Mietrecht

Verlängerung des Mietverhältnisses bei Suizidgefahr des Mieters trotz Eigenbedarfskündigung

Bei erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Suizidgefahr ist eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs unwirksam. Die Ablehnung einer Therapiemöglichkeit ändert daran nichts. Das Mietverhältnis besteht auf unbestimmte Zeit fort, wenn nach einer Interessenabwägung ein Umzug unzumutbar erscheint.

Der Fall

Der Vermieter kündigte im April 2017 den seit 40 Jahren laufenden Mietvertrag mit einer 80-jährigen Mieterin zum 31. Dezember 2017 wegen Eigenbedarfs. Dies begründete er damit, dass er die Wohnung für sich und seinen Lebenspartner benötige, um sie mit der von ihnen bereits genutzten Wohnung zusammenzulegen. Zur Begründung der Kündigung wurde u. a. ausgeführt, dass der 75-jährige Lebensgefährte orthopädische Probleme habe, weshalb der unmittelbare Zugang aus dem Aufzug ohne Treppen gesundheitlich erforderlich werden würde. Die Mieterin widersprach der Eigenbedarfskündigung und lehnte auch einen Umzug in eine Nachbarwohnung auf demselben Stockwerk ab. Sie berief sich auf schwere Depressionen mit Suizidgedanken, die Härtegründe nach § 574 BGB darstellten.

Der Vermieter erhob Räumungsklage, hilfsweise die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Zum Gesundheitszustand der Mieterin holte das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten ein sowie insbesondere zur Frage einer Suizidgefahr ein Ergänzungsgutachten. Zusätzlich wurde der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung angehört. Auf Grundlage dessen wiesen sowohl das Amts- als auch das Landgericht die Klage ab. Beide Instanzen ordneten die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit an. 

Die Entscheidung

Auch der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil die konkrete Gefahr eines Suizids der Mieterin im Fall einer Kündigung des Mietverhältnisses als Härtefall im Sinne des § 574 BGB anerkannt und bestätigte so die Rechtsauffassungen der Vorinstanzen. Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs sei damit ausgeschlossen. Die besondere Härte könne laut BGH auch nicht dadurch entfallen, dass die Mieterin die Behandlung ihrer krankhaften psychischen Fixierung auf diese Mietwohnung mithilfe einer stationären Therapie ablehne. Die depressive Erkrankung bedinge eine mangelnde Einsichtsfähigkeit in ihre Therapiebedürftigkeit. Die besondere Härte im Sinne von § 574 BGB bleibe daher auch unter diesem Gesichtspunkt bestehen, so der BGH. Denn das in Art. 2 des Grundgesetzes enthaltene Gebot zum Schutz des Lebens gelte auch dann, wenn der Mieter unfähig sei aus, eigener Kraft oder fremder Hilfe die aus seiner Sicht ausweglose Situation zu lösen. Auch die nachvollziehbaren Belange des Vermieters sich einen barrierefreien Zugang zu der vergrößerten Wohnung als Alterswohnsitz zu verschaffen, führen in der Abwägung zu keinem anderen Ergebnis. Das Mietverhältnis bestehe somit auf unbestimmte Zeit fort.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Oktober 2022, Az. VIII ZR 390/21

Vorinstanzen:
Landgericht Köln, Urteil vom 11. November 2021, Az. 1 S 124/20
Amtsgericht Köln, Urteil vom 23. Juni 2020, Az. 210 C 224/17