Mit Beschluss vom 22.02.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 117/23 hob der BGH auf die Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) des in Tschechien arbeitenden und abwechselnd in Deutschland und Tschechien gemeldeten Wohnungseigentümers (Beklagten) den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth auf, welches den Einspruch des Beklagten gegen das öffentlich zugestellte Versäumnisurteil als unzulässig zurückgewiesen hatte.
Der Fall
Der Beklagte schuldet der GdWE ca. 60.000 EUR Hausgeld aus Sonderumlagen und Jahresabrechnungen. Er hatte eine Meldeadresse in Tschechien und ist dort in regelmäßigen Abständen berufsbedingt wohnhaft. Seine E-Mail-Adresse ist dem Verwalter bekannt. Das Protokoll der Eigentümerversammlung aus August 2021 kam postwendend zurück als unzustellbar. Die GdWE erhielt im Anschluss eine negative Einwohnermeldeamtsauskunft und ließ die Hausgeldklage ebenso wie das antragsgemäß ergangene Versäumnisurteil öffentlich zustellen durch Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Tirschenreuth. Den am 10.03.2022 eingegangenen Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil hat das Amtsgericht als unzulässig verworfen. Die Berufung wies das Landgericht durch Beschluss zurück. Die NZB des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und Rückverweisung der Akte.
Die Entscheidung
Der BGH entscheidet, dass das Landgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils hätten nicht vorgelegen. Voraussetzung sei, dass der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten unmöglich sei. Unbekannt sei der Aufenthalt, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kenne. Allein die ergebnislose (negative) Anfrage beim Einwohnermeldeamt genüge hierfür in der Regel nicht. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte zielgerichtet versucht habe, eine Zustellung, mit der er sicher hätte rechnen müssen, zu verhindern.
Die GdWE habe nicht alle ihr zumutbaren Nachforschungen angestellt, um den Aufenthalt des Beklagten zu ermitteln und die öffentliche Zustellung zu vermeiden. Aus dem einmaligen Fehlschlag der Zustellung des Versammlungsprotokolls dürfe nicht geschlussfolgert werden, dass der Beklagte unbekannten Aufenthalts war. Das gelte umso mehr, als der Rechtsanwalt, der den Beklagten in früheren Verfahren und auch im späteren Verlauf des vorliegenden Verfahrens erneut vertreten habe, dessen Meldeadresse in Tschechien bestätigt habe. Außerdem sei es der GdWE – namentlich dem Verwalter – möglich und zumutbar gewesen, den Beklagten unmittelbar über die ihr bekannte E-Mail-Adresse zu kontaktieren und im Hinblick auf die Hausgeldschuldner und die beabsichtigte Klageerhebung aufzufordern, eine von der Meldeadresse in Tschechien abweichende Zustelladresse anzugeben oder einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen.
Fazit für den Verwalter
Besitzt der Verwalter die E-Mail-Adresse des Wohnungseigentümers, bietet es sich an, Kontakt aufzunehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die E-Mail-Adresse nicht auf Umwegen beim Verwalter landet, sondern der Wohnungseigentümer mit dem Verwalter in Angelegenheiten der betreffenden GdWE kommuniziert (hat).
Offenbar summierten sich die Hausgeldschulden aus mehreren Sonderumlagen und den Abrechnungen für mehrere Jahre. Grundsätzlich ist der Verwalter verpflichtet, unverzüglich notwendige Schritte einzuleiten, um offene Forderungen beizutreiben. Wie sich unverzüglich kalt qualifiziert, hängt von der Art und Höhe der jeweiligen Schuld ab. Beim laufenden Hausgeld dürfte es beispielsweise noch vertretbar sein, erst bei 1-2 oder 2-3 rückständigen Monaten den Rechtsanwalt einzuschalten. Eine hohe Sonderumlagen dürfte schneller geltend zu machen sein, beispielsweise spätestens 7 Tage nach Fristüberschreitung. Sind Wirtschaftspläne (Vorschüsse) mit Verfallklausel beschlossen, ist es grundsätzlich pflichtgemäß, die Fälligkeit des gesamten Jahreshausgeldes abzuwarten, die üblicherweise nach zwei Monaten Verzug einsetzt.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Nach gegenwärtiger Rechtslage ist ein Wohnungseigentümer nicht verpflichtet, der GdWE eine E-Mail-Adresse zwecks elektronischer Kommunikation zur Verfügung zu stellen. Nach der immer noch herrschenden Meinung gilt dies sogar dann, wenn in der Gemeinschaftsordnung eine entsprechende Verpflichtung vereinbart ist. Andererseits verhält sich ein Wohnungseigentümer rechtsmissbräuchlich (da in sich widersprüchlich), wenn er aktiv der GdWE zu Händen des Verwalters E-Mails schickt, um sich selbst die Kommunikation zu erleichtern, umgekehrt aber den Empfang von E-Mails der GdWE ablehnt und die GdWE auf den Postweg verweist.
Wohnungseigentümer, die dauerhaft ihren Wohnsitz im Ausland haben, können verpflichtet sein, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland (Deutschland) zu benennen. Entsprechende Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung sind meiner Meinung nach wirksam. Einhelliger Rechtsauffassung entspricht das allerdings nicht.
Fazit für die Gemeinschaft
Hausgeldansprüche stehen der GdWE zu. Ihre außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung gehört zur ordnungsmäßigen Verwaltung. Die Legitimation einer Klage über fällige Forderungen und eine anschließende Zwangsvollstreckung setzen keinen Beschluss der Eigentümerversammlung voraus. Diese Entscheidung ist von der gesetzlichen Entscheidungskompetenz des Verwalters kraft seiner Bestellung gedeckt. Auch wenn Hausgeldforderungen nicht zeitnah, sondern innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren zu verjähren drohen, handelt es sich um einen Fall von § 27 Abs. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG). Der Verwalter darf namens der GdWE auf deren Rechnung einen Rechtsanwalt beauftragen. Der Abschluss des Anwaltsvertrags ist ebenfalls von der gesetzlichen Vertretungs- (§ 9b Abs. 1 WEG) und Entscheidungsmacht (§ 27 Abs. 1 WEG) des Verwalters gedeckt, wenn der Rechtsanwalt zu den gesetzlichen Konditionen (Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]) beauftragt wird. Stundenhonorare oder pauschale Sondervergütungen bei besonders großem Aufwand können in den Grenzen des § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG ausnahmsweise in Betracht kommen. Sicherer ist ein Beschluss nach § 27 Abs. 2 WEG, der die Befugnisse des Verwalters insoweit erweitert bzw. konkret definiert.
Am Rande des Urteils wird erwähnt, dass der Beklagte seinerseits Klage gegen die GdWE erhob. Nicht ersichtlich ist, worauf diese gerichtet ist. Möglicherweise handelt es sich um eine Beschlussanfechtungsklage, die indessen nicht die streitgegenständlichen Sonderumlagen und Jahresabrechnungen betreffen haben dürfte, da die Fristen verpasst waren. Möglicherweise handelte es sich um eine Zahlungsklage wegen einer streitigen Gegenforderung, die dem Aufrechnungsverbot gegenüber Hausgeldforderungen der GdWE unterfiel.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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