möchte der Verwalter die Präsenzversammlung in seinen Geschäftsräumen durchführen, bietet es sich an, darum zu bitten, ihm die Stimmrechtsvollmacht zu übertragen. Derartige höfliche Appelle oder dringliche Bitten sind nach hier vertretener Ansicht in Corona-Zeiten nicht unverhältnismäßig, sondern angebracht. Das Teilnahmerecht aller Eigentümer wird hierdurch nicht verletzt. Es steht jedem Eigentümer oder jeder teilnahmeberechtigten Person frei, zur Versammlung physisch real zu erscheinen. Wird davon aus freien Stücken Abstand genommen, liegt keine Rechtsverletzung vor.
Weiß der Verwalter aus bisherigen Versammlungen, dass eine größere Teilnehmerzahl zur Versammlung erscheint, ist es jedoch ermessensfehlerhaft, einen zu kleinen Raum anzumieten oder zur Verfügung zu stellen. Darin kann ein Einladungsfehler liegen, der auch kausal für das Verhalten der teilnahmeberechtigten Personen sein dürfte.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg